Frankfurt a.M. (epd). Wenn Eva Schulz im Webvideo-Format "Deutschland3000" politische Ereignisse erklärt oder Nemi El-Hassan für "Jäger & Sammler" gesellschaftlichen Phänomenen auf den Grund geht, ist das im Jahr 2019 eigentlich nichts Außergewöhnliches. Sie sprechen über Rechtsextremismus, recherchieren, was in der Bildungspolitik falsch läuft oder was hinter deutschen Waffenexporten steckt.
Ein Blick auf den Webvideo-Kosmos zeigt allerdings: Dass El-Hassan und Schulz sich als junge Frauen mit politischen Themen auseinandersetzen, ist bei Youtube und Co nicht gerade Normalität.
Frauen kommen in beliebten Youtube-Videos nur halb so oft vor wie Männer, ergaben Studienergebnisse, die die MaLisa-Stiftung im Januar 2019 unter dem Titel "Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien" veröffentlichte. Zu fast 70 Prozent waren Männer die Hauptakteure. Frauen zeigten sich vor allem im privaten Raum, gaben Schmink- und Modetipps und präsentierten Hobbys wie Basteln, Handarbeit und Kochen.
Inhalte für Jungs und mit Jungs
Bei dem jungen öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerk "Funk" sieht das anders aus. Dort haben sich Frauen etabliert wie eben Eva Schulz und Nemi El-Hassan, aber auch Salwa Houmsi im politischen Informations- und Debattenformat "Jäger & Sammler", die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim mit Wissenschaftsthemen bei "maiLab" oder Ariane Alter mit dem Challenge-Format "Das schaffst du nie!".
In Formaten wie etwa "Auf Klo", dem Instagram-Account "Mädelsabende" oder der Webserie "Druck" werden zudem Erwartungen an Körperbilder, Lebensentwürfe, Sexualität oder Verhalten von Mädchen und Frauen kritisch infrage und auf den Kopf gestellt.
Weibliche Presenterinnen seien zu Beginn gar nicht so leicht zu finden gewesen, sagte Programmgeschäftsführer Florian Hager vor zwei Jahren zum Start von Funk: "Wenn man in diesen Youtube-Wald reinruft, kommen vor allem Inhalte für Jungs und mit Jungs raus. Das hat mich auch überrascht."
Heute nach dem Programm befragt, sagte die stellvertretende Programmgeschäftsführerin Sophie Burkhardt dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Es geht uns um einen aufgeklärten Umgang mit Normen und darum, dass wir unseren Nutzerinnen und Nutzer verschiedene Typen von Personen anbieten, mit denen sie sich auseinandersetzen oder auch identifizieren können." Das sei beispielsweise auch beim Thema Migrationshintergrund und Religion wichtig.
In der Altersspanne der Funk-Zielgruppe, 14- bis 29-Jährige, sei das besonders wichtig, sagt Kathrin Müller, Kommunikationswissenschaftlerin in Münster und Sprecherin der Fachgruppe "Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht" bei der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Wenn Jugendliche sich in medialen Bildern nicht wiederfänden, schränke sie das ein, vermittele das Gefühl, unnormal zu sein oder gesellschaftlich nicht akzeptiert zu werden. Studien zeigten: Junge Menschen nehmen die medial vermittelten Geschlechterbilder als Vorbilder an.
Gut bezahlte Stereotype
"Wichtig ist einfach eine bewusste Auseinandersetzung damit, wie wir sozialisiert wurden und welche gesellschaftlichen Erwartungen eventuell dahinter stehen", sagt Müller. So zeigt die MaLisa-Studie auch, dass Stereotype offenbar besonders gut bezahlt werden. "Eine starke eigene Meinung schmälert deinen finanziellen Wert, weil sich dann bestimmte Firmen nicht mehr mit dir zeigen wollen", wird eine Youtuberin zitiert.
Andere Youtuberinnen berichteten ebenfalls von Hürden, die ein Ausbrechen aus dem Mode- und Schönheitskomplex erschweren. Dazu gehörten auch eng gefasste Nutzererwartungen und dementsprechend kritische bis bösartige Kommentare, wenn sie diesen widersprächen.
Bei Funk ist dieser finanzielle Druck - die Abhängigkeit von Followerzahl und Werbepartnern - durch die öffentlich-rechtliche Finanzierung natürlich geringer. So kann Raum entstehen für Formate, die sich kritisch mit Rollenerwartungen beschäftigen. Auf dem Kanal "Okay" spricht Youtuberin Annika Gerhard beispielsweise über ihre Erfahrungen als junge, lesbische Frau. Bei "Mädelsabende" geht es um Fragen wie "Warum gilt Körperbehaarung bei Frauen als unattraktiv?" oder "Warum rutschen alleinerziehende Mütter besonders schnell in die Armut?".
Dass das Thema Rollenerwartungen auch Männer betrifft, geht dabei manchmal noch unter: "Stereotype Geschlechterbilder wirken ja nicht nur auf Frauen und Mädchen", sagt Müller. Viele Themen, die ursprünglich eher als weiblich galten, wie Kindererziehung und Familienleben, die Auseinandersetzung mit Emotionen oder Mode und Schönheit seien Männern mittlerweile auch wichtig.
Bei Funk schaue man sich immer mal wieder die eigenen Formate an, suche nach Lücken bei den Identifikationsmöglichkeiten, sagt die stellvertretende Programmgeschäftsführerin Sophie Burkhardt: "Und wenn wir ein Ungleichgewicht haben, gucken wir, was können wir machen, um mehr Pluralität herzustellen. Und da sind wir noch nicht am Ende."