Was da in Tütchen auf dem großen Tisch der Bremer Saatgut-Tauschbörse liegt, braucht noch Fantasie. Kleine Körner, mal grau, mal bräunlich. Aber mit Potenzial. "Ruthje"-Samen beispielsweise versprechen eine leuchtend rote und leicht herzförmige Tomate, mit ausgewogenem Süße-Säure-Verhältnis. Daneben liegen Samen der "Roten Zora", die mild-aromatische Früchte hervorbringen soll. Und wer zur "Baba" greift, kann sich möglicherweise im Sommer über Riesentomaten mit massenweise Fruchtfleisch freuen. Die Tomaten-Vielfalt auf der Tauschbörse ist enorm.

Und alle Saaten - egal ob Tomaten, Möhren, Erbsen oder Zucchini - haben hier eines gemeinsam: Sie sind samenfest. "Das heißt, jeder kann sie selbst vermehren", erläutert Umweltaktivistin und Gartenfachberaterin Rike Fischer von der Initiative "Bremen im Wandel", die die Börse mit organisiert hat. Im herkömmlichen Handel sind Saaten dieser Art kaum noch zu finden, sondern fast nur noch sogenannte "Hybride" - Saaten für Pflanzen, die sich nicht nachzüchten lassen, sondern jedes Jahr neu gekauft werden müssen.

Sortenvielfalt gefährdet

Saatgut-Tauschbörsen mit regionalen Sorten wie im alten Bremer Güterbahnhof oder das große Saatgut-Festival in Düsseldorf mit Tausenden Besuchern haben gerade mächtig Konjunktur. "Ihre Zahl verdoppelt sich jedes Jahr", sagt Susanne Gura aus Bonn, Vorsitzende des bundesweiten Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt: "Früher hat das kaum jemanden interessiert, heute ist es fast schon eine Volksbewegung." Für die Agrarexpertin ist es wichtig, die weltweite Ernährungssicherheit durch Sortenvielfalt zu erhalten.

Doch genau die sei gefährdet, warnt Saatgut-Gärtner Max Rehberg aus dem niedersächsischen Westen. "Die zehn größten Saatgut-Konzerne kontrollieren 70 Prozent des Weltmarktes, in Deutschland sind es fünf Unternehmen mit 95 Prozent Marktanteil." Produziert werde nur, was sich in großen Mengen verkaufen lasse. Vielfalt rechne sich für die Konzerne nicht.

Mit fatalen Folgen, meint Anja Banzhaf, Garten- und Saatgutaktivistin aus Göttingen. Böden und Klima seien vielfältig, die Pflanzen müssten es deshalb auch sein. Nur ein großer Genpool ermögliche es, Sorten zu entwickeln, die sich an Umweltveränderungen anpassen könnten. Für Banzhaf haben diese Zusammenhänge auch eine politische Seite. Denn wer das Saatgut kontrolliere, kontrolliere einen Großteil des Nahrungsmittelangebots, sagt sie. Ein Buch von ihr zum Thema trägt deshalb den Titel: "Wer die Saat hat, hat das Sagen."

Patente und Verkauf

Wie es um die Gemüse-Vielfalt tatsächlich bestellt ist, dokumentiert eine Studie der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, die vergangenes Jahr erschienen ist. Demnach sind von 7.000 Sorten und Arten, die es zwischen 1836 bis 1956 in Deutschland noch gab, 75 Prozent verschwunden. Weitere 16 Prozent der ursprünglichen Gemüsevielfalt gelten als gefährdet, weil ihr Saatgut innerhalb Europas nur noch in Genbanken oder bei verschiedenen Saatgutinitiativen existiert. Die übrigen neun Prozent werden bis heute angebaut.

Gleichzeitig wachsen die Konzerne, die Saatgut patentieren und verkaufen. Heute sei Saatgut, das von jeder Pflanze im Überfluss produziert werde, größtenteils zur Ware geworden, meint Rike Fischer: "Tauschbörsen setzen dem etwas entgegen."

Und auch Biogärtner wie Jan Bera, der im Umland von Bremen einen Hof nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft führt: Einen großen Teil der Saaten, die er für die Anzucht in seinen Gewächshäusern braucht, vermehrt er selbst und passt sie so ideal an die Produktionsbedingungen auf dem Hof an. In seiner Saatgut-Schatzkammer schlummern Hunderte unterschiedlicher Samensorten, beispielsweise von Tomaten, Mais, Kohl, Auberginen und Mangold.

"Pflanzen, hacken, ernten - das ist mir zu wenig", sagt der 38-Jährige. Jahrtausendelang habe die Vielfalt der Pflanzen die Ernährung der Menschen gesichert. Über Generationen seien die Saaten weitergegeben worden. Heute dagegen arbeiteten die meisten Bauern mit gekauftem Material, das für die maschinelle Produktion optimiert worden sei. "Aber Vielfalt ist ein Kulturgut, das sich die Menschheit erarbeitet hat - und wir sind dabei, es auf die Müllkippe zu schmeißen", kritisiert Bera.

Open-Source-Lizenz

Gärtner wie Max Rehberg züchten deshalb auch neue Sorten, die sie mit einer Open-Source-Lizenz versehen, um sie vor einer profitorientierten Patentierung durch Konzerne zu schützen. So vermehrt Rehberg beispielsweise die "Sunviva", eine robuste Freiland-Tomatensorte mit leuchtend gelben Früchten und fruchtigem Aroma, die der Göttinger Saatgut-Hersteller Culinaris vertreibt.

Jeder darf die Sorte kostenlos verwenden, weitergeben und Geld damit verdienen. Wer nicht selbst vermehren will, dem empfiehlt Rehberg den Besuch von Börsen wie in Bremen oder Düsseldorf und appelliert: "Tauscht Saatgut, kauft samenfeste Bioware." Damit auch künftig regionale und alte Gemüse-Sorten wie der Pflücksalat "Ochsenzunge", die Stangenbohne "Klosterfrauen" oder die Pastinake "Schleswiger Schnee" eine Überlebenschance haben.