Menschenrechtsorganisationen und Hilfswerke werfen der Bundesregierung vor, ein verbindliches Abkommen zur Verantwortung von Unternehmen für die Menschenrechte zu blockieren. "Es ist ein Skandal, dass Deutschland schweigt, wenn internationale menschenrechtliche Standards für die Wirtschaft geschaffen werden sollen", sagt Karolin Seitz von der nichtstaatlichen Organisation Global Policy Forum in Bonn, die vor allem die Vereinten Nationen beobachtet. Seit 2014 verhandelt eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats in Genf über ein solches Abkommen.

Alle Staaten waren aufgefordert, einen ersten Entwurf eines Abkommens bis 28. Februar zu kommentieren. Doch die EU und Deutschland kamen dem nicht nach. Als Bremser vermutet Seitz das Wirtschafts- und das Finanzministerium, während Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) für gesetzliche Regelungen für faire Arbeitsbedingungen entlang ganzer Lieferketten wirbt - und von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unterstützt wird. Die Federführung wiederum liegt beim Auswärtigen Amt.

Nationaler Aktionsplan

Aus dem Außenamt verlautete, dass EU und ihre Mitgliedstaaten die Verhandlungen der Arbeitsgruppe "kritisch-konstruktiv" begleiten und in dem Prozess "geschlossen" aufträten. Die Stellungnahme werde von der EU-Delegation abgegeben. Die Bundesregierung lehne verbindliche Verpflichtungen für Unternehmen nicht grundsätzlich ab, hieß es weiter. So habe man sich erfolgreich für eine Verankerung des Ziels nachhaltiger globaler Lieferketten in den Prozessen der wichtigsten Industrieländer (G7) und der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) engagiert.

In Deutschland gibt es bereits einen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), der auf Freiwilligkeit setzt. Bis 2020 soll die Hälfte aller Firmen mit mindestens 500 Beschäftigten Sorgfaltspflichten in ihren Geschäftspraktiken verankern. "Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen", heißt es im Koalitionsvertrag.

Das geplante Abkommen, über das in Genf verhandelt wird, soll internationale Standards für Sorgfaltspflichten und die Haftung von Firmen festlegen, also den Rahmen für Lieferkettengesetze bilden. Seitz kritisiert, dass Deutschland sich nicht an den inhaltlichen Debatten beteiligt, ebensowenig die EU, Japan und Australien - sowie die USA, die dem UN-Menschenrechtsrat ohnehin den Rücken kehrten.

Druck des Südens

Die Initiative zu einem Abkommen über Wirtschaft und Menschenrechte ging vor allem von Ländern des Südens aus, wie Seitz betont. "Die Afrikanische Union und südamerikanische Staaten unterstützen die Verhandlungen", sagt sie. Das Abkommen würde Unternehmen zu einer sorgfältigen Prüfung verpflichten, dass sie bei ihren Aktivitäten in fernen Ländern keine Grundrechte verletzen. Dabei geht es etwa um Landrechte, Gewerkschaftsfreiheit, Wasserqualität oder Gesundheit. "Das ist vor allem in fragilen Staaten wichtig, in denen der Schutz der Menschenrechte nicht gewährleistet ist", sagt Seitz. Unternehmen dürften etwa nicht davon profitieren, Arbeitnehmerrechte einzuschränken.

Ein verbindliches internationales Abkommen sei auch deshalb nötig, weil ärmere Staaten nicht wagten, eigene Gesetze zu beschließen, aus Angst, Investoren zu verschrecken. Doch das hat auch eine andere Seite: "Rechtssicherheit ist für Unternehmen sehr attraktiv", sagt die Politologin. Zugleich sollte das Abkommen dafür sorgen, "dass Opfer besser zu ihrem Recht kommen", sagt sie und nennt Prozesshilfen, Sammelklagen, Verjährungsfristen und Entschädigungen, die es zu regeln gelte.

Für Seitz ist nur schwer nachvollziehbar, warum sich die Bundesregierung an den Beratungen der Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats nicht stärker beteiligt. "Die europäische Ebene ist gut und schön, aber warum geht man nicht gleich auf die internationale Ebene?" fragt sie. Der Verweis auf Brüssel könnte auch ein Manöver sein, das Vorhaben zu verzögern und zu verwässern. Immerhin hätten die Verhandlungen in Genf die Debatten in vielen Ländern befeuert. Frankreich etwa habe schon seit 2017 ein Gesetz zu Sorgfaltspflichten für multinationale Konzerne.