Bottrop (epd). Am 20. Dezember sieht die Heilige Barbara zum ersten Mal seit Jahren wieder Tageslicht. Zurzeit steht die Schutzpatronin der Bergleute noch in 1.200 Metern Tiefe auf der siebten Sohle des Bergwerks Prosper Haniel in Bottrop. Für den großen Abschiedsgottesdienst, mit dem sich Bergleute, Kirchenvertreter und Politiker vom Steinkohlebergbau in Deutschland verabschieden, wird die Figur ans Tageslicht geholt und feierlich in den Essener Dom getragen. Einen Tag später, am 21. Dezember, wird das letzte aktive Steinkohlebergwerk Deutschlands offiziell mit einem großen Festakt geschlossen.
Die Kirchen in Nordrhein-Westfalen begleiteten den Abschied von der Kohle mit zahlreichen Gottesdiensten und Tagungen, der Gottesdienst in Essen ist der feierliche Abschluss. Seit Jahren besteht zwischen Bergbau und Kirche eine enge Verbindung. Wie eng, das verdeutlicht eine Anekdote von Michael Schlagheck, Direktor der katholischen Akademie Wolfsburg in Mülheim an der Ruhr: Die Barbarafigur sollte schon für die Generalprobe des Abschiedsgottesdienstes nach Essen gebracht werden. "Doch die Verantwortlichen sagten: Es geht nicht, dass die Bergleute an dem Tag zur Arbeit ins Bergwerk runterfahren und die Barbara weg ist."
Traditionsreiche Verbindung
Die Landessozialpfarrerin der Evangelischen Kirche von Westfalen, Heike Hilgendiek, erklärt die Nähe vieler Bergleute zur Kirche mit der Arbeit unter Tage: "Sie hat viele Menschen nachdenklich gemacht, weil man dort besonderen Gefahren ausgesetzt ist und Orte sieht, die Menschen normalerweise nicht zu Gesicht bekommen."
Einen festen Austausch zwischen Kirche und Bergbau gibt es seit 1950 in der Gemeinsamen Sozialarbeit der Konfessionen im Bergbau, heute "Gemeinsam für eine Soziale Arbeitswelt" (GSA). Evangelische und katholische Kirche bieten Seminare für Mitarbeiter des Zechenbetreibers RAG an, in denen es um Arbeitsbedingungen, Kommunikation und das Miteinander im Betrieb geht.
Kampf um sozialverträglichen Strukturwandel
Auch im langen Kampf um die Steinkohle standen die Kirchen an der Seite der Bergleute und setzten sich für einen sozialverträglichen Strukturwandel ein. Als zeitgleich zur Gründung des Ruhrbistums 1958 auch die erste Welle des Zechensterbens im Revier einsetzte, lief der erste Ruhrbischof Franz Hengsbach bei Demonstrationen mit und besuchte Bergleute unter Tage. Das brachte ihm die Ernennung zum Ehrenbergmann ein.
Auch der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) am Niederrhein geriet nach seiner Gründung Anfang der 90er Jahre in die Auseinandersetzung um die Schließung der Zechen. "Wir haben die Bergleute zum Wohl der Region, wo die Bergwerke neben der Stahlindustrie der wichtigste Arbeitgeber waren, beim Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze unterstützt", berichtet der Duisburger Pfarrer Jürgen Widera. Vielen Menschen seien bis heute die großen Solidaritätsgottesdienste in Erinnerung. Über die Besuche in den Zechen seien aber auch persönliche Kontakte entstanden, erinnert sich Widera, der Kinder von Bergleuten getauft und Angehörige beerdigt hat.
DNA des Ruhrgebiets
Für die Arbeit des KDA bedeutet das Ende der Kohle einen tiefen Einschnitt. Die Kirche müsse für ihr künftiges Engagement in der Arbeitswelt neue Formen abseits von Großbetrieben finden, sagt Widera. Wenn die Industrie- und Sozialpfarrer früher eine Zeche besuchten, erreichten sie nach den Worten von Sozialpfarrerin Hilgendiek bis zu 2.000 Leute. "Heute gebe es eher exemplarische Kontakte zu kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden."
Bewährte Formate der GSA seien schon auf andere Berufsgruppen übertragen worden, etwa in Seminaren für Mitarbeitende in Krankenhäusern oder sozialen Einrichtungen, erläutert Hilgendiek. Kirchliche Akademien bieten zudem Seminare für Manager des Industriekonzerns Evonik zum Thema Wirtschaftsethik an. Aber auch die klassische GSA soll in den nächsten drei Jahren in reduziertem Umfang weitergehen und sich mit den Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus beschäftigen, zu denen die Grubenwassererhaltung und die Grundwasserreinigung gehören.
Bestand haben auch andere Traditionen, etwa der Kreuzweg auf der Halde Haniel am Karfreitag. "Wir wollen keine Traditionen aufrechterhalten, die keine Relevanz mehr haben für die Region", sagt Schlagheck. "Aber wir leben Zukunft auch ein Stück weit aus Herkunft." Und Werte des Bergbaus wie Solidarität, Toleranz und Offenheit für Fremde seien in die DNA des Ruhrgebiets übergegangen.
Auch die Heilige Barbara hat nach dem Abschiedsgottesdienst im Essener Dom nicht ausgedient: Sie kehrt zurück in die Tiefen von Prosper Haniel, wo zum Festakt am 21. Dezember die symbolischen letzten Kohlen gefördert werden. In den Wochen und Monaten danach sind schließlich noch einige Bergleute in der Zeche beschäftigt - und wollen nicht auf den Schutz der Heiligen Barbara verzichten.