Rom (epd). Nicht nur im katholisch geprägten Italien war Bernardo Bertolucci lange vor allem wegen seines Skandal-Streifens "Der letzte Tango in Paris" von 1972 berühmt und berüchtigt. Dabei hatten wegen eines Zensurverfahrens ursprünglich nur die wenigsten den Film mit seinen teils gewalttätigen Sexszenen zwischen dem alternden Marlon Brando und der damals 19-jährigen Maria Schneider gesehen. Als es ab 1987 unzensiert erneut in die Kinos kam, wurde das Frühwerk zum Massenerfolg.
Bertolucci galt bis zu seinem Tod im Alter von 77 Jahren am 26. November als letzter Vertreter der Glanzzeit des italienischen Films, die er Anfang der 60er Jahre als Regieassistent von Pier Paolo Pasolini und später als Drehbuch-Co-Autor für Sergio Leones "Spiel mit das Lied vom Tod" miterlebte. Welterfolg mit zahlreichen Oscars errang sein Werk "Der letzte Kaiser" mit Peter O'Toole über das Leben des letzten Kaisers von China, der bereits im Alter von zwei Jahren den Thron bestieg. Auch sein Spätwerk der neunziger Jahre, der mit aufwendiger Ästhetik vor asiatischen Hintergrund inszenierte "Himmel über der Wüste" und "Little Buddha" gewannen ein Millionenpublikum.
Umstrittenes Meisterwerk
In die Filmgeschichte ging der aus einer norditalienischen Künstlerfamilie stammende Bertolucci jedoch mit seinem als revolutionär geltenden Frühwerk ein. So diente der wegen der Gewalt gegen die Hauptdarstellerin umstrittene Sex in "Der letzte Tango in Paris" als ein Mittel des Ausdrucks für Einsamkeit und existenziellen Schmerz.
Wie nah Genuss und Leid einander sind, zeigte Bertolucci wenig später in seinem Monumentalwerk "1900" über die italienische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anhand der Freundschaft eines Landarbeitersohns und eines Großgrundbesitzersohns breitet der Film ein breites Fresko über die Entstehung und den Verlauf des italienischen Faschismus aus zwei Perspektiven aus. Trotz des inneritalienischen Themas wurde das mit Stars wie Robert De Niro, Gérard Dépardieu, Burt Lancaster und Donald Sutherland ursprünglich fünfeinhalb Stunden dauernde Werk zum Kassenschlager.
Opulente Bilder, Gewalt- und Sexdarstellungen machten die vielschichtige Metaphernwelt des letzten italienischen Großregisseurs für ein Massenpublikum attraktiv. Vor diesem Hintergrund breitete er einerseits die Suche der Figuren nach der eigenen Identität, die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit und andere existenzielle Themen als intime Tragödien ab. Andererseits entfaltete der bekennende Marxist die Geschichten in seinen Filmen immer wieder vor dem Hintergrund des italienischen Faschismus.
Verachtung für ein selbstgerechtes Bürgertum
"Es hat mich nie interessiert, historische Filme zu drehen", betonte er 2003, als sein Film "Die Träumer" über eine Dreiecksbeziehung junger Leute vor dem Hintergrund der Pariser Mai-Unruhen von 1968 in die Kinos kam. "Ich wollte immer dafür sorgen, dass die Vergangenheit der Gegenwart gegenübergestellt wird." So habe er sich ursprünglich gewünscht, dass das Finale des Films bis in die Zeit der Unruhen beim G8-Gipfel von Genua reichte, bei dem Jugendliche Opfer massiver Polizeigewalt wurden.
Bereits in seiner ersten internationalen Co-Produktion, der Verfilmung von Alberto Moravias Romanvorlage "Der Konformist" kritisiert Bertolucci eine politische und ethische Gleichgültigkeit des Bürgertums. Jean-Louis Trintignant spielt darin einen faschistischen Spion, der sich nach dem Ende des Mussolini-Regimes nahtlos in die neue Zeit der italienischen Republik einpasst.
Trotz seines Welterfolgs hielt der in Venedig mit einem Goldenen Löwen und in Cannes mit einer Goldenen Palem für sein Lebenswerk geehrte Dichtersohn stets kritischen Abstand zur italienischen Linken, die in ihm einen ihrer namhaftesten Künstler sah. Mit Pasolini, dem Freund seines Vaters und Lehrmeister, einte ihn die Verachtung für ein selbstgerechtes Bürgertum, das angeblich im Namen der Arbeiterklasse dachte und handelte.