Nach den Eskalationen am Rande von rechtsextremen Protesten in Chemnitz hat der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, mehr Engagement gegen Rechts gefordert. Angesichts der Häufung solcher Vorfälle gerade in Sachsen dürfe man nicht mehr von Einzelfällen sprechen, mahnte er. Auslöser für den Aufmarsch in der westsächsischen Stadt war der Tod eines 35-jährigen Deutschen in der Nacht zum 26. August am Rande des Stadtfestes. Ausgangspunkt war unter anderem eine Demo der rechten Bewegung "Pro Chemnitz", an der mehrere Tausend Menschen teilnahmen.

epd: Herr Schuster, kann man die Vorfälle in Chemnitz noch als Alarmsignal deuten - oder ist es dafür schon zu spät?

Schuster: Die Ausschreitungen in Chemnitz bestätigen zwei Befürchtungen: Erstens lässt sich inzwischen eine recht große Zahl an Menschen in kürzester Zeit für eine demokratiefeindliche Demo mobilisieren. Zweitens haben erschreckend viele Menschen keine Hemmung, aufgrund von Gerüchten regelrecht Jagd auf bestimmte Gruppen zu machen und zur Selbstjustiz aufzurufen. Vorfälle dieser Art gibt es gerade in Sachsen so häufig, dass wir nicht von einem Einzelfall sprechen sollten.

epd: Sie warnen seit Jahren, auch angesichts der AfD-Wahlerfolge, vor einem Rechtsruck. Hat man ihre Mahnungen ignoriert?

Schuster: Auch die Verfassungsschützer stellen fest, dass sich die Rechtsextremisten noch stärker radikalisieren und leider auch professionalisieren. Der erste wichtige Schritt zur Eindämmung wäre ausreichender Polizeischutz. Dass die Polizei in Chemnitz auch am 27. August offenbar nicht richtig vorbereitet war, kann ich nicht nachvollziehen. Daneben müssen sich Politik und Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene fragen, ob sie ihre Maßnahmen gegen Rechtsextremismus verstärken müssen.

epd: Was muss die Politik, was muss die Gesellschaft tun, damit Vorfälle wie in Chemnitz Einzelfälle bleiben und sich nicht wiederholen?

Schuster: Wir brauchen mehr Aufklärung, vor allem in den Schulen. Zur aufgeheizten Stimmung trägt meines Erachtens auch erheblich die AfD bei. Daher sollten alle demokratischen Parteien darauf achten, sich die politischen Themen nicht von der AfD diktieren zu lassen. Es muss eine politische Kultur gepflegt werden, die der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirkt.