Der Rechtsextremismusforscher Samuel Salzborn kritisiert eine "katastrophale polizeitaktische Fehleinschätzung" bei den Demonstrationen in Chemnitz am 27. August. Die sächsische Regierung müsse endlich begreifen, dass sie mit ihrem jahrelangen "Nicht-Handeln, Wegsehen und Beschönigungen des massiven Rechtsextremismusproblems letztlich Teil des Problems ist", sagte Salzborn am 28. August dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Was man seit Jahren aus Sachsen erlebe, sei eine Form von Abwehrreflex.

Entweder man habe geglaubt, die Situation am 27. August im Griff zu haben oder man wollte "unter sich" bleiben. "Vielleicht gab es sogar Sympathien mit dem Nazi-Mob auf der Straße", fügte Salzborn hinzu. "Egal, was davon stimmen mag: Jede der Möglichkeiten zeigt, dass Sachsen nicht angemessen gehandelt hat."

In Chemnitz war es am 27. August bei erneuten Demonstrationen wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen gekommen. Ausgangspunkt war unter anderem eine Demonstration der rechten Bewegung "Pro Chemnitz", an der sich nach Schätzungen rund 2.500 Menschen beteiligten. An einer Gegendemonstration beteiligten sich nach Schätzungen rund 1.000 Demonstranten. Auslöser der aufgeheizten Stimmung ist der Tod eines 35-jährigen Deutschen. Gegen die beiden mutmaßlichen Täter, einen 22-jährigen Iraker und einen 23-jährigen Syrer, ergingen Haftbefehle.

"Angst vor dem braunen Mob"

Sachsen müsse begreifen, dass es nicht um das Ansehen oder um sein Image geht. "Nicht nur in Sachsen, sondern deutschlandweit haben Menschen Angst vor dem braunen Mob und der rassistischen Alltagsgewalt." Salzborn: "Wir brauchen die sächsische Einsicht, Amtshilfe bei solchen Demonstrationen anzufordern." Man brauche zudem dringend eine konsequente Strafverfolgung von allen dokumentierten Straftaten in Chemnitz. Der Angriff auf die Demokratie sei nicht mit warmen Worten abzuwehren. "Über die lachen die Rechtsextremisten nur." Der Staat müsse endlich konsequent gegen die gesamte rechte Szene vorgehen, die solcherlei Zusammenrottungen vorbereite und organisiere.

Eine besondere Verantwortung für die erneuten rechten Demonstrationen sieht Salzborn bei der AfD. "Wir erinnern uns an Gauland nach der Bundestagswahl, als er die Vokabel des 'Jagens' gebraucht hat. Wir sehen in Chemnitz, was das praktisch heißt." Die AfD bereite mit ihrer völkischen, rassistischen, antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Hetze die Stimmung, die die Grundlage von solchen rechten Aufmärschen sei, fügte Salzborn hinzu: "Es wäre ein fataler Fehler, diesen Zusammenhang zu ignorieren." Nach der Bundestagswahl im September 2017 kündigte die AfD einen harten Konfrontationskurs an. Man wolle "Merkel jagen", sagte der damalige AfD-Spitzenkandidat und heutige Fraktionschef Alexander Gauland.