Die Kugel hat die Größe eines Fußballs, ist aber aus poliertem Metall. Sie hängt an einem Stahlseil, das weit oben in der Kirchenkuppel befestigt ist. Ruhig und beständig schwingt sie hin und her, wie für die Ewigkeit gemacht. Unter dem Pendel befindet sich eine runde Bodenplatte, die mit einer 360-Grad-Einteilung versehen ist. Pro Stunde wird sie sich um zwölf Winkelgrade drehen. Und mit ihr die Kirche, die Stadt und die Welt.

Wechselspiel von Farben und Formen

Am 17. Juni hat Gerhard Richter der Stadt Münster seine Installation "Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel" übergeben. Diese besteht aus einem Foucault'schen Pendel mit einer 48 Kilogramm schweren Metallkugel, die an einem knapp 29 Meter langen Stahlseil von der Kuppel der Dominikanerkirche hängt und auf einer Bodenplatte aus 380 Millionen Jahre altem Sedimentgestein die Erdrotation abbildet. Hinzu kommen vier rechteckige, sechs Meter hohe Glastafeln, die paarweise vor den Wänden der Kuppel angebracht sind. In ihnen spiegeln sich die Bewegungen des Pendels, der Kirchenraum und die Besucher, so dass ein Wechselspiel von Farben und Formen entsteht.

"Erwartungen sind bei weitem übertroffen"

Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) zeigte sich von dem Kunstwerk begeistert. "Meine Erwartungen sind bei weitem übertroffen", sagte er bei der Übergabe. Es entspreche dem Geist einer profanierten Kirche, sich mit Anfang, Grenzen und Beschaffenheit der Welt auseinanderzusetzen. Gail Kirkpatrick, Leiterin der Kunsthalle Münster, betonte die Wirkung der spiegelnden Glastafeln, die "zwischen Malerei, Skulptur, Architektur und Tableau Vivant oszillieren".

Die Installation ist ein Geschenk Richters an die Stadt Münster. Realisiert wurde sie in der Dominikanerkirche, die Anfang des 18. Jahrhundert erbaut und im November 2017 profaniert wurde. "Dass das jetzt wie geplant gelungen ist, ist ein Geschenk auch für mich", sagte der Künstler. Es ist nicht die erste Kirche, in der er sich künstlerisch betätigte. 2007 hatte er im Kölner Dom das aus über 11.000 farbigen Glasplatten bestehende "Richter-Fenster" geschaffen.

Richter gehört zu den renommiertesten zeitgenössischen Künstlern. Um seine Schenkung macht er wenig Aufhebens. Die Kosten für die Installation und die dafür nötigen Sanierungsarbeiten in der Kirche hat die Stadt übernommen. Sie betrugen 650.000 Euro, von denen 600.000 Euro durch Zuschüsse und Zahlungen von Stiftern abgedeckt wurden.

Richter rühmt schönes Bauwerk

Dass er sich für die westfälische Studentenstadt entschieden hat, verdankt sie Kaspar König, Leiter der alle zehn Jahre in Münster stattfindenden "Skulptur Projekte". Der ehemalige Chef des Museums Ludwig wusste, dass Richter ein Foucault'sches Pendel realisieren wollte und stellte 2016 den Kontakt her. Richter wurde zunächst ein stillgelegter Gasometer als Standort vorgeschlagen. Der entsprach aber nicht seinen Vorstellungen. Wesentlich besser gefiel ihm die Dominikanerkirche, die der Stadt Münster gehört. "Als ich dieses sehr schöne Bauwerk sah, war ich sofort begeistert und überzeugt, dass das der richtige Ort ist", sagte der 1932 in Dresden geborene und heute in Köln lebende Künstler.

Ausbau zum Kulturzentrum

Bei der Stadt kam das Projekt ebenfalls gut an, und der Rat winkte es im Oktober 2017 einstimmig durch. "Richter will den Kirchenraum durch sein Kunstwerk nicht musealisieren", erklärt die städtische Kulturdezernentin Cornelia Wilkens. Vielmehr soll die Installation im Zusammenspiel mit der neuen Nutzung des Raumes für alle erfahrbar sein. So will man in der ehemaligen Kirche künftig kleinere Konzerte, Vorträge, Lesungen und Empfänge veranstalten. Vor ihrer Profanierung wurde die zentral gelegene Dominikanerkirche von der katholischen Universitätsgemeinde genutzt.

An der Realisierung des Foucault'schen Pendels waren auch Physiker der Universität Münster beteiligt. Sie haben den Antrieb entwickelt, der das Pendel in Bewegung hält. Erzeugt wird der Impuls durch eine im Boden eingelassene Spule, deren Magnetfeld auf die Kugel wirkt. Ein Ring unter der Aufhängung sorgt dafür, dass sich keine Einflüsse von außen störend auf die Schwingungen des Pendels auswirken.

Mit der feierlichen Übergabe sind die Bauarbeiten in der Dominikanerkirche allerdings nur vorläufig beendet. Die Stadt plant für 2019/20 eine umfassende Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes. Dafür veranschlagt sie eine Summe von 3,7 Millionen Euro, von denen sie bis zu 60 Prozent mit Fördermitteln bestreiten will.