Die unscheinbare Abreiß-Fahrkarte mit dem Aufdruck "Köln - Aachen 23.4.1933" verweist auf eine Geschichte auf Leben und Tod. Auf der Rückseite findet sich die handschriftliche Notiz des jüdischen Fotografen Walter Zadek: "Die Fahrkarte in die Freiheit. Absichtlich zur Täuschung Rückfahrt gekauft. Von Aachen mit Taxi ins Niemandsland". Zadek floh über die grüne Grenze in die Niederlande und weiter nach Palästina.

Das Miniaturexponat ist eines von rund 250 Originalen aus Nachlässen von Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschland verlassen mussten. Nun können die Exponate besichtigt werden: Das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main eröffnete die Dauerausstellung "Exil. Erfahrung und Zeugnis".

Ihre Welt zurückgelassen

Die Schau veranschauliche den Alltag, die Situation der Familie, den beruflichen Auf- oder Abstieg, die eigene Sprache und fremde Sprachen, Widerstand gegen den Nationalsozialismus und schließlich die Frage nach Rückkehr oder Bleiben, erläutert die Leiterin des Deutschen Exilarchivs, Sylvia Asmus. Auf 400 Quadratmetern in der Dauerausstellung und daneben in der gleichgroßen Wechselausstellung werden Notizzettel, Fotos und Objekte gezeigt. Dazu gehört etwa ein handschriftlicher Brief des Schriftstellers Franz Werfel (1890-1945) an seine Eltern von Bord eines Schiffes kurz vor der Ankunft in New York. Er berichtet über die geglückte Flucht und hat den Satz unterstrichen: "Weitaus das Allerschlimmste dabei aber war, Euch zurücklassen zu müssen."

Zurücklassen mussten die Exilanten nicht nur die Liebsten, sondern alles, was ihre Welt bislang ausmachte. Von der jüdischen Rechtsanwältin Clementine Zernik (1905-1996), die 1938 aus Wien in die USA floh, ist ein Holzkästchen zu sehen. Darin hat sie Erinnerungsstücke gesammelt, Postkarten, Fotos, Fahrkarten, Eintrittskarten zu den Salzburger Festspielen, die sie mit ins Exil nahm - materiell wertlos, aber die Vergewisserung ihres bisherigen Lebens. Wie sehr die Vertreibung Emigranten verbitterte, macht ein Brief Albert Einsteins (1879-1955) an seinen früheren deutschen Verleger von 1950 deutlich: Der Physiker verweigerte dem Verleger die Herausgabe seiner Bücher in Deutschland.

"Erde vom Grab meiner lieben Mutter"

Die Schau bietet neben den chronologischen Kapiteln "Auf der Flucht", "Im Exil" und "Nach dem Exil" acht biografische Einstiege. Eine Persönlichkeit davon ist die Journalistin und Schriftstellerin Stefanie Zweig (1932-2014), die in Erinnerung an ihre Kindheit im Exil in Kenia den Bestsellerroman "Nirgendwo in Afrika" schrieb. Ein unscheinbares graues Säckchen, etwa zwei mal vier Zentimeter, liegt unter Glas: "Erde vom Grab meiner lieben Mutter", hatte Stefanies Vater Walter 1938, dem Jahr der Flucht aus Oberschlesien, wohl mit Abschiedsschmerz geschrieben.

Fotobücher von Stefanie Zweig geben einen Eindruck vom fremden Land der Zuflucht und vom ersten Winter zurück in Deutschland 1947. Die alte Heimat war für immer verloren. Stefanies Eltern kehrten nicht nach Leobschütz zurück, das war polnisch geworden, sondern landeten in Frankfurt am Main. Sie selbst musste ihre Heimat Kenia verlassen und fand sich in Deutschland in der Fremde.

Flüchtlinge im Mittelmeer

Eine aktuelle Fotoinstallation zeigt ein Flüchtlingsschiff voller Menschen, von dem einzelne in ein Boot auf dem Mittelmeer hinabsteigen. Die Installation wechselt von Farbe in Schwarz-Weiß und gleicht dann verblüffend dem Motiv von Fotos in einer Vitrine: Der geflohene Fotograf Walter Zadek nahm 1939 die illegale Landung eines Frachters mit 850 Flüchtlingen vor Tel Aviv auf. Die Menschen waren nicht willkommen, die britische Verwaltung hatte die Einwanderung von Juden nach Palästina verboten.

Die Ausstellung habe traurige Aktualität, erklärt Archivleiterin Asmus. Dadurch spreche die Epoche des Exils 1933 bis 1945 den Betrachter heute unmittelbar an. Die Emigranten gäben ein Beispiel, wie man mit extremen Situationen umgehen könne. Es zeige sich, wie überlebensnotwendig Familienzusammenhalt und Freundschaften seien. "Man blickt dann anders auf sein eigenes Leben", sagt Asmus. "Und man erkennt, wie wichtig es ist, Kontakte zu halten."