Wer die Halle mit den Neuerwerbungen der Kunstsammlung des Bundes ansteuert, hört die Klänge der deutschen Nationalhymne. Das klingt vertraut - und sehr deutsch. Oder doch nicht? Je näher der Besucher der dunklen Nische mit den versteckten Lautsprecherboxen kommt, desto weniger versteht er. Denn die Toninstallation des nigerianischen Künstlers Emeka Ogboh lässt die deutsche Hymne in zehn afrikanischen Stammessprachen erklingen.

Ogbohs Arbeit ist gleichsam Programm der Ausstellung "Deutschland ist keine Insel. Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland", die seit 8. März in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist. "Deutschland ist ein sehr internationales Kunstland", sagt Stefan Berg, Mitglied der fünfköpfigen Expertenkommission, die von 2012 bis 2016 rund 170 Werke für den Bund angekauft hat. Die Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Fotografien und Videoarbeiten sollen einen Überblick über die aktuelle Kunstproduktion in Deutschland geben. 150 von ihnen werden bis zum 27. Mai in der Bundeskunsthalle präsentiert - "im Sinne eines Rechenschaftsberichts", wie Bundeskunsthallenchef Rein Wolfs sagt.

Etwa alle fünf Jahre präsentiert der Bund die neusten Ankäufe seiner Sammlung, die das Ziel hat, die Entwicklungen der Kunst in Deutschland festzuhalten. Ausgewählt werden die Werke von einer fünfköpfigen Expertenkommission, die alle fünf Jahre neu berufen wird. Dabei entwickelt jede Kommission eigene Schwerpunkte. Die jüngste Jury investierte das Budget von rund 400.000 Euro pro Jahr vor allem in Werke, die den "multikulturellen Ort Deutschland beschreiben", wie Wolfs sagt.

Ganz neu ist diese Entwicklung nicht. Denn spätestens seit sich Berlin nach der Wiedervereinigung zur globalen Kunstmetropole mauserte, könne von deutscher Kunst eigentlich nur noch als "Kunst aus Deutschland" gesprochen werden, sagt Wolfs. Die von der Kommission angekauften Werke stammen zwar von in Deutschland lebenden Kreativen. Viele der 81 in Bonn präsentierten Künstler haben jedoch einen ausländischen Pass.

So bilden neben der Klanginstallation des Nigerianers Ogboh Arbeiten des Niederländers Erik van Lieshout den Auftakt der Ausstellung. Lieshout thematisiert den Flüchtlingszuzug in Zeichnungen und Collagen. Mittendrin: ein Porträt Angela Merkels mit knallrotem Mund und angstvollen, dunkel geränderten Augen. Der Titelsatz der Ausstellung "Deutschland ist keine Insel" stammt von der Bundeskanzlerin.

Der Blick auf die deutsche Realität war laut Berg einer der Themenschwerpunkte bei den Ankäufen der Kommission. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die 1968 geborene Künstlerin Antje Majewski etwa verwendet als Motive für ihre Gemälde Schnitzereien, die von den Gefangenen des Konzentrationslagers Ravensbrück hergestellt wurden. Das irisch-israelische Künstler-Duo Clegg&Guttmann zeigt die Großaufnahme eines Regals der Kinderbücherei Pritzwalk, das mit DDR-Kinderliteratur gefüllt ist.

Eine aktuelle Entwicklung machten die Ankäufer auch beim Einfluss der Digitalisierung auf die Bildwelten aus. Ein Beispiel ist die in Berlin lebende russische Künstlerin Viktoria Binschtok, die Suchmaschinenergebnisse nach Bildern aus dem Internet zur Produktion neuer, zusammengesetzter Bilder nutzt.

Zu der Expertenkommission der Ankaufsperiode bis 2016 gehörten neben dem Bonner Kunstmuseums-Direktor Berg die Chefin der Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Susanne Gaensheimer, die Leiterin der Kieler Kunsthalle, Anette Hüsch, der Chef des Münchner Lenbachhauses, Matthias Mühling und die Leiterin der Kunsthalle Berlin, Svenja von Reichenbach.

Die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland wurde 1970 auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) gegründet. Die Sammlung umfasst mittlerweile rund 1.750 Werke und wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), verwaltet.