"Ach, ich kann nicht anders, ich möcht mich tot singen wie eine Nachtigall", schrieb Robert Schumann an seine geliebte Clara. Sein produktives "Liederjahr" 1840 steht im Fokus des Festivals "Heidelberger Frühling" im März/April. Die Veranstalter wollen einer Kunstform mehr Geltung verschaffen, die lange als bedroht galt, aber plötzlich zarte Ansätze neuer Lebendigkeit zeigt: dem Lied. Junge Künstler wenden sich ihm wieder stärker zu, auch Festivals öffnen sich, nicht nur in Heidelberg.

Tenor Christoph Prégardien, häufig mit Liedern von Schubert, Schumann wie auch von modernen Komponisten auf der Bühne, ist fasziniert von der "intimen Kunstform", die Poesie und Klang verbindet. Aber er kennt auch das Problem: "Gab es vor 20 Jahren Liedreihen in allen deutschen Großstädten, so sind es heute nur noch einzelne Liederabende", sagt er. Jedoch gebe es auch eine "Gegenbewegung", die mit dem von Initiativen geförderten Singen in Schulen und Kindergärten beginne.

"Junge Bewegung"

"Es gibt eine neue junge Bewegung", sagt auch der Intendant des Heidelberger Festivals, Thorsten Schmidt: Einerseits entstehe das Interesse am Lied durch das eigene Singen, und das nehme wieder zu. Zum anderen dächten junge Künstler über "neue Formate" nach. Und das Lied eigne sich gut für multimediale Präsentationen.

Auch neue Wettbewerbe rücken das Lied wieder stärker in den Fokus. Die Frankfurter Sängerin und Professorin Hedwig Fassbender verweist auf den Grazer Wettbewerb, die Hugo-Wolf-Gesellschaft in Stuttgart und die Deutsche Lied-Akademie in Trossingen. Mit Wettbewerben, die durch Live-Streaming und Mediatheken mehr Zuhörer erreichen könnten, steige auch das Interesse des Publikums, sagt Fassbender: "Das Lied erfreut sich nach einem Dornröschenschlaf wieder wachsender Beliebtheit."

Das Heidelberger Festival hat unter dem Namen "Neuland.Lied" einen Schwerpunkt moderner Liedinterpretation geschaffen. "Darin liegt eine Chance, dass wir das Lied befreien aus der Nische des 'Kunstlieds'", sagt Intendant Schmidt.

Am Anfang war Schubert

Die "Kunstlied"-Nische in den Konzertsälen sah oft so aus: Ein Sänger, ein Flügel, eine meist kleine, gediegene Zuhörerschaft. Neben Prégardien stehen heute Namen wie Christian Gerhaher, Thomas Hampson, Sarah Maria Sun und Christine Schäfer für exzellenten Liedgesang. Das Repertoire reicht von den Romantikern über Brahms, Strauss, Mahler und Wolff bis hin zu Wolfgang Rihm und Aribert Reimann.

Entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das Kunstlied aber vor allem mit Franz Schubert verbunden, der rund 660 Lieder komponierte. Seine ein Jahr vor seinem Tod entstandene "Winterreise" (1827) gilt heute als Meilenstein der Gattung - der romantische Liederzyklus schlechthin.

"Im Lied geht es um das zutiefst Menschliche - um Liebe, Tod, unerfüllte Wünsche, Sehnsucht, um Gott und Glauben, um das, was den Menschen im Innersten bewegt", sagt Prégardien. Lied-Hörer müssten innerlich darauf vorbereitet sein, sich einlassen und Emotionalität zulassen können. Auch junge Leute lassen sich nach seiner Erfahrung davon berühren, wenn der Rahmen weniger bildungsbürgerlich steif ausfällt.

Es braucht ein neues Setting, findet der Kölner Gesangsprofessor. Zwei Leute im Frack auf einem Podest, da sei die Hemmschwelle groß. Aber wenn Künstler auf "Tuchfühlung" mit dem Publikum seien, dann komme "emotionaler Impact" zustande. Wichtig sei auch das Gespräch danach, viele Menschen wollten über das Erlebte reden.

"Verknöchert"

Hedwig Fassbender, die im Frankfurter Goethehaus die Reihe "Lied und Lyrik" gestaltet, sieht es genauso: Es sei absolut notwendig, "den etwas verknöcherten klassischen Liederabend-Aufbau zu brechen". Etwas alt-bekannt Wertvolles könne durch die Kombination mit Neuem oder Ungewohntem neu beleuchtet werden. Im Goethehaus lesen Sänger die Gedichte auch vor.

Andere Musiker suchen neue Zugänge zum Lied, indem sie die politische Dimension betonen. So wird gerade die "Winterreise", die oft mit deutscher Innerlichkeit und romantischem Gefühl assoziiert wird, in jüngster Zeit immer wieder in den Kontext von Asyl und Obdachlosigkeit gestellt.

Am Neckar nimmt unterdessen - schneller als erwartet - ein Projekt Gestalt an, das dem Lied weit über die Landesgrenzen hinaus mehr Aufmerksamkeit verschaffen soll: das Internationale Kompetenzzentrum Lied, "Villa Abegg" genannt als Hinweis auf Schumanns "Abegg-Variationen". Derzeit liefen Gespräche über eine Immobilie, sagt der Intendant des "Heidelberger Frühlings", dessen Liedzentrum die Keimzelle des neuen Hauses sein soll. Eine Stifter-Familie habe die Idee mit großer Begeisterung aufgegriffen und ihre finanzielle Unterstützung zusagt.

Aber zunächst steht in Heidelberg "Neuland.Lied" an. Dabei soll es 2018 um "Eigen-Arten" gehen, um Identitäten. Mit Schumann als Gewährsmann und seinen Liedern voller Widersprüchlichkeit, Heimatlosigkeit und Sehnsucht, Angst und Hoffnung.