Die eine Frau mit Mischlingshund, die andere mit Einkaufstüte - beide kommen aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen. An der Weltzeituhr treffen sich die zwei Freundinnen. Hier wartet auch ein alter Mann mit einem blinden Auge und barfuß durch den Regen watend. Er hofft mit seinem Pappbecher auf die Mildtätigkeit der Touristen, die das markante Bauwerk bewundern. Und ein Rentner, der im brandenburgischen Templin wohnt, aber bald zu seinem Sohn nach Hamburg zieht, hält zum letzten Mal an dieser Stelle Ausschau nach einem Freund. "Auf die Minute kommt's nicht an", schwäbelt er.

Diese und unzählige andere Menschen profitieren täglich von der zehn Meter hohen Attraktion. Das zu DDR-Zeiten "Symbol des technischen Fortschritts" ist nicht zu übersehen und seit 50 Jahren ein beliebter Treffpunkt auf dem Berliner Alexanderplatz.

Erich John kennt zahllose solcher Treffpunkt-Szenen. Der Designer, 1932 in Kartitz in Tschechien geboren, hat die Weltzeituhr entworfen. Hin und wieder besucht er sein Lebenswerk. Die 16 Tonnen schwere Weltzeituhr galt auch als ein Identifikationsobjekt für viele DDR-Bürger. Der sozialistische Staat ließ sich das Bauwerk knapp 500.000 Ost-Mark kosten. Am 30. September feiert die Uhr ihren runden Geburtstag. Eine Stunde habe die Einweihungsfeier mit der Schlüsselübergabe an den Oberbürgermeister von Ost-Berlin 1969 gedauert, erinnert sich John heute.

Auf der sechs Meter breiten Uhr kann man die aktuelle Zeit von 146 Städten auf allen Kontinenten ablesen. Ihre Namen sind in Aluminiumplatten eingraviert. Jede der 24 Seiten an der Uhr entspricht einer der 24 Zeitzonen der Erde, die metallenen Längsstreben fungieren als Uhrzeiger. Darüber kreist ein Mal pro Minute ein vereinfachtes Sonnensystem mit Planeten, dargestellt durch Kugeln. Die Technik für den Antrieb befindet sich unterirdisch.

Für den einstigen Professor für Formdesign an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee war die Weltzeituhr eine Riesenherausforderung. In neun Monaten sollte sie fertig sein, pünktlich vor dem 20. Gründungstag der DDR am 7. Oktober. Nach kurzer Bedenkzeit nannte der Erfinder seine Bedingungen, um dem Auftrag zuzustimmen: Ungehinderter Materialkauf, Bereitstellung von Feierabendbrigaden und Platz zum Bauen. Ost-Berlin willigte ein. Gleichzeitig bauen und konstruieren, Probleme bei der Materialbeschaffung lösen, Kugellager für 10.000 D-Mark aus dem Westen kaufen: "Es war das stressigste Jahr meines Lebens", bewertet der rüstige Rentner das Bauprojekt rückblickend.

Wie wichtig der DDR die Weltzeituhr als Prestigeobjekt war, lässt sich auch daran erkennen, dass die Arbeiter mit 15 Ost-Mark pro Stunde ungewöhnlich gut bezahlt wurden. Wichtig war, dass der Alexanderplatz nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert und wieder glänzen konnte.

John hat den Arbeitsprozess dokumentiert. Er hatte Zeichnungen und ein Modell angefertigt. Letzteres sei spurlos verschwunden, bedauert er. Er habe jemanden in Verdacht, könne es aber nicht beweisen. Auf einer Fensterbank bei ihm zu Hause steht mittlerweile ein neues handgroßes Modell der Weltzeituhr, das aktuell 30 Euro koste. In diesem Jahr wurden die Vermarktungsrechte für das Berliner Wahrzeichen freigegeben. Seitdem gibt es zahlreiche Souvenirs. John verfügt aber über die Urheberrechte der Weltzeituhr, die seit 2015 unter Denkmalschutz steht.

1997 wurde das Bauwerk für 245.000 Euro restauriert und um einige Städtenamen aktualisiert oder erweitert. Aus Leningrad wurde Petersburg und aus Alma Ata wurde Almaty. Die Städte Tel Aviv und Jerusalem sind seitdem ebenfalls auf der Weltzeituhr vertreten.

Im Sommer sind Touristen beim Blick auf die Uhr verwirrt, weiß die Mitarbeiterin im Info-Kiosk nebenan. Die Sommerzeit ist nur auf den kleinen Uhren am Sockel zu sehen und stimmt nicht mit der großen Uhr überein. "Ich finde die Zeitumstellung umständlich, sie bringt nichts. Meine Empfehlung ist, sie sollen die Physik der Erde übernehmen und nichts anderes", sagt John.

Das Wohnhaus des Designers am Rande Berlins gleicht unterdessen einem kleinen Museum. Zu sehen sind Momentaufnahmen seiner Schaffensfreude: Von der Erika-Schreibmaschine bis zu Schülermikroskopen und Cocktailshakern, die er entworfen hat. Die Wände sind dekoriert mit Bildern - etwa Porträts von Menschen, die er mit seiner Frau während etlicher Reisen kennengelernt, fotografiert und dann in seinem Atelier unterm Dach gemalt hat. Auch wenn die Johns viel rumgekommen sind in der Welt, die 146 Städte der Weltzeituhr werden sie nicht schaffen zu bereisen, sagt der Designer.

Zeit bleibe für ihn "präzise und unfassbar zugleich", sagte der Erschaffer der Weltzeituhr. Wenn John anfängt, die Zusammenhänge der Planeten mit ihren Millionen Lichtjahren Entfernungen zu beschreiben, dann schließt er die Augen. Alles unvorstellbar. Gemessen daran nimmt für den 87-Jährigen die Menschheit gerade einmal die Dauer eines Blitzes ein.