Kirchen

Kirchen rufen zum Jahreswechsel zu Respekt und Zuversicht auf




Silvesternacht 2023 in Frankfurt am Main
epd-bild/Tim Wegner
Sich Zeit nehmen, zuhören und das Gegenüber verstehen: Zum Jahreswechsel haben die Kirchen zu Offenheit und Zuversicht aufgerufen. Auch Bundeskanzler Scholz betonte in seiner Neujahresansprache die Kraft des Miteinanders.

Frankfurt a.M. (epd). Die Kirchen haben zum Jahreswechsel zu gegenseitigem Respekt und Zuversicht aufgerufen. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, mahnte für 2025 eine „Kultur der Offenheit“ an. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, betonte in seiner Predigt am Silvestertag in Frankfurt am Main die Kraft der Hoffnung. Diese entfalte sich gerade „in Zeiten der Ernüchterung, der Irritation und Verunsicherung“, sagte der Limburger Bischof.

Hoffnung sei etwas anderes als Optimismus, sondern vielmehr das „Zutrauen, dass mein eigenes Leben sinnvoll ist und einem Ziel entgegenstrebt“, sagte Bätzing laut Redetext. Hoffnung setze ungeahnte Kräfte frei.

Es sei offensichtlich, dass Menschen hierzulande und weltweit zunehmend bedrückt leben und angesichts der Konflikte und Krisen zunehmend pessimistisch, angstvoll und wenig zuversichtlich in die Zukunft blicken, räumte Bätzing ein. Hoffnung aber sei „das Gegenbild von Furcht und Verzweiflung“.

Fehrs: Keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme

Die EKD-Ratsvorsitzende Fehrs warnte in ihrer Botschaft zum Jahreswechsel auch vor einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Man solle sich „Zeit nehmen. Zuhören. Verstehen wollen. Tiefer durchdringen“, erklärte die Hamburger Bischöfin. Dies sei auch ein Ausdruck gegenseitiger Achtung.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki rief im Silvestergottesdienst im Kölner Dom zu Solidarität und zum Einsatz für die Gemeinschaft auf. Die Gesellschaft werde „zusammengehalten durch gelebte und praktizierte Subsidiarität, durch Solidarität und Gemeinwohlorientierung“, sagte der Kölner Erzbischof laut Redetext. Die Währung für ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander sei der respektvolle Umgang miteinander.

Er sei überzeugt, dass Respekt und Solidarität zu größerer Gerechtigkeit im Gemeinwesen führen, sagte Woelki. Gerechtigkeit schaffe Frieden. Christen seien beim Ringen und Suchen nach der Gestaltung der Welt „auf ein verlässliches Fundament gestellt“.

Scholz ruft zu Zusammenhalt auf

Der bayerische evangelische Landesbischof Christian Kopp mahnte in seiner Predigt zur biblischen Jahreslosung 2025, „Prüft alles und behaltet das Gute“, Toleranz für unterschiedliche Lebensweisen an. Unter einer sehr vielschichtigen Gesellschaft würden manche Menschen leiden, sagte Kopp laut Redemanuskript am Neujahrstag in der Matthäuskirche in München. „Die hohe Zustimmung zu extremistischen und rechtsextremen Positionen, die von nationalistischen Zusammenführungen träumen, sind auch darauf zurückzuführen.“ Es müssten aber alle lernen, ihren Weg zu gehen und die Lebensweisen der anderen auszuhalten.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief zum Jahreswechsel zu Zusammenhalt auf. Kraft entstehe aus Zusammenhalt, sagte der Regierungschef in seiner Neujahrsansprache, die am Silvesterabend ausgestrahlt wurde. Deutschland sei kein Land des Gegeneinanders oder „Aneinandervorbeis“, sondern ein Land des Miteinanders. Daraus könne man Kraft schöpfen - „erst recht in schwierigen Zeiten wie diesen“, sagte Scholz.

Dass die Menschen in Deutschland zusammenhielten, sei nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember „eindrucksvoll“ zu spüren gewesen, lobte der Bundeskanzler.



Kirchen starten Kampagne zur Bundestagswahl



Dresden (epd). Mit einer bundesweiten Kampagne wollen die evangelische und katholische Kirche vor der Bundestagswahl für Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt in der Gesellschaft werben. Unter dem Motto „Für alle. Mit Herz und Verstand“ soll die Bevölkerung dazu aufgerufen werden, durch aktive Teilnahme an den Wahlen die Demokratie zu stärken und extremistischen Positionen entgegenzuwirken, wie die sächsische Landeskirche als Initiatorin am 3. Januar in Dresden mitteilte.

Die katholische Kirche in Sachsen ist Co-Initiatorin. An der Kampagne beteiligen sich aber deutschlandweit mehrere Landeskirchen, Bistümer und kirchliche Verbände, darunter etwa die mitgliederstärksten Landeskirchen aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. Von katholischer Seite unterstützen die Bistümer Osnabrück, Würzburg und Trier die Kampagne.

fuer-alle.info

Start ist am 6. Januar in Dresden. Geplant sind den Angaben zufolge Social-Media-Aktionen und Online-Formate, Plakate, Banner, Postkarten, Anstecker und eine eigene Internetseite mit dem Titel fuer-alle.info. In Sachsen war die Kampagne bereits im vergangenen Jahr vor der Landtagswahl entstanden.

Nach einem Jahr mit wichtigen Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen, bei denen die Frage nach dem Wert der Demokratie ein zentrales Thema war, werde die Kampagne zur Bundestagswahl nun bundesweit ausgerollt, hieß es. Die vorgezogene Bundestagswahl findet am 23. Februar statt.



Heilige Könige, die Segen bringen und Spenden sammeln




Dirk Bingener
epd-bild /Tim Wegner

Aachen (epd). Am 6. Januar feiern katholische Christen das Fest der „Heiligen Drei Könige“. Rund um diesen Tag sind auch die Sternsinger unterwegs, bringen Segen und sammeln Spenden. Was es mit diesem Brauch auf sich hat und warum Kinder begeistert mitmachen, erklärt der Präsident des Kindermissionswerkes „Die Sternsinger“, Dirk Bingener, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Rund um den 6. Januar ziehen die Sternsinger von Tür zu Tür und sammeln Spenden für Kinder in Not in aller Welt. Was hat die Aktion Dreikönigssingen eigentlich mit den Heiligen Drei Königen zu tun?

Bingener: Das Sternsingen ist ein alter Brauch, der bis ins Mittelalter zurückreicht. Als Könige gekleidet zogen Jungen durch die Gassen und spielten den Zug zur Krippe nach. Das Kindermissionswerk hat den Brauch 1959 mit der Aktion Dreikönigssingen wieder aufgegriffen. 1961 ist als weiterer Träger der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) hinzugekommen. Die Kinder bringen heute den Segen des neugeborenen Königs Jesus Christus in die Häuser der Menschen und sammeln gleichzeitig für ihre Altersgenossen in 100 Ländern der Erde. Und die Aktion ist eine wahre Erfolgsgeschichte: Seit dem Start im Jahr 1959 kamen beim Dreikönigssingen insgesamt rund 1,36 Milliarden Euro zusammen, mit denen wir Projekte für benachteiligte und Not leidende Kinder in Afrika, Lateinamerika, Asien, Ozeanien und Osteuropa fördern konnten.

epd: Die Sternsinger schreiben bei ihrem Besuch mit Kreide die Zeichen CMB an das Haus. Steht das für die Namen der drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar oder was bedeutet das?

Bingener: Die Buchstaben C, M und B stehen heute für die lateinischen Worte „Christus Mansionem Benedicat“ - Christus segne dieses Haus„. Bei der aktuellen Aktion schreiben die Sternsinger den Segen 20 * C + M + B + 25 mit gesegneter Kreide über die Türen. Das aktuelle Jahr, also 2025, steht getrennt am Anfang und am Ende. Der Stern steht für den Stern, dem die Weisen aus dem Morgenland gefolgt sind. Zugleich ist er Zeichen für Christus. Ursprünglich standen die Buchstaben C, M und B für die Initialen der Heiligen Drei Könige: Caspar, Melchior und Balthasar. Heute werden sie als die Worte “Christus Mansionem Benedicat" gedeutet. Die drei Kreuze bedeuten die Dreifaltigkeit: im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

epd: Was reizt Kinder, bei der Aktion Dreikönigssingen als Sternsinger mitzumachen?

Bingener: Kinder und Jugendliche, die sich an der Aktion beteiligen, spüren, dass sie etwas bewirken können. Denn sie bringen den Segen zu den Menschen und spüren deren Freude über den Besuch. Gleichzeitig werden sie zum Segen für benachteiligte und Not leidende Kinder in aller Welt, indem sie Spenden sammeln. Nur durch den Einsatz der Sternsinger sind wir in der Lage, rund 1.100 Projekte für Mädchen und Jungen weltweit zu unterstützen. Das ist einfach großartig!

Wie hoch die Beteiligung bei der laufenden Aktion ist, können wir jetzt noch nicht sagen. Wir spüren aber wieder ein großes Engagement in den Gemeinden und Sternsinger-Gruppen. Beim Blick auf die vergangenen Spendenergebnisse (46 und 45,5 Millionen Euro) gehen wir bundesweit von einem gleichbleibenden Engagement auf hohem Niveau aus und sind zuversichtlich, dass die Sternsinger auch diesmal wieder ein tolles Spendenergebnis erzielen.

epd-Gespräch: Esther Soth


Kulturrat: Kirchen sind Allgemeingüter




Olaf Zimmermann (Archivbild)
epd-bild/Rico Thumser

Frankfurt a.M., Berlin (epd). In der Diskussion um die Umnutzung von Kirchengebäuden hat sich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, gegen eine kommerzielle Verwendung ausgesprochen. Kirchen sollten keine Restaurants oder Kletterhallen werden, sondern weiter für die Gesellschaft genutzt werden, sagte Zimmermann dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Kirchen sind Allgemeingüter“, betonte er. „Sie gehören gefühlt allen.“

Kirchengebäude seien stilprägend für Orte und für das ganze Land, unterstrich Zimmermann. Selbst in Gegenden, wo die Entchristianisierung weit fortgeschritten sei, sagten Bewohner: „Ohne die Kirche kann ich mir mein Dorf nicht vorstellen.“ Kirchen seien Landmarken. Die Frage, was mit kirchlich nicht mehr genutzten Sakralgebäuden geschehe, sei eine zutiefst kulturelle Frage und dürfe nicht allein von Kirchenleitungen beantwortet werden. Das im vergangenen Mai veröffentlichte „Kirchenmanifest“ mit der Forderung „Kirchen sind Gemeingüter!“ sei inzwischen von rund 20.000 Menschen unterschrieben worden.

„Orte der Ehrfurcht und Kraft“

Leerstehende Kirchengebäude sollten auch nicht abgerissen werden, forderte Zimmermann: „Sie sind keine normalen Orte, sondern Orte der Ehrfurcht und Kraft.“ Die Gebäude könnten Raum für kulturelle Aktivitäten, wie etwa die Proben eines Gesangsvereins, bieten. Im Sommer könnten sie als kühle Räume der Allgemeinheit zur Erholung dienen. Auch die Kirchen könnten an einer profanen Nutzung Interesse haben: Die Fenster, Bilder und Gesangbücher strahlten die Kirchenkultur aus. „Früher haben Fenster die Geschichte der Kirche erzählt“, sagte Zimmermann. „Warum nicht auch heute?“ Die Kirchen könnten die Kraft der Kunst wirken lassen.

epd-Gespräch: Jens Bayer-Gimm


Klettern im Kirchenschiff




Umbauarbeiten in der Kirche St. Michael in Bad Orb
epd-bild/Tim Wegner
Die Kirche St. Michael in Bad Orb stand jahrelang leer, weil die Heizung kaputt und der Turm marode war. Ab April sollen die Menschen zum Klettern statt zum Beten kommen.

Bad Orb (epd). Helle Balken ragen weit in den Raum, große Buntglasfenster werfen je nach Lichteinstrahlung ihre roten, blauen oder gelben Töne auf die 13 Meter hohen Wände, eine Säge kreischt laut auf. Die katholische Kirche St. Michael im hessischen Kurstädtchen Bad Orb sieht von außen aus wie eine Kirche, im Inneren dagegen ist es eine Baustelle. Handwerker bauen das ehemalige Kirchenschiff zu einer Boulderhalle um, einem Zentrum für Kletterer.

„Wir hatten beide die gleiche Idee“, erzählt Marc Ihl und meint damit sich, seinen Freund Marco Köhler und die Zukunft der Kirche. Die war seit 2016 geschlossen, als die beiden Hobby-Kletterer Ihl und Köhler gemeinsam mit ihren Familien beim Sonntagsspaziergang daran vorbeigelaufen sind. „Die eignet sich zum Bouldern“, dachten die Männer und machten sich an die Arbeit.

Beim Bouldern geht es um das Klettern ohne Seil und Gurt an Fels- oder künstlichen Kletterwänden. Die Sportler sind nur bis zu einer Höhe unterwegs, aus der ohne Verletzungsrisiko der Absprung möglich ist.

Kapelle wird als „Winterkirche“ genutzt

Für die Nutzung der 1964 eröffneten Kirche seien schon eine Kita und auch ein Kolumbarium im Gespräch gewesen, sagt der katholische Pfarrer in Bad Orb, Stefan Kümpel, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beides erwies sich als nicht umsetzbar. Also stand die Kirche einfach herum. Die defekte Heizung, der marode, inzwischen abgerissene Turm und die kleiner werdende Schar von Katholiken hatten - wie andernorts auch - dazu geführt, dass die Kirche nicht mehr genutzt wurde. Als Ihl und Köhler mit ihrer Idee einer „Boulderchurch“ auf die Gemeinde zukamen, „hatten wir ansonsten die Alternative, das Gebäude langsam zerfallen zu lassen oder eine Lagerhalle daraus zu machen. Beides wollten wir nicht“, betont Kümpel.

Bei einer Gemeindeversammlung zur Vorstellung des Projekts habe es keinerlei Probleme gegeben. Zumal es gelungen sei, beim Bistum Fulda eine Teilentweihung durchzusetzen. Die Gemeinde wird die seitliche Kapelle weiter nutzen, und zwar als „Winterkirche“, wie Kümpel sagt. Die Jugend der etwa 4.000 Mitglieder zählenden Gemeinde hat bereits einen Taizé-Gottesdienst in dem sakralen Raum gefeiert, weitere Angebote für junge Menschen sollen folgen.

Aus seiner Jugendzeit kennt auch Marc Ihl die Kirche. „Nach den Freizeiten haben wir hier Jugendgottesdienste gefeiert“, erinnert sich der 35-Jährige. Sein Projektpartner Köhler stammt nicht aus Bad Orb, allerdings dessen Ehefrau. „Meine Schwiegereltern wurden hier getraut und meine Frau getauft. Und ich habe dann das Taufbecken rausgeschleppt“, erzählt Köhler und schüttelt mit einer Mischung aus Staunen und Begeisterung den Kopf.

Beichtstuhl wird „Express-Umkleide“

Begeistert sind die beiden Männer spürbar. Sie haben für die Kirche einen langfristigen Mietvertrag abgeschlossen und investieren viel Geld, Zeit und Arbeit in das Projekt. Aus der ehemaligen Empore wird eine Trainingsfläche mit Slackline, einem Kunstfaserseil zum Balancieren, und Griffen zum Üben, erzählen sie. Der Beichtstuhl soll zur Expressumkleide werden und über dem Platz, an dem einst der Altar stand, entsteht eine zweite Ebene, die weitere Kletterflächen erschließt. Das alte Eichenholz der bereits zersägten Kirchenbänke liegt an der Seite des Kirchenschiffs und ist Material für neue Möbel.

Seit Anfang November sind vor allem Mitarbeiter von Marco Köhler, der Inhaber einer Schreinerei ist, mit den Umbauarbeiten beschäftigt. „Ich weine jeden Tag, an dem ich hier nicht selbst mitarbeiten kann“, sagt Köhler bedauernd. Ihl ist studierter Betriebswirt und zuständig für das Kassensystem und anderes. Er spricht von einer „guten Symbiose“.

Im Inneren der Kirche verbauen die Handwerker 26 Tonnen Holz für die Konstruktion der zweiten Ebene, dazu kommen die Kletterwände. Entstehen sollen 500 Quadratmeter Kletterfläche. Geplant seien später zudem 200 Quadratmeter an den Außenwänden, erzählt Ihl. Gemeinsam investieren die Freunde 350.000 Euro in den Umbau, dazu kommen 100.000 Euro aus einem europäischen Förderprogramm für Regionalentwicklung und später eventuell noch einmal 200.000 Euro für die Außenwände. Läuft alles nach Plan, machen sich am 12. April die ersten Kletterer auf den Weg nach oben.

Von Renate Haller (epd)


Das Jahrtausend-Konzil



In diesem Jahr jährt sich zum 1.700. Mal das erste ökumenische Konzil der Welt in Nizäa. Die Versammlung von 325 gilt als Schlüsselmoment in der Geschichte des christlichen Glaubens und ist wegweisend für die heutige Ökumene.

Frankfurt a.M. (epd). 2025 wird ein wichtiges Jahr für die weltweite Christenheit. Gefeiert wird das 1.700-Jahr-Jubiläum des Ersten Ökumenischen Konzils in Nizäa. Die Versammlung begann wahrscheinlich im Mai des Jahres 325 und war wegweisend für die Entwicklung des Christentums. Sie sollte theologischen Streit beilegen und die Einheit der Kirche fördern. Das Treffen behandelte zudem wichtige Fragen wie die Festlegung des Osterdatums. Seit dem Konzil kommen Bischöfe zusammen, um Glaubensfragen zu klären. Es gilt als die erste ökumenische Debatte der frühen christlichen Kirche.

Auf dem Konzil ging es in der Hauptsache um die theologische Auseinandersetzung über die Natur Jesu Christi und seine Beziehung zu Gott, dem Vater: Ist Jesus ein von Gott geschaffenes Wesen und dem Vater untergeordnet, oder sind Vater, Sohn und Heiliger Geist gleichrangig? Um den Kirchenfrieden herzustellen, berief Kaiser Konstantin der Große, der sich erst auf dem Totenbett taufen ließ, im Jahr 325 die Bischöfe seines gesamten Reichs zu einem Konzil in das kleine Städtchen Nizäa, das heute in der Türkei südlich von Istanbul liegt. Am 20. Mai soll Konstantin die Synode persönlich eröffnet haben.

Konzil legte Saat zu neuem Hader

Für die Kirche war es nach den letzten schweren Christenverfolgungen unter Kaiser Diokletian eine neue Situation. „Zum ersten Mal in ihrer Geschichte war die Kirche im Römischen Reich nicht mehr die verfolgte, sondern die offiziell geduldete und anerkannte, ja in manchem schon geförderte Religion“, bilanzierte der renommierte evangelische Kirchenhistoriker Bernhard Lohse (1928-1997). Die Teilnehmer reisten zum Konzil mit staatlichen Verkehrsmitteln, die für höhere Staatsbeamte vorgesehen waren. Sie wohnten vermutlich in Nizäa im Palast des Kaisers.

Den Kirchenfrieden konnte das Konzil allerdings nicht wiederherstellen. Im Gegenteil: Es wurde eher die Saat zu neuem Hader gelegt, der Streit ging weiter, kommentieren Historiker. Dennoch gilt das legendäre Konzil der „318 Väter“ - wahrscheinlich waren wohl eher um die 200 Bischöfe anwesend - als Grundlage aller weiteren Lehrentscheidungen in der alten Kirche.

Streit über Ostertermin

Bereits seit den ersten christlichen Jahrhunderten stritten die Christen um den richtigen Ostertermin. Das Konzil von Nizäa beendete im Jahr 325 zunächst die Zwistigkeiten und legte die Normen zur Bestimmung des Datums fest. Danach fällt Ostern - vereinfacht gesagt - auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühjahrsanfang. Doch seit dem 16. Jahrhundert begeht die orthodox-östliche und westliche Christenheit aufgrund unterschiedlicher Kalenderberechnungen das Osterfest in der Regel nicht am gleichen Datum.

Seit Jahrzehnten gibt es Pläne der Weltkirchen, das zu ändern. Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus - die drei großen Konfessionsfamilien - wollten wenigstens in diesem Punkt Einigkeit untereinander erreichen. Alle Anstrengungen blieben allerdings bisher ohne Erfolg.

2025 gemeinsam Ostern feiern

Im Jubiläumsjahr von Nizäa wird das Osterfest zufällig wieder zeitgleich in den Ost- und Westkirchen gefeiert, am 20. April 2025. Das wird als Chance für die Ökumene gewertet. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) ermutigte ihre Mitgliedskirchen dazu, das gemeinsame Osterdatum als Möglichkeit zu sehen, „weitere Schritte hin zu einem gemeinsamen Osterdatum aller Christinnen und Christen zu unternehmen“.

Das Konzil von Nizäa legte auch den Grundstein für das heute in fast allen christlichen Kirchen anerkannte Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel von 381, obwohl die genaue Entstehungsgeschichte nicht abschließend geklärt ist. Das Bekenntnis können fast alle Christen gemeinsam sprechen. Daher wird im Jubiläumsjahr 2025 auch an diesen Text erinnert. Die ACK ruft die Kirchen dazu auf, das Glaubensbekenntnis in seiner ökumenischen Version regelmäßiger gemeinsam zu beten und sich der Verbundenheit weltweit bewusst zu werden.

„Fragen gläubiger Existenz“

Als die Teilnehmer des Konzils 325 zusammenkamen, sei es neben sehr weltlichen Machtfragen auch um existenzielle Fragen gläubiger Existenz gegangen, erklärt der Moderator des Weltkirchenrates, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und frühere bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: „Mit der Einigung auf das gemeinsame Glaubensbekenntnis gelang es, wesentliche Teile der christlichen Welt in einer Kirche zusammenzuhalten.“

Anlässlich des Jubiläums plant der Weltkirchenrat ein Jahr voller Aktivitäten mit Mitgliedskirchen, anderen Kirchen, weltweiten christlichen Gemeinschaften, nationalen und regionalen Organisationen sowie theologischen und ökumenischen Einrichtungen. Höhepunkt der soll die 6. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung zum Thema Ökumene vom 24. bis 28. Oktober 2025 in Ägypten werden. Das vorläufig letzte Treffen dieser Art war 1993 im spanischen Santiago de Compostela.

Von Stephan Cezanne (epd)


Militärbischof setzt sich für familienfreundliche Bedingungen ein




Bernhard Felmberg
epd-bild/Jens Schulze

Frankfurt a.M. (epd). Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg setzt sich nach eigener Aussage für familienfreundlichere Arbeitsbedingungen in der Truppe ein. Auch für Menschen mit Kindern müsse es möglich sein, bei der Bundeswehr Karriere zu machen, sagte Felmberg dem „JS-Magazin“ (Januar). Ein Problem sei die Betreuung. „Wir brauchen Kindergärten an den Standorten, die morgens um 6.15 Uhr öffnen, sodass Soldaten nicht erst woanders hinfahren müssen.“

Felmberg sprach sich auch dafür aus, sich nach kirchlichen Trägern für solche Kitas umzusehen. Mit dem Verteidigungsministerium führe er regelmäßig Gespräche über das Schul- und Kindergartenwesen, auch über die Möglichkeit, dass evangelische Träger Aufgaben übernähmen, sagte der Militärbischof.

Die Bundeswehr tue aber bereits viel für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So gebe es zum Beispiel unterschiedliche Arbeitszeitmodelle. „Der Soldatenberuf ist aber nicht mit einem zivilen Beruf zu vergleichen. Hier ist Ehrlichkeit gefragt“, sagte er. Karrierecenter müssten den Bewerbern reinen Wein einschenken.



Von Tallinn nach Paris: Taizé-Treffen in einem Jahr in Frankreich



Tallin/Frankfurt a.M. (epd). Das nächste Europäische Taizé-Jugendtreffen zum Jahreswechsel 2025/26 wird in der französischen Hauptstadt Paris gefeiert. Das gab der Prior der christlichen Bruderschaft, Frère Matthew, am 30. Dezember beim Taizé-Treffen in der estnischen Hauptstadt Tallinn bekannt, wie die in Frankreich beheimatete ökumenische Bruderschaft mitteilte.

Das 47. Taizé-Jugendtreffen hatte am Samstag in Tallinn begonnen. Noch bis Neujahr feiern Tausende junge Europäer in der estnischen Hauptstadt ihren Glauben. Seit 1978 kommen am Ende jedes Jahres junge Erwachsene aus verschiedenen Ländern und Konfessionen für fünf Tage in einer europäischen Großstadt zusammen, um gemeinsam zu beten und mit den Menschen und Kirchengemeinden vor Ort zu leben.

Taizé ist ein kleiner Ort in Ostfrankfreich in der Nähe von Cluny. Die dort ansässige geistliche Gemeinschaft, die Jugendliche aus aller Welt besuchen, um gemeinsam zu beten, zu schweigen und ins Gespräch zu kommen, wurde 1949 von dem reformierten Theologen Roger Schutz (1915-2005) gegründet.




Gesellschaft

Debatte über Schutzstatus von syrischen Geflüchteten




Eine syrische Familie verfolgt die Geschehnisse in ihrer Heimat (Archivbild)
epd-bild/Detlef Heese
Innenministerin Faeser will anhand von vier Punkten über die Zukunft von geflüchteten Syrerinnen und Syrern hierzulande entscheiden. Nach dem Machtwechsel in Syrien könnten einige ihren Schutzstatus verlieren. Die CDU fordert strengere Regeln.

Berlin, Düsseldorf (epd). Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am Wochenende vier Punkte genannt, mit denen über die Zukunft von geflüchteten Syrerinnen und Syrern in Deutschland entschieden werden soll. In bestimmten Fällen könnte der Schutzstatus aufgehoben werden, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Gut integrierte und arbeitende Personen sollen in Deutschland bleiben dürfen, freiwillige Rückkehrer unterstützt und Straftäter abgeschoben werden. Der CDU gehen die Pläne nicht weit genug, die SPD-Bundestagsfraktion stellt sich hinter ihre Ministerin.

Faeser sagte den Funke-Zeitungen mit Blick auf den Sturz des Assad-Regimes vor einem Monat, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werde „Schutzgewährungen überprüfen und aufheben, wenn Menschen diesen Schutz in Deutschland nicht mehr brauchen, weil sich die Lage in Syrien stabilisiert hat“. Das werde für diejenigen gelten, „die kein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen wie Arbeit oder Ausbildung haben und nicht freiwillig nach Syrien zurückkehren.“

„Sobald die Lage dies zulässt“

„Wer gut integriert ist, arbeitet, Deutsch gelernt hat und hier eine neue Heimat gefunden hat, der soll in Deutschland bleiben dürfen“, betonte die Innenministerin. Als dritte Gruppe nannte Faeser Menschen, die nach Syrien zurückkehren wollen. Für diese wolle sie das Programm des Bundes zur freiwilligen Rückkehr erweitern. Zudem sprach sie sich dafür aus, Straftäter und Islamisten schnellstmöglich abzuschieben. Die rechtlichen Möglichkeiten dafür würden genutzt, „sobald die Lage in Syrien dies zulässt“. Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium arbeiteten gemeinsam daran, ein klareres Lagebild von Syrien zu gewinnen. Dabei stünden vor allem die Sicherheitsfragen im Fokus.

Nach über 50 Jahren autoritärer Regierung durch die Assad-Familie hat mit der Machtübernahme durch die HTS-Miliz vor einem Monat eine neue Ära in Syrien begonnen. Doch viele Fragen zur politischen Zukunft und der Ausrichtung der neuen Machthaber sind noch ungeklärt.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, kritisierte Faesers Pläne als unzureichend. „Bei den meisten syrischen Flüchtlingen ist der ursprüngliche Fluchtgrund des schrecklichen Assad-Regimes jetzt weggefallen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Montag). Alle Syrer, die in Deutschland „nicht ausreichend arbeiten“, sollten in das Land zurückkehren. Er forderte zudem, den Familiennachzug aus Syrien sofort auszusetzen und Straftäter abzuschieben.

Grüne: Lage weiter unklar

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, begrüßte die Pläne seiner Ministerin. „Wenn sich die Lage in Syrien stabilisiert, dann werden auch Menschen wieder zurückgehen. Für verurteilte Straftäter muss dies dann sowieso gelten“, sagte er der gleichen Zeitung. Viele Syrer würden aber auch bleiben, weil sie hier Arbeit gefunden, sich ein neues Leben aufgebaut hätten und sich klar zu Demokratie und Rechtsstaat bekennen würden. „Auf sie können wir nicht verzichten“, betonte Wiese.

Die Migrationsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, betonte, die Situation in Syrien sei immer noch unklar. „Einen Anlass für Widerrufsprüfungen für syrische Schutzberechtigte gibt es im Hinblick auf die aktuelle Lageeinschätzung derzeit nicht“, sagte sie ebenfalls der „Rheinischen Post“. Mit der Prüfung der Fluchtgründe im Einzelfall gebe Faeser lediglich die Rechtslage wieder.

Der Sonderkoordinator für Syrien im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner (Grüne), hatte sich zuvor unter bestimmten Bedingungen für eine Unterstützung der neuen Machthaber ausgesprochen. In den Prozess hin zu Wahlen und einer neuen Verfassung müssten alle Syrerinnen und Syrer unabhängig von ihrer Religion einbezogen werden, sagte er am Samstag im Deutschlandfunk. Menschenrechte müssten geachtet und Kriegsverbrechen verfolgt werden.

Rebellengruppen unter Führung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatten Anfang Dezember das Regime von Machthaber Baschar al-Assad gestürzt und der Bevölkerung einen Neuanfang versprochen. Ob die Ankündigungen mit den Taten übereinstimmten, sei unter anderem am Lehrplan zu erkennen, beispielsweise, ob die Evolutionstheorie darin enthalten bleibe, sagte Lindner. Auch die Frage, welche Rolle Frauen sowie den verschiedenen Ethnien und Religionen wie Kurden, Drusen, Aleviten und Christen im Übergangsprozess zukomme, sei ein guter Messgrad.



Forscher: Brauchen Risikoabwägung von US-Mittelstreckenwaffen




Sascha Hach
epd-bild/Uwe Dettmar/PRIF

Frankfurt a.M. (epd). Der Politologe Sascha Hach vom Peace Reserach Institute Frankfurt sieht die Risiken einer Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland nicht ausreichend diskutiert. „Es ist nicht in deutschem oder europäischem Interesse, dass die vermehrte Stationierung von US-Mittelstreckenfähigkeiten zu einem Rüstungswettlauf führt, bei dem die Europäer irgendwann nicht mehr mithalten können“, sagte Hach dem Evangelischen Pressedienst (epd). Andererseits eröffne die Stationierung politische Chancen, die ebenso kaum debattiert würden.

Mit Donald Trump, der am 20. Januar erneut als US-Präsident eingeführt wird, würden die Absichten der USA unklarer, erklärte Hach. Langfristig wollten sie ohnehin ihren Schwerpunkt aus Europa wegverlagern. Schlimmstenfalls stimme sich Washington mit den Europäern nicht mehr ausreichend ab. „Im Falle einer plötzlichen Rivalität zwischen Donald Trump und Wladimir Putin würden wir zum geopolitischen Spielball und potenziellen Schlachtfeld eines Stellvertreterkriegs zwischen den USA und Russland“, sagte der Forscher.

Ankündigung lasse Zeit für Verhandlungen

Dadurch, dass die US-Waffen bislang nur angekündigt wurden, habe man ein Fenster offen gelassen, um über sie zu verhandeln, analysierte Hach. Russland habe mit der Ankündigung der Stationierung von Mittelstreckensystemen reagiert: „Das alles hat also eine politische Verhandlungsmasse geschaffen, die auch genutzt werden kann und sollte.“

Im Juli hatten die USA angekündigt, ab 2026 in Deutschland konventionell bewaffnete Marschflugkörper und ballistische Raketen zu stationieren. Die Maßnahme soll eine Antwort auf die Stationierung atomar bewaffneter russischer Kurz- und Mittelstreckensysteme an seiner Westgrenze sein.

„Abschreckung anpassen“

Hach sagte, die Stationierung der US-Waffen sei maßvoll, weil sie nicht die gleichen Fähigkeiten aufbaue wie auf russischer Seite. Man könne die Stationierung so deuten, dass sie die Glaubwürdigkeit der Nato unterstreichen solle, um Russland überhaupt noch zur Kooperation zu bewegen: „Ich denke schon, dass man in der derzeitigen Situation die eigene Abschreckung aufrechterhalten und gegebenenfalls anpassen muss.“

Es sei wahrscheinlich im Interesse Russlands, dass der Ukraine-Krieg nicht so eskaliere, dass die Nato involviert wird, und insbesondere, dass er nicht nuklear eskaliere, sagte Hach: „Der beste Weg, mit so einem Staat wie Russland umzugehen, der eine ganz andere Agenda verfolgt und zum Teil überraschend agiert, ist es, alle Register in gutem Maß zu ziehen, also Diplomatie wie auch Abschreckung.“

epd-Gespräch: Nils Sandrisser


Kult auf der Theke




Sammelschiffchen
epd-bild/Kay Michalak/fotoetage
Sie stehen in Gaststätten, Geschäften, Museen, auf der Zugspitze und sogar tief unter der Erde in einem Schaubergwerk: Die kultigen Sammelschiffchen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sind nicht nur an der Küste präsent.

Bremen (epd). Wenn man die seemännische „Länge über alles“ betrachtet, misst es gerade mal 32 Zentimeter - und ist doch Deutschlands bekannteste Spendenbüchse: Das Sammelschiffchen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ist in ganz Deutschland und darüber hinaus präsent. Rund 13.000 der kultigen Sammeldosen sind im Einsatz - auf den Theken vieler Gaststätten genauso wie in Apotheken, Arztpraxen, Museen und anderen öffentlich zugänglichen Orten. Sogar auf der Zugspitze und tief unter der Erde in einem Besucherbergwerk liegen Schiffchen „vor Anker“.

In einem Protokoll der Seenotretter vom 29. Mai 1875 finden sich die ersten Hinweise auf das Sammelschiffchen, das mittlerweile auch per QR-Code digital und bargeldlos befüllt werden kann. Dort heißt es, der Vorstand wolle „Placate in gefälliger Ausstattung anfertigen lassen und den Bezirksvereinen und Vertreterschaften auf Verlangen zur Verfügung stellen, welche an geeigneten öffentlichen Orten mit Sammelbüchsen aufzuhängen sind“.

Ruderrettungsbooten nachempfunden

Schon im nächsten Bericht ist zu lesen: „Diese Sammelbüchsen in der Form kleiner geschmackvoller Böte sind nach allen Theilen Deutschlands versandt; 1.240 Stück sind bis jetzt abgegangen.“ Nachempfunden sind sie laut DGzRS-Sprecher Christian Stipeldey den Ruderrettungsbooten, mit denen sich die Besatzungen der Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten mutig in die oft stürmische See geworfen haben, um Menschen zu retten.

Bis heute ist das Schiffchen eine wichtige Einnahmequelle für die DGzRS. Jährlich kommen Stipeldey zufolge über die „kleinste Bootsklasse“, wie die Spendenbox bei der Gesellschaft mit ihrer Zentrale in Bremen liebevoll genannt wird, bis zu eine Million Euro zusammen. Und nicht nur das: Die Schiffchen, die früher aus Holz, dann aus Metall und heute aus Kunststoff gefertigt wurden, sind längst auch zum Symbol für die Unabhängigkeit und Freiwilligkeit der Seenotretter geworden.

2.000 Einsätze im Jahr

Ein ordentlicher Beitrag also für die ausschließlich aus Spendengeldern finanzierte Organisation. So helfen die Minischiffchen den großen Rettungsbooten und -kreuzern, von denen die DGzRS auf Nord- und Ostsee 60 in Fahrt hat.

Im vergangenen Jahr waren sie eigenen Angaben zufolge in knapp 2.000 Einsätzen auf der Nord- und Ostsee unterwegs, um mehr als 3.500 Menschen zu helfen. Es ist eine Flotte, die ständig modernisiert werden muss. Ohne die Spenden, von denen im vergangenen Jahr laut DGzRS-Bilanz insgesamt knapp 68 Millionen Euro zusammenkamen, würde das nicht funktionieren.

„Fahren raus, wenn andere reinkommen“

Etwa 180 Festangestellte und rund 800 Freiwillige engagieren sich bei jedem Wetter und rund um die Uhr für das Rettungswerk, „fahren raus, wenn andere reinkommen“, wie der Slogan der Gesellschaft mit ihren 55 Stationen an Nord- und Ostsee heißt. So wurden seit der Gründung am 29. Mai 1865 in Kiel etwa 87.000 Menschen gerettet - ungefähr so viele wie die hessische Stadt Gießen Einwohner hat. Schirmherr des Rettungswerkes ist traditionell der Bundespräsident.

So hob Richard von Weizsäcker 1985 bei der Taufe des Seenotrettungskreuzers „Berlin“ hervor, die DGzRS sei eine Verbindung von Bürgersinn und Bürgermut: „Der Bürgersinn, der die Menschen zusammenbringt, um völlig frei von staatlicher Unterstützung selbst die Mittel aufzubringen, die zur Erreichung des Gesellschaftszweckes erforderlich sind, und der Bürgermut derer, die auf den Schiffen Tag und Nacht ihren Dienst tun, um Menschen zu helfen.“ Damit das auch in Zukunft geschehen kann, will die DGzRS ihre Sammelschiffchen weiterhin einsetzen. Frei nach dem Motto „das Kleine hilft den Großen“.

Von Dieter Sell (epd)


Gassi-Hilfe statt Tierheim




Mirre Jensen hilft Ute Hasslinger, ihre beiden Hunde auszuführen.
epd-bild/Evelyn Sander
Was passiert mit Oskar und Lotta, wenn Frauchen plötzlich Luftnot hat? Das Hamburger ASB-Projekt "Pfoten-Buddies" vermittelt Ehrenamtliche, die älteren oder erkrankten Menschen bei der Versorgung ihrer Haustiere helfen. Die Nachfrage steigt.

Hamburg (epd). Ute Haßlinger hatte immer Hunde. Foxterrier, Cockerspaniel und Boxer. Im Wohnzimmer hängen eingerahmte Erinnerungsfotos an der Wand. Heute kuscheln sich die Hunde Oskar und Lotta auf ihrem Sofa ein. „Oskar ist sehr verschmust“, erzählt die 83-jährige Hamburgerin und krault seine langhaarigen Ohren. Oskar genießt die Krauleinheiten nicht nur von ihr. Für lange Spaziergänge inklusive Kraulen kommen mehrmals in der Woche Ehrenamtliche vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) vorbei. Das Hamburger ASB-Projekt „Pfoten-Buddies“ vermittelt Ehrenamtliche, die älteren oder erkrankten Menschen kostenlos bei der Versorgung ihrer Haustiere helfen.

„Ich bekomme nicht mehr so gut Luft, lange Spaziergänge schaffe ich nicht mehr“, sagt Haßlinger, die alleine lebt. Immer nur kurze Runden um den Block seien für die Tiere jedoch zu wenig. „Sie sind zwar auch nicht mehr die jüngsten, aber da hätte ich ein schlechtes Gewissen“, sagt die Seniorin, die seit rund einem Jahr die Hilfe der „Pfoten-Buddies“ nutzt. Drei Frauen gehen abwechselnd längere Gassi-Runden, toben mit den Hunden herum und haben auch Zeit für einen Plausch bei einem Kaffee.

Heute ist Mirre Jensen da. Oskar und Lotta springen schwanzwedelnd auf sie zu. „Sie wissen, es geht los“, lacht die 41-Jährige, die selbst Katzen zu Hause hat. Für sie sind die Hunderunden am Wochenende ein guter Ausgleich zum Job als Software-Ingenieurin und Gruppenleiterin: „Dabei kann ich richtig schön abschalten.“

Im Notfall wird ein Tier auch mehrere Wochen übernommen

Seit 2023 bietet der ASB Hamburg die tierische Hilfe an. „Wir haben klein angefangen, aber die Nachfrage steigt schnell“, sagt Initiatorin Marion Wessling. Das gemeinnützige Projekt wird vor allem von der Kummerfeldt-Stiftung finanziert. Ende September hat sich das Team über die Auszeichnung mit dem Annemarie-Dose-Preis des Hamburger Senats gefreut. Angesichts der alternden Gesellschaft rechnet Wessling mit einer weiter steigenden Nachfrage.

Von knapp 880 Ehrenamtlichen im „Pfoten-Buddies“-Pool sind aktuell rund 130 aktiv. Mit ihrer Hilfe unterstützt das Projekt bislang über 110 Tierhalterinnen und -halter in Hamburg, vor allem Hunde werden versorgt. „Damit können wir verhindern, dass alleinstehende, ältere oder erkrankte Menschen ihre geliebten Haustiere ins Tierheim geben müssen“, sagt die 51-jährige Projektkoordinatorin.

Manche brauchen langfristige Gassi-Unterstützung, andere nur die einmalige Hilfe beim Tierarztbesuch. Wessling: „Im Notfall wird ein Tier auch mehrere Wochen übernommen, wenn Frauchen oder Herrchen ins Krankenhaus müssen.“ Vorbild der Hamburger „Pfoten-Buddies“ sind die „Silberpfoten“ aus Stuttgart, das wohl erste Projekt dieser Art. Um weitere Nachahmer zu finden, wird das Hamburger Projekt 2025 beim Jahrestreffen des ASB-Hundebesuchsdienstes vorgestellt. Der ASB im niedersächsischen Lüneburg will Anfang 2025 ein ähnliches Angebot starten.

Gegen soziale Vereinsamung älterer Menschen angehen

Auch das Hamburger „Pfoten-Buddies“-Team ist gewachsen, seit August ist eine Hundetrainerin dabei. „Bevor wir Ehrenamtliche vermitteln, müssen wir Mensch und Tier kennenlernen.“ Die Trainerin stuft den Hund ein, hat er besondere Ansprüche oder ist er pflegeleicht? Geachtet wird auch auf kurze Wege für die Ehrenamtlichen. Und natürlich sollte die menschliche Seite passen. Wessling: „Durch den Kontakt mit den Ehrenamtlichen wollen wir auch gegen die soziale Vereinsamung älterer oder kranker Menschen angehen.“

Vor kurzem hat Ute Haßlinger eine kleine Weihnachtsfeier mit ihren drei Helferinnen gefeiert. „Ich bin ihnen so dankbar, wir waren zusammen Essen“, erzählt sie. Mirre Jensen lächelt. Der Hundesitter-Job ist längst mehr als nur Tierliebe: „Ich habe in Ute eine neue Freundin gefunden.“ Die Seniorin mit den kurzen grauen Haaren holt noch einen Kaffee. Sie hat sich selbst vor Jahren im Besuchsdienst engagiert und war mit Hund Oskar in Pflegeheimen.

Eine Wohnung ohne Tiere ist für die Rentnerin eine traurige Vorstellung. Sie genießt es, wenn sie nach Hause kommt. „Oskar und Lotta freuen sich immer so sehr.“ Die 83-Jährige fühlt sich immer noch gebraucht. Oskar räkelt sich auf dem Sofa, schaut sie an, sie lächelt zurück. „Hunde machen einfach glücklich.“

epd video

Von Evelyn Sander (epd)



Soziales

Pflegeheimplätze kosten deutlich mehr




Bewohnerin im Rollstuhl auf dem Flur eines Altenpflegeheim (Archivbild)
epd-bild/Tim Wegner
Trotz Reformen steigen die Kosten für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen weiter stark an. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert ein Gegensteuern.

Berlin (epd). Zwei Jahre nach einer Reform der Heimkosten haben die Eigenanteile in Pflegeheimen einen neuen Höchststand erreicht. Laut einer am 3. Januar in Berlin veröffentlichten Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK kostet Wohnen im Pflegeheim mittlerweile durchschnittlich mehr als 2.400 Euro Eigenanteil pro Monat. Experten rechnen mit weiterhin schnell steigenden Kosten. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte eine Deckelung der Eigenanteile.

Wie der AOK-Bundesverband mitteilte, betrugen die Gesamtkosten für einen Heimplatz Ende des vergangenen Jahres 4.701 Euro. Davon zahlten die Pflegekassen im Schnitt 1.470 Euro, zusätzlich bekamen Bewohnerinnen und Bewohner durchschnittlich 807 Euro monatlich erstattet.

Reform senkte Eigenanteile kurzzeitig

Wer im Heim lebt, muss nach Auskunft der AOK für die Pflege im Schnitt 950 Euro zuzahlen, zudem 977 Euro für Unterkunft und Verpflegung sowie 497 Euro für Investitionskosten. Der durchschnittliche Eigenanteil stieg demnach um 7 Prozent auf 2.424 Euro, 2023 lag er noch bei 2.266 Euro, die Gesamtkosten für einen Heimplatz betrugen damals 4.297 Euro.

Seit 2022 zahlen die Pflegekassen Zuschüsse, die mit der Wohndauer steigen. Im ersten Jahr des Aufenthalts werden 5 Prozent übernommen, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 und danach 70 Prozent. Infolge dieser Reform waren die durchschnittlichen Eigenanteile kurzzeitig gesunken, von 2.234 Euro im Jahr 2021 auf 2.055 Euro im Jahr 2022.

Am höchsten war der durchschnittliche Eigenanteil im vergangenen Jahr den Angaben zufolge mit 2.764 Euro in Nordrhein-Westfalen. Am wenigsten mussten Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner in Sachsen-Anhalt zuzahlen, hier betrug der Eigenanteil im Schnitt 1.965 Euro. In Thüringen war der Anstieg der Eigenanteile im Vergleich zu 2023 mit gut 15,7 Prozent am höchsten. Im Saarland sanken die Eigenanteile im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht, nämlich um knapp 2,7 Prozent.

„Bundesländer in der Pflicht“

Laut dem stellvertretenden Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, David Scheller-Kreinsen, ist der Trend zu steigenden Eigenanteilen ungebrochen. Laut Analyse des Instituts werden Ende dieses Jahres Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner im günstigsten Fall schon durchschnittlich mehr als 2.500 Euro zuzahlen müssen, im ungünstigsten Fall rund 2.750 Euro. 2029 könnten die monatlichen Eigenanteile demzufolge im Schnitt zwischen gut 3.000 und knapp 4.800 Euro liegen.

Brysch sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), eine Pflegereform müsse „endlich für eine zukunftssichere und generationengerechte Pflegefinanzierung sorgen“. Neben der Deckelung der Eigenanteile müssten Hilfsbedürftige einen Versicherungszuschuss parallel zur Kostenentwicklung erhalten. Zudem müssten alle Bürgerinnen und Bürger ihren Beitrag zur Pflegeversicherung leisten. „Aber auch die Bundesländer sind in der Pflicht“, sagte Brysch weiter. Sie müssten Ausbildungs- und Investitionskosten übernehmen.



Ökonom: Verzahnung gesetzlicher und privater Pflegeversicherung nötig




Peter Haan
epd-bild/DIW/Florian Schuh

Berlin (epd). Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Haan hält eine Verzahnung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung für notwendig. „Die Daten zeigen, dass Menschen mit geringerem Einkommen, die in der Regel gesetzlich versichert sind, länger pflegebedürftig sind als Menschen mit höheren Einkommen“, sagte Haan dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wenn man beide Versicherungen zusammenführen würde, könnten die Kosten für die gesetzliche Versicherung reduziert werden.“ Haan ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Freien Universität Berlin. Er leitet außerdem beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Abteilung Staat.

Die Verzahnung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung sei neben Pflegebeiträgen und Steuermitteln ein dritter Baustein, der bei einer Reform berücksichtigt werden müsse, sagte Haan. Dies könne durch eine Bürgerversicherung oder durch Ausgleichszahlungen geschehen.

„Nur kurzfristige Stabilisierung“

Seit Jahresbeginn zahlen Beschäftigte in Deutschland mehr Pflegebeiträge. Der allgemeine Beitragssatz stieg von 3,4 auf 3,6 Prozent, für Kinderlose gibt es Zuschläge, für Eltern Abschläge. Haan sagte, diese Beitragserhöhung sei notwendig gewesen, da andernfalls die Pflegeversicherung ihre Leistungen nicht mehr finanzieren könne. Sie reiche allerdings nur zu einer kurzfristigen Stabilisierung aus. Strukturelle Reformen in der Pflege sei eines der wichtigsten Themen für eine neue Bundesregierung.

Kurzfristig sehe er keine Möglichkeit, um Kosten bei der Pflege zu reduzieren, sagte Haan: „Wenn wir eine auskömmliche, gute Pflege bereitstellen wollen, können wir nicht kürzen, sondern müssen in den Bereich Pflege mehr investieren.“

Vorbeugung sei enorm wichtig

Langfristig sei die Prävention von Pflegebedürftigkeit enorm wichtig. „Wir dürfen nicht nur an dem jetzigen System herumdoktern, sondern müssen Maßnahmen ergreifen, damit die Wahrscheinlichkeit einer Pflegesituation geringer ist und deren Dauer kürzer“, sagte der Ökonom. Derzeit ist nach Haans Worten das individuelle Risiko, ein Pflegefall zu werden, höher als die Risiken, arbeitslos zu werden oder schwer zu erkranken.

Prävention koste allerdings kurzfristig Geld. Investitionen in die Gesundheit nutzten aber nicht nur der Pflegekasse, sondern auch den Kranken- und Rentenkassen, erklärte Haan: „Denn je mehr wir in Gesundheit investieren, desto länger bleiben die Menschen gesund und können in die Kassen einzahlen.“

epd-Gespräch: Nils Sandrisser


Diakonie-Präsident grenzt sich weiterhin von AfD ab




Rüdiger Schuch
epd-bild/Hans Scherhaufer

Berlin (epd). Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, hält AfD-Positionen für weiter unvereinbar mit kirchlichen Werten. Es sei absolut richtig, das bei Amtsantritt vor einem Jahr auch so klar formuliert zu haben, sagte der evangelische Pfarrer der „Berliner Zeitung“ (2. Januar). Die Diakonie setze sich für Inklusion, Teilhabe und für Menschen in Not ein - „ohne Unterschied von Herkunft oder Lebensweise und ohne Wenn und Aber“, unterstrich der Diakonie-Präsident.

Wer bei der Diakonie arbeitet, dem- oder derjenigen müsse klar sein, dass dort die Menschen im Mittelpunkt stünden, „die sich uns anvertrauen“. Diese müssten sich sicher sein können, dass sie in ihrer Würde und Verschiedenheit angenommen werden. „Wer in der Diakonie einen Arbeitsvertrag abschließt, verpflichtet sich, die christlichen Grundsätze seines Arbeitgebers zu achten. Und wer menschenfeindliche Positionen vertritt, verstößt gegen diese Werte“, sagte Schuch.

Arbeitsrechtliche Konsequenzen möglich

In solchen Fällen suchten die Einrichtungen das Gespräch. Wenn keine Einsicht erfolge, könne dies im individuellen Fall arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Allerdings sei ihm nicht bekannt, dass es eine Kündigungswelle gegeben hätte: „Aber es gab eine deutliche Bewusstseinsschärfung für die Wertebasis unserer Arbeit in unseren Diensten und Einrichtungen.“

Zugleich betonte der Diakonie-Präsident, es reiche nicht aus, rechtsextremistische Positionen einfach nur abzulehnen: „Wir müssen verstehen, warum Menschen solche Thesen vertreten, welche Argumentationsmuster sie überzeugen, und welche realen Probleme dahinterstehen.“




Medien & Kultur

Das Ungesehene in Chemnitz sehen




Chemnitz ist Europäische Kulturhauptstadt 2025
epd-bild/Matthias Schumann
Chemnitz ist bereit für das Kulturhauptstadtjahr: Am 18. Januar findet die offizielle Eröffnung statt. Ein umfangreiches Programm wartet auf die Gäste. Doch es gibt auch Skepsis.

Chemnitz (epd). Schon die Schilder auf der Autobahn verheißen Großes: „Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas“. Das umfangreiche Programm steht unter dem Motto „C the unseen“ - „das Ungesehene und Unentdeckte sehen“, das soll in rund 150 Projekten mit etwa 1.000 Veranstaltungen gelingen. Europaweit bekannte Namen fehlen nahezu vollständig. Stattdessen legt das Konzept viel Wert auf die Beteiligung von Menschen aus der Region. Das Gesamtbudget beträgt mehr als 90 Millionen Euro.

Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) sieht Chemnitz, das wegen seiner Industrie und Innovationen einst als „sächsisches Manchester“ bezeichnet wurde, sehr gut vorbereitet. „Die Stadt präsentiert sich selbst der Welt, und das ist eine wunderbare Chance, denn verstecken müssen wir uns nicht“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Gesamtkonzept definiere den Kulturbegriff sehr weit: Außer Theater, Kunst und Musik werde auf innovative Ansätze, moderne Technologien sowie die Teilhabe vieler Menschen gesetzt. Geplant sind etwa Initiativen wie ein „Demokratiestützpunkt“, die Projekte „Gelebte Nachbarschaft“ und diverse Pflanzfestivals.

Verhaltene Stimmung

Chemnitz ist mit Künstlern wie Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976), Henry van de Velde (1863-1957) und Stefan Heym (1913-2001) verbunden. Einst stand die Region für Innovationen im Maschinenbau, für Unternehmertum und die Textilwirtschaft. Nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde Chemnitz in der DDR als Karl-Marx-Stadt wieder aufgebaut.

Etwa 1.000 der insgesamt rund 250.000 Chemnitzerinnen und Chemnitzer sind am Kulturhauptstadt-Programm beteiligt. Die Aufbruchstimmung könnte allerdings gut zwei Wochen vor der offiziellen Eröffnung am 18. Januar größer sein. In der Stadt überwiegt, zumindest nehmen Außenstehende es so wahr, eine verhaltene Stimmung.

Oberbürgermeister Schulze dagegen spürt Vorfreude „und eine wachsende Begeisterung in der Stadt und der Region auf das, was da kommt“. Schließlich gebe es wohl nur einmal im Leben die Chance, europäische Kulturhauptstadt zu sein, sagt er. In Deutschland trugen bisher nur West-Berlin (1988), Weimar (1999) sowie Essen und das Ruhrgebiet (2010) den Titel Kulturhauptstadt Europas.

Ex-Marketingchef: Ehrgeizige Projekte nicht verfolgt

Der Künstlerische Leiter der Eröffnungsfeier, Regisseur Lars-Ole Walburg, hofft auf eine „positive Startenergie, die sich dann hoffentlich lange halten wird“. Kritik und Skepsis kommt von Sören Uhle. Vor etwa zehn Jahren hatte er als damaliger Stadtmarketingchef die Bewerbung für die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 mit auf den Weg gebracht. Doch von der Aufbruchstimmung sei nicht mehr viel übrig, urteilt er. Ehrgeizige Projekte, wie Flächen und soziale Räume für die Stadtgesellschaft zu schaffen oder eine Apfelbaum-Allee in der Innenstadt anzulegen, seien nicht konsequent verfolgt worden.

„Vielleicht waren manche Vorhaben auch nicht praktikabel“, räumt Uhle ein. Doch insgesamt habe die Kulturhauptstadt beim „Groß-Denken“ Angst bekommen, glaubt er. Dabei habe Chemnitz im Bewerbungsprozess Städte wie Dresden, Nürnberg und Hannover hinter sich gelassen.

Podcast zu rechten Ausschreitungen 2018

Uhle gestaltet wöchentlich gemeinsam mit Boris Kaiser den Podcast „Chemnitz be like“ zum Umgang mit und den Folgen der rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz 2018. Damals war es nach einem tödlichen Messerangriff am Rande eines Stadtfestes zu tagelangen rechtsextremen Aufmärschen gekommen, Augenzeugen sprachen von „Neonazi-Hetzjagd“. Außerdem lebten Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) eine Zeit lang unbehelligt in Chemnitz. Uhle ist überzeugt, dass ohne Aufarbeitung keine Zukunft gestaltet werden kann.

„Die Bewerbung aus Chemnitz ist sehr bodenständig, sie wollte nie Hochglanz sein“, urteilt Uhle. Doch das angestrebte hohe Maß an Bürgerbeteiligung habe sich inzwischen minimiert. Dass zudem das Thema Rechtsextremismus in Chemnitz nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit aufgegriffen werde, „kann nur schiefgehen“, sagt Uhle. Derweil haben Rechtsextremisten für den Eröffnungstag Proteste angekündigt.

Zwei Millionen Gäste erwartet

Nach dem Willen der Kulturhauptstadt gGmbH und des Oberbürgermeisters sollen sich im Programm „alle Chemnitzerinnen und Chemnitzer wiederfinden und mitmachen können“. Ein viel zitiertes Vorzeigeprojekt ist der sogenannte „Purple Path“, ein Kunst- und Skulpturenweg in fast 40 Kommunen der Region mit Werken von Künstlern wie Tony Cragg und Sean Scully. Nicht überall allerdings schlägt es ein, es gab auch Proteste gegen einzelne Installationen.

Schulze betont, Chemnitz sei eine „wunderbare, weltoffene, bunte und vielfältige Stadt“. Er hoffe, dass in der Kulturhauptstadt zahlreiche Menschen gemeinsam Europa feiern. Die Organisatoren rechnen mit rund zwei Millionen Gästen.

Von Katharina Rögner (epd)


Vernau: Auch AfD-Politiker müssen im Programm vorkommen




Katrin Vernau
epd-bild/Meike Böschemeyer

Hamburg (epd). Die Intendantin des Westdeutschen Rundfunks (WDR), Katrin Vernau, hat die Verfassungsbeschwerde von ARD und ZDF zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags verteidigt. „Warum wir klagen? Weil wir die Staatsferne unserer Finanzierung sichern möchten. Die KEF hat in einem sorgfältigen Prüfprozess unseren Finanzbedarf festgestellt. Das kann doch nicht einfach ignoriert werden“, sagte Vernau dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (2. Januar).

Die Bundesländer hatten sich im Dezember auf ein neues Verfahren zur Festsetzung der Höhe des Rundfunkbeitrags geeinigt. Die Finanzierung soll ab 2027 neu geregelt werden, bis dahin soll der Rundfunkbeitrag nicht steigen. ARD und ZDF hatten bereits im November vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde eingelegt, um einen höheren Rundfunkbeitrag juristisch durchzusetzen. Die unabhängige Finanzkommission KEF hatte empfohlen, den monatlichen Beitrag von derzeit 18,36 Euro zum Jahreswechsel um 58 Cent zu erhöhen.

Weniger Inhalte, mehr Qualität

Vernau kündigte indessen an, weniger Inhalte produzieren zu wollen, dafür „von einer Qualität, die aus der Masse der Inhalte im Netz herausragt“. Dabei sei es von Bedeutung, die Inhalte der ARD besser zugänglich zu machen. „Wir machen sehr viele barrierefreie Sendungen für Menschen mit Behinderung, aber wenn man mit ihnen spricht, sagen sie: Wir finden die zum Teil nicht. Wir müssen also noch intensiver mit unseren Nutzern über die Inhalte und deren Verbreitung sprechen“, sagte Vernau dem „Spiegel“.

Vernau sprach sich außerdem dafür aus, auch AfD-Politiker wie den thüringischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke, zum Beispiel im Rahmen eines TV-Duells, einzuladen. „Ein Politiker, der potenziell erhebliche Wählerstimmen auf sich vereinigt, ist Teil des politischen Diskurses in unserer Demokratie und muss in unserem Programm vorkommen.“ Die Aufgabe von Journalisten sei es dabei, dies journalistisch zu begleiten. „Wenn wir meinungsbildende Politiker aus unserem Programm ausschließen, finden sie dennoch statt - und zwar in den sozialen Medien“, betonte Vernau. Höcke wurde jüngst zweimal für die Nutzung einer SA-Parole verurteilt.

Vernau übernahm zum Jahreswechsel als neue Intendantin die Leitung des größten ARD-Senders, ihre Amtszeit endet am 31. Dezember 2030. Sie hat unter anderem angekündigt, noch stärker in den Austausch mit dem Publikum zu kommen.



Thilo Mischke wird doch nicht Moderator von Kultursendung "ttt"



Berlin (epd). Der Journalist Thilo Mischke wird doch nicht Moderator der Kultursendung „ttt - titel thesen temperamente“. Dies gab die ARD am 4. Januar bekannt. Die Kulturchefinnen und -chefs der an der Sendung beteiligten Landesrundfunkanstalten hätten entschieden, von Mischke als Moderator abzusehen. Der 43-Jährige sei ein anerkannter Journalist und mehrfach preisgekrönter Reporter. Doch die in den vergangenen Tagen entstandene heftige Diskussion um die Personalie überschatte die Themen, die die ARD mit der Sendung und Marke „ttt“ transportieren wolle.

Die ARD hatte Mischke, der unter anderem durch seine Arbeit für ProSieben bekannt wurde, als Nachfolger des langjährigen „ttt“-Moderators Max Moors benannt. Er sollte die Sendung im Wechsel mit Siham El-Maimouni leiten. Allerdings hatte es auf die Nominierung heftige Kritik gegeben, da frühere Äußerungen des Journalisten als sexistisch und rassistisch wahrgenommen werden. Mischkes erste „ttt“-Sendung sollte am 16. Februar von der Berlinale gesendet werden. El-Maimouni werde die Sendung 2025 alleine moderieren, erklärte die ARD nun.

„Weiteren Rufschaden abwenden“

Die ARD hatte Mischke zunächst verteidigt und erklärt, der Journalist habe sich seit der Veröffentlichung seines Buches „In 80 Frauen um die Welt“ selbstkritisch mit den Vorwürfen auseinandergesetzt, ein sexistisches Frauenbild vermittelt und eine teils rassistische Sprache benutzt zu haben. Er habe sich mehrfach für seine Ausdrucksweise entschuldigt.

In der Mitteilung hieß es, Mischke und die ARD seien sich einig, „dass es nun vor allem darum geht, einen weiteren Rufschaden von “ttt„ und Thilo Mischke abzuwenden“. Der Journalist selbst befinde sich in einem andauernden Prozess der Auseinandersetzung mit den Ereignissen und werde sich zu gegebener Zeit zur Sache äußern.

„ttt“ wird im wöchentlichen Wechsel von sechs Redaktionen der ARD-Landesrundfunkanstalten verantwortet: BR, hr, MDR, NDR, WDR, rbb. Mehr als 100 Autoren und Kulturschaffende hatten sich jüngst in einem offenen Brief an die ARD bestürzt über die Neubesetzung geäußert und angekündigt, nicht mit Mischke und „ttt“ zusammenzuarbeiten. Der Journalist habe sich entgegen der Behauptung der ARD bisher nicht kritisch mit seinem Werk auseinandergesetzt und sich nicht ausreichend distanziert, zitierte der Berliner „Tagesspiegel“ am Donnerstag aus dem Brief. Zu den Unterzeichnern zählen den Angaben zufolge der Autor Sasa Stanisic, der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen.



"Tagesschau" bleibt meistgesehene Nachrichtensendung



Hamburg (epd). Die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ war 2024 erneut Deutschlands meistgesehene Nachrichtensendung im Fernsehen. Wie der Norddeutsche Rundfunk (NDR) am 2. Januar in Hamburg mitteilte, schauten im Schnitt 9,5 Millionen Menschen ab drei Jahren die Sendung im Ersten, in den Dritten oder weiteren Programmen. Sie erzielte damit einen Marktanteil von 40,5 Prozent.

Den zweiten Platz belegte die 19-Uhr-Ausgabe der ZDF-Nachrichtensendung „Heute“ mit knapp 3,6 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern (19,1 Prozent Marktanteil). Auf dem dritten Platz folgte den Angaben zufolge „RTL aktuell“ mit 2,6 Millionen (Marktanteil 14,9 Prozent).

Sechs Millionen Klicks täglich

Die weiteren Plätze belegten die „Sat.1 Newstime“ mit 0,7 Millionen (3,3 Prozent) sowie die „ProSieben Newstime“ mit 0,3 Millionen Zuschauenden (2,2 Prozent). Auch bei den 14- bis 49-Jährigen lag die 20-Uhr-„Tagesschau“ vorn: Im Schnitt schalteten 1,3 Millionen Menschen aus dieser Altersgruppe ein (Marktanteil 30 Prozent).

Die Online-Angebote „tagesschau.de“ und „Tagesschau“-App wurden im vergangenen Jahr laut NDR täglich im Schnitt 6 Millionen Mal genutzt, was einer Steigerung von 14 Prozent entspricht. Auch auf den Social Media-Kanälen Instagram, Youtube, TikTok und X erreichte die „Tagesschau“ eine Steigerung der Followerzahlen von 11 bis 17 Prozent.



Forscher: Lieder waren die sozialen Medien des 16. Jahrhunderts



Bayreuth (epd). Was heute Social Media ist, waren vor 500 Jahren Lieder: Laut Forschern hatten Lieder an der Schwelle zur Neuzeit eine ähnliche Funktion wie heute soziale Netzwerke im Internet. Bei den Liebesliedern des 15. und 16. Jahrhunderts handele es sich um Stücke, die sehr eng in soziale Zusammenhänge eingebunden waren, sagte Cordula Kropik vom Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik an der Universität Bayreuth laut Mitteilung am 2. Januar.

Als solche gehörten sie jeweils der Gemeinschaft, die sie verwendet habe. „Das heißt, sie wurden oft nicht nur in Gruppen rezipiert - gehört, gesungen, getanzt -, sondern dürften zumeist auch gemeinschaftlich produziert worden sein.“ Die Lieder an der Schwelle zur Neuzeit könnten damit in den Zusammenhang einer kollektiven Praxis gestellt werden, hieß es weiter: „Sozusagen nach dem Prinzip post, like and share“. Kropik ergänzte: „In diesem Sinne könnte man sie als Social Media des 15. und 16. Jahrhunderts bezeichnen.“

Zusammen mit anderen Forschern der Universität Bayreuth sowie mit internationalen Experten aus Germanistik, Niederlandistik und Musikwissenschaft publizierte Kropik einen Sammelband zum Thema, der im Internet frei verfügbar ist.



50 Jahre blauer Elefant: Mit Neugier und Vertrauen durch die Welt




50 Jahre blauer Elefant: Mit Neugier und Vertrauen durch die Welt
epd-bild/WDR/Friedrich Streich
Durchdringendes Tröten, leuchtende Farbe und voller Ideen: Der kleine blaue Elefant lässt die Maus manchmal ganz schön alt aussehen. Am 5. Januar wird der Kinder-Fernseh-Liebling 50 Jahre alt.

Frankfurt a. M. (epd). Jedes Kind erkennt sofort, dass hier etwas nicht stimmt: Der Elefant ist kleiner als die Maus und die Ente. Außerdem ist er blau und hat gelbe Zehennägel. Die Zielgruppe hat das nie gestört: Als der kleine blaue Elefant vor 50 Jahren zum ersten Mal in der „Sendung mit der Maus“ auftauchte, haben ihn viele Kinder sofort in ihr Herz geschlossen. Kein Wunder: Im Gegensatz zur immer etwas altklug wirkenden Maus macht der Elefant einen eher gelassenen Eindruck. Er schläft gern, er isst gern und lebt seine Emotionen in erster Linie über den Körper aus.

Zu diesen Erkenntnissen ist jedenfalls die Medienwissenschaftlerin Maya Götz gekommen, die mit ihrem Team vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen im Auftrag des WDR über 360 „Maus-Spots“ analysiert hat. Das Trio Maus, Elefant und Ente, so ihr Resümee im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), stehe für verschiedene Archetypen: Während die Maus „den planvollen, intellektuellen Menschen symbolisiert, ist der Elefant das 'freie Kind', das mit Neugier und Vertrauen durch die Welt stapft. Hier erkennen sich Kinder wieder, die nicht immer planvoll vorgehen, sondern mit Spontaneität und Neugier auf die Welt zugehen.“ Auf Erwachsene wiederum wirke der Elefant vor allem anrührend, vorausgesetzt, sie hätten sich ihr „freies Kind“ bewahrt.

„Maus brauchte einen Spielkameraden“

2007 hat der WDR den Elefanten zum Namenspatron eines eigenen Magazins gemacht. Die „Sendung mit dem Elefanten“ richtet sich an Drei- bis Sechsjährige, also eine noch etwas jüngere Zielgruppe als die „Sendung mit der Maus“, die ursprünglich für Vorschulkinder entwickelt worden, aber seit Jahrzehnten Familienfernsehen ist.

Heike Sistig, stellvertretende Leiterin der WDR-Programmgruppe Kinder und Familie sowie Redakteurin für die „Sendung mit dem Elefanten“, erinnert sich im Gespräch mit dem epd an die Anfänge des Elefanten: „Seit dem Start der 'Sendung mit der Maus' 1971 gab es viele Abenteuer, die die Maus erlebt hatte, aber nun brauchte sie einen Spielkameraden, um neue Geschichten zu erzählen. Die soziale Komponente wurde damals immer wichtiger, und so kam 1975 der Elefant ins Spiel.“ Schon mit seinem ersten Auftritt am 5. Januar 1975 sorgte der kecke Rüsselträger für einen kleinen Eklat: Er trug ein Schild mit der Aufschrift „Die Sendung mit dem Elefanten“.

Da ist es nicht verwunderlich, dass die Maus den neuen Gefährten zunächst als Störenfried empfunden hat; ein Gefühl, das viele Kinder kennen, wenn sie einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester bekommen. Das war natürlich kein Zufall, wie Sistig erläutert: „In der gemeinsamen Interaktion ist der Elefant 'das kleine Geschwisterkind'. Während die Maus von ihren kognitiven und motorischen Fähigkeiten her einem Grundschulkind entspricht, ist der Elefant im Kita-Alter. Das spiegelt sich auch im Charakter der beiden wider: Die Maus zeichnet sich eher durch Wissen aus, sie kommt fundiert zu Lösungen. Dem Elefanten dagegen passieren die Dinge, er hat nicht viel mit Logik am Hut, sondern probiert viel lieber alles aus und lernt dadurch, was funktioniert und was nicht.“

„Kleiner Bruder“ bricht mit Klischees

Als „kleiner Bruder“ muss der Elefant selbstverständlich auch von geringerer Größe sein. Aber, sagt Sistig, es sei der Redaktion auch wichtig gewesen, Klischees aufzubrechen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Der Zeichentrickfilmer Friedrich Streich, der den Elefanten gestaltet hat, habe eine Umkehrung der gewohnten Tatsachen gewollt, und dieser Gedanke habe perfekt zur Philosophie gepasst: „Schließlich geht es bei der 'Sendung mit der Maus' auch häufig darum, kleine Dinge ganz groß und detailliert zu zeigen oder größere Prozesse zu verkleinern, damit Kinder sie verstehen können. Die Verdrehung der Verhältnisse von Groß und Klein in Maus und Elefant spiegelte somit auch symbolisch die ganze Sendung wider.“

Kerngedanke der Sendung mit dem Elefanten sei „ein neugieriger, offener Blick, der den Kindern die Welt zeigt und sie altersgerecht erklärt.“ Im Unterschied zur „Maus“ animiere sie die Kinder immer wieder zum Mitmachen. Mit seinen vielen Bestandteilen sei das Magazin so konzipiert worden, „dass Kinder immer nur kleine, abgeschlossene Einheiten schauen können“. Die Sendung besteht daher aus vielen kurzen Sequenzen: Es gibt Experimente, Bastelanleitungen, Serien, Sachgeschichten sowie eine „Quatschecke“ mit Anke Engelke. Und die erfreut mit ihrem stellenweise dadaistisch anmutenden Nonsens auch die Erwachsenen.

Von Tilmann P. Gangloff (epd)


Musk-Beitrag in der "Welt": Idee kam von Springer-Aufsichtsrat



Die Kritik an einem Gastbeitrag von Tech-Milliardär Elon Musk in der "Welt" hält an. Martin Varsavsky, Aufsichtsratsmitglied bei Axel Springer, teilte inzwischen mit, die Idee zum Beitrag an Musk und das Medienhaus herangetragen zu haben.

Frankfurt a.M. (epd). Die Idee zum umstrittenen „Welt“-Gastbeitrag von Elon Musk, in dem der Tech-Milliardär Wahlwerbung für die AfD machte, stammt nach eigenen Angaben von Springer-Aufsichtsratsmitglied Martin Varsavsky. Er erklärte auf X, er sei ein Freund von Musk. Der Artikel in der „Welt“ sollte dem US-Unternehmer die Möglichkeit geben, seine bereits auf X geäußerte Unterstützung der AfD genauer darzustellen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) hatte am 2. Januar über Varsavskys X-Post berichtet.

„Welt“-Chefredakteurin Jennifer Wilton habe zugestimmt, dass Musks Artikel „signifikanten Nachrichtenwert“ hätte, erklärte Varsavsky. Er habe daraufhin mit Musk Kontakt aufgenommen und ihm erläutert, welche möglichen Auswirkungen ein Beitrag hätte, in dem der Tech-Milliardär seine Ansichten zur AfD darstellt. „Er mochte die Idee, schrieb den Artikel und die 'Welt' veröffentlichte ihn“, so Varsavsky. Elon Musk selbst bestätigte dies bei X.

„Genese unterliegt der Vertraulichkeit“

Martin Varsavsky ist nach Angaben des Axel-Springer-Verlags ein Investor, der in den vergangenen 30 Jahren acht Unternehmen in den USA und in Europa unter anderem im Bereich der Biotechnologie gründete. Seit 2014 ist er Mitglied des Aufsichtsrats der Axel Springer SE.

Auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) verwies ein Springer-Sprecher auf ein Interview der FAZ mit Jan Philipp Burgard, dem Chefredakteur der „Welt“-Gruppe. Burgard sagte: „Unsere Gastautoren haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Genese ihres Beitrags der Vertraulichkeit unterliegt.“

Die Entscheidung für den Abdruck von Musks Text sei „nach intensivem Austausch mit Redaktionsvertretern, etwa mit dem Redaktionsausschuss, innerhalb der Chefredaktion getroffen“ worden, so Burgard. „Und nirgendwo sonst. Es war auch ganz allein meine Entscheidung, dem Gastbeitrag von Elon Musk meine sehr entschiedene Erwiderung entgegenzusetzen“, führte der „Welt“-Chef im Interview weiter aus.

Thierse: Angriff auf deutsche Demokratie

Unterdessen hält die Kritik an den jüngsten Äußerungen Musks zur deutschen Innenpolitik und an seiner verbalen Attacke auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warf Musk im Berliner „Tagesspiegel“ (Freitag) einen „fundamentalen Angriff auf die deutsche Demokratie“ vor. Der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels CDA, Dennis Radtke, bezeichnete den engen Vertrauten des designierten US-Präsidenten Donald Trump als „politischen Brandstifter“.

Musk hatte Steinmeier auf X als antidemokratischen Tyrannen beschimpft. „Schande über ihn“, fügte der Trump-Berater hinzu. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte er nach dem Bruch der Ampel-Koalition als „Narr“ bezeichnet.

Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) sagte dem „Spiegel“ am Freitag: „Der reichste Mann der Welt, der eine der wirkungsmächtigsten Kommunikationsplattformen besitzt, unterstützt offen eine in Teilen rechtsextremistische Partei. Wir sollten nicht den Fehler machen, das abzutun, wie wir in der Vergangenheit so häufig Warnungen abgetan haben.“



Filme der Woche



September 5

Die Olympischen Spiele in München sollten als die „heiteren Spiele“ in die Geschichte eingehen, doch sie wurden überschattet von der Geiselnahme und Ermordung israelischer Sportler durch die palästinensische Terrororganisation Schwarzer September. Tim Fehlbaum zeigt die damaligen Ereignisse konsequent aus der Perspektive der Sportreporter vom US-Sender ABC, die in ihrem nahe gelegenen Studio von der Geiselnahme erfahren. Mit kaum gesicherten Informationen und abseits der Sportberichterstattung völlig unerfahren, entscheidet die Crew um Geoffrey Mason (John Magaro), Roone Arledge (Peter Sarsgaard) und Marvin Bader (Ben Chaplin) innerhalb kürzester Zeit, die Entwicklungen in Echtzeit zu präsentieren. Das Drehbuch basiert auf den Erinnerungen von Geoffrey Mason, lediglich die Figur der deutschen Assistentin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch) ist fiktiv. Minuziös inszeniert Fehlbaum die logistischen und moralischen Herausforderungen und macht mit seinem packenden Kammerspielthriller ein Stück Mediengeschichte erfahrbar.

September 5 (Deutschland 2024). Regie: Tim Fehlbaum. Buch: Moritz Binder, Tim Fehlbaum. Mit: John Magaro, Peter Sarsgaard, Leonie Benesch, Ben Chaplin, Zinedine Soualem, Georgina Rich. Länge: 91 Minuten. FSK: ab 12 Jahren, ff. FBW: besonders wertvoll. Film des Monats der Jury der Evangelischen Filmarbeit.

Filmstunde_23

Im Jahr 1968 verwandelt der Regisseur Edgar Reitz das Klassenzimmer eines Münchner Mädchen-Gymnasiums in ein Filmstudio. Diese „Filmstunde“ ist der erste dokumentierte Versuch, Filmästhetik als Fach zu unterrichten. Über ein halbes Jahrhundert später traf sich 2023 ein Großteil der Klasse wieder mit dem mittlerweile 90 Jahre alten Filmemacher, begleitet von einem Filmteam um den Dokumentarfilmer Jörg Adolph. Gemeinsam reflektieren sie die damaligen Erfahrungen und welche Bedeutung die Filmkunst in ihrem Leben spielt. Die Dokumentation verbindet die Aufnahmen der Sitzung mit dem damals entstandenen Material zu einer aufschlussreichen Auseinandersetzung über die bis heute nicht eingelöste Forderung nach einer allgemeinen visuellen Bildung.

Filmstunde_23 (Deutschland 2024). Regie: Edgar Reitz, Jörg Adolph. Länge: 89 Minuten. FSK: ohne Beschränkung, ff. FBW: ohne Angabe.

Veni Vidi Vici

Wer Geld und Einfluss hat, kann tun und lassen, was er will: Nach dieser Devise lebt die Familie von Viktoria und Amon Maynard (Ursina Lardi, Laurence Rupp). Gemeinsam mit ihren Kindern führen sie ein maßloses und fast perfektes Leben. Aus Langeweile und weil ihn keiner stoppt, erschießt Amon Maynard wahllos Menschen. Der Journalist Volker (Dominik Warta) versucht die Morde aufzudecken, deren Täter eigentlich jeder kennt. Aber er scheitert daran, dass offenbar keiner dies möchte. Die 13-jährige Tochter Paula (Olivia Goschler) zeigt sich unterdessen fast noch skrupelloser als ihr Vater. Eine bitterböse Satire über Superreiche, die eine perverse Welt offenbart. Eine Antwort auf die Frage, warum die Welt sie gewähren lässt, gibt es nicht.

Veni Vidi Vici (Österreich 2024). Regie: Daniel Hoesl, Julia Niemann. Buch: Daniel Hoesl. Mit: Laurence Rupp, Ursina Lardi, Olivia Goschler, Kyra Kraus, Tamaki Uchida. Länge: 86 Minuten. FSK: ab 16, ff. FBW: ohne Angabe.

We Live in Time

Almut (Florence Pugh) und Tobias (Andrew Garfield) begegnen sich durch Zufall, verlieben sich, gründen eine Familie. Ihr Glück könnte perfekt sein, doch Almuts Krebsdiagnose wirft ihr Leben durcheinander. Regisseur John Crowley erzählt diese Chronik einer Liebe allerdings nicht in der natürlichen Reihenfolge, sondern zeigt die Ereignisse wild durcheinandergewürfelt. Die Szenen wirken wie Gedanken und Erinnerungen, die urplötzlich über einen hereinbrechen. Als Zuschauer ist man herausgefordert, sich zurechtzufinden. Emotional, aber nie sentimental fängt der Film zwischenmenschliche Momente und fragile Gefühle ein und entfaltet seine Tragik ganz beiläufig mit Humor und Melancholie.

We Live in Time (Frankreich/Großbritannien 2024). Regie: John Crowley. Buch: Nick Payne. Mit: Andrew Garfield, Florence Pugh, Lee Braithwaite, Aoife Hinds, Adam James, Douglas Hodge. Länge: 108 Minuten. FSK: ab 12, ff. FBW: ohne Angabe.

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Entwicklung

Kreativität und Widerstand - Mode im südafrikanischen Township Soweto




Soweto Fashion Week
epd-bild/Helena Kreiensiek
Wo sich einst der Widerstand gegen das rassistische Apartheidsystem in Südafrika bildete, entsteht heute Mode. Die Bedingungen in Soweto sind schwierig. Doch die jungen Kreativen träumen und arbeiten weiter für die Freiheit, sich auszudrücken.

Soweto (epd). Langsam zieht Lungelo Khanyile die Nadel mit dem dünnen Garn durch den Stoff. Hoch konzentriert setzt er die letzten Stiche. Der 20-jährige Südafrikaner ist ein aufstrebender Modedesigner aus dem Township Soweto. Der Vorort der Millionenstadt Johannesburg ist bekannt für seine Geschichte. Hier, in den kleinen Gassen, entwickelte sich in den 1970er Jahren das Zentrum des Widerstands gegen das rassistische Apartheid-Regime.

Das Hector-Pieterson-Museum erinnert bis heute an den Soweto-Aufstand von 1976, als vor allem Schülerinnen und Schüler gegen die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache auf die Straße gingen. Darunter auch der zwölfjährige Hector Pieterson, der während der Proteste von der Polizei erschossen wurde. Der Schuljunge wurde zum Symbol für den Widerstand gegen die Apartheid, genauso wie das Stadtviertel an sich.

Gesellschaft bis heute stark nach Hautfarbe gespalten

Unweit des Hector-Pieterson-Museums hat sich eine Drehscheibe für die Modewelt Südafrikas entwickelt. Während das Land mit einer enormen Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen kämpft, entstehen hier Träume und Visionen. „Mode ist ein Weg, um sich auszudrücken“, sagt Khanyile. Außerdem bringe sie Menschen zusammen. In einer Gesellschaft, die bis heute stark nach Hautfarbe und Herkunft gespalten ist, ein wichtiges Gut.

Mit seinen 20 Jahren gehört Khanyile der Generation der „Born Free“ an. So bezeichnet werden diejenigen, die nach dem Ende der Apartheid und der Einführung der Demokratie im Jahr 1994 in Freiheit geboren wurden. Ein Begriff, der auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausdrückt.

Viel von dieser Hoffnung ist 30 Jahre später allerdings der harten Realität gewichen. Für die vielen jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, ist es schwer geworden, eine Anstellung zu finden. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist von Sozialhilfe abhängig. Zum Leben reicht das Geld hinten und vorne nicht. Auch Soweto ist von hohen Arbeitslosenraten, sozialer Ungleichheit und Armut geprägt.

Immer mehr Marken international erfolgreich

Wenn Lungelo Khanyile aber konzentriert an den neuesten Kreationen arbeitet, sind diese Sorgen kurz vergessen. Das kleine Studio quillt über mit Stoffen, Knöpfen, Schleifen und was auch immer sich sonst noch vernähen lässt. Hier probiert er sich aus und unterstützt den südafrikanischen Designer Sibu FDB. Der schrille Modeschöpfer, der mit seinen 41 Jahren zu den bekannteren Modegrößen des Landes zählt, sei wie ein Mentor. „Das hier ist die no sleep zone“, sagt Khanyile halb im Spaß, halb im Ernst. Die „schlaflose Zone“, wie er das Studio nennt. Gemeinsam hat das Duo schon viele Modenschauen erfolgreich bestritten, allen voran die Soweto Fashion Week.

Die Modenschau in dem Johannesburger Vorort hat sich über die Jahre zu einer der wichtigsten Shows des Landes und zu einem Sprungbrett für junge Talente entwickelt. Oft erhielten aufstrebende Designer und Models hier ihre erste Chance, um vor größerem Publikum ihre Arbeit und ihr Können zu präsentieren. Geht es nach Fashion-Week-Gründer Steven Manzini, soll Soweto irgendwann in einem Atemzug mit London, Paris, Mailand und New York genannt werden.

Bislang seien die internationalen Laufstege fast ausschließlich westlich dominiert, erzählt Manzini. Hohe Gebühren machten es noch unbekannten Designern aus dem globalen Süden schwer, den Sprung zu schaffen. Die Fashion Week habe zum Ziel, dies zu ändern. Mit Erfolg: Immer mehr südafrikanische Marken erobern sich nach und nach einen Platz auf dem internationalen Parkett. Für Khanyile und viele andere junge Talente in Soweto ist diese Entwicklung eine Motivation. Mode ist für sie mehr als nur ein Stilmittel. Sie ist auch Ausdruck von der Kraft, der Kreativität und dem Aufbegehren der Generation „Born Free“.

Von Helena Kreiensiek (epd)


Comeback in Krisenzeiten: John Mahama wird Ghanas neuer Präsident




Wahlkampfplakate in Accra, Ghana
epd-bild/Helena Kreiensiek
Ghanas neuer Präsident ist ein alter Bekannter. Nach seinem Wahlsieg plant John Dramani Mahama einen Neustart. Am 7. Januar wird er vereidigt - zur Vizepräsidentin macht er erstmals in der Geschichte des Landes eine Frau.

Accra (epd). Es ist ein Comeback in Krisenzeiten. Am 7. Januar wird John Dramani Mahama als Ghanas neuer Präsident vereidigt. Mit 56,6 Prozent der Stimmen gewann der Politiker des National Democratic Congress (NDC) Anfang Dezember die Wahl. Es war der größte Vorsprung eines Kandidaten in dem westafrikanischen Land seit 24 Jahren.

Mit Mahama besetzt ein altbekanntes Gesicht das höchste Amt im Land. Der 66-Jährige war bereits von 2009 bis 2012 Vizepräsident unter der Regierung von John Atta Mills. Nachdem dieser 2012 im Amt verstorben war, übernahm Mahama bis 2017. Die Bilanz seiner ersten Präsidentschaft ist durchwachsen; zahlreiche Korruptionsskandale überschatteten seine Amtszeit, auch litt das Land unter anhaltenden Stromausfällen. Bei den Wahlen 2016 verlor Mahama deutlich gegen Nana Akufo-Addo von der Partei New Patriotic Party (NPP). Dieser tritt nun, nach der Maximallänge von zwei Amtszeiten, verfassungskonform ab.

Erstmals Vizepräsidentin

Mit seiner Rückkehr an die Staatsspitze verspricht Mahama einen Neustart. Er will Arbeitsplätze schaffen, Infrastrukturprojekte umsetzen und die Universitätsgebühren für Studienanfänger abschaffen. Außerdem will er eine „24-Stunden-Wirtschaft“ einführen: In Schlüsselbranchen wie dem Baugewerbe, Bergbau oder der Pharmaindustrie soll in einem Dreischichtsystem gearbeitet werden, um Ressourcen effizienter zu nutzen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Als Mahamas rechte Hand tritt zum ersten Mal in der Geschichte Ghanas eine Frau das Amt der Vizepräsidentin an: Jane Naana Opoku-Agyemang. Von 2013 bis 2017 war die 73-Jährige bereits Bildungsministerin. In dieser Zeit stärkte sie vor allem den Zugang von Mädchen zur Schulbildung. Auch in der kommenden Amtszeit will sie sich für Frauenrechte einsetzen.

Unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung

Das Duo steht vor großen Herausforderungen. Seit Ghana 2022 die Zahlungsunfähigkeit erklären musste, steckt das Land in einer schweren Wirtschaftskrise. Ein Rettungsfonds des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von drei Milliarden US-Dollar und umfassende Reformen haben die Lage zwar stabilisiert. Doch die Bevölkerung ächzt unter den hohen Lebenshaltungskosten. Mit rund 61 Prozent lag die Wahlbeteiligung deutlich unter den für Ghana üblichen Werten - ein Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit nach wirtschaftlich harten Zeiten.

Vier Jahre hat Mahama nun Zeit für seinen Neustart. Schafft er es, seine Versprechen umzusetzen, könnte er auch das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System insgesamt wieder stärken.

Von Helena Kreiensiek (epd)


Zwischen Klimawandel und Bergbau: Chiles Gletscher sind in Gefahr




Tal des Juncals-Gletschers in den chilenischen Anden
epd-bild/Gabriela Cruz
Die UN haben 2025 zum Jahr der Gletscher erklärt. In vielen Regionen gehen die einzigartigen Naturräume zurück, die zugleich wichtige Süßwasserspeicher sind. In den chilenischen Anden ist laut einer Studie auch der Bergbau dafür verantwortlich.

Santiago de Chile (epd). Er besteht nur noch aus einem Bruchteil seiner ursprünglichen Masse, das zeigen Bilder: Der Gletscher Juncal thront auf knapp 6.000 Metern Höhe in den Gipfeln der chilenischen Anden. Von dort gleitet er hinab in das Tal des gleichnamigen Flusses Rio Juncal, der später zum Aconcagua wird. Das Schmelzwasser sorgt dafür, dass der Fluss über die fast sieben Monate andauernde Trockenzeit im Sommer fortlaufend Wasser mit sich trägt und Städte wie Valparaíso genügend Trinkwasser erhalten.

Auf der ganzen Welt haben Gletscher eine zentrale Bedeutung für die Umwelt und die Wasserversorgung und sind wichtig für Milliarden Menschen, wie die Vereinten Nationen betonen. Sie speicherten einen erheblichen Anteil des Süßwassers auf der Welt. Doch die Gletscher gehen zurück. Daher haben die UN das Jahr 2025 zum „Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher“ erklärt.

„Uns geht das Wasser aus“

„Über die letzten Jahre hat sich der Juncal enorm zurückgezogen“, berichtet die Chilenin Catherine Kenrick. Sie lebt in der Hauptstadt Santiago und hat im Auftrag ihrer Familie vor 20 Jahren begonnen, aus deren Landbesitz rund um den Gletscher ein privates Naturschutzgebiet zu machen, das mit 14.000 Hektar so groß wie Mannheim ist. Doch das Projekt ist in Gefahr. Neben dem Klimawandel bedrohe der Bergbau die fast unberührte Natur.

Auch Patricio Gómez ist besorgt. Er leitet seit mehr als 30 Jahren eine kleine Trinkwassergenossenschaft in der Ortschaft Las Cabras im Tal des Aconcaguas. Er sagt: „Uns geht das Wasser aus.“ Der sich sinkende Wasserspiegel hat die Genossenschaft dazu gezwungen, immer tiefere Brunnen zu graben, mittlerweile sind es 185 Meter. Jahr für Jahr wird es trockener, weil der Regen immer weiter nachlasse, die Landwirtschaft zu viel Wasser verbrauche und immer weniger Schmelzwasser vom Gletscher komme.

Das Flusstal war einst die Kornkammer Chiles. Später baute man hier Wein, Zwiebel, Knoblauch und Melonen an. Seit einigen Jahren sind Avocadoplantagen hinzugekommen, die hauptsächlich für den Export produzieren, unter anderem auch nach Deutschland. Trotz monatelanger Trockenheit im Sommer brachte der Aconcagua über die vergangenen Jahrhunderte stets genügend Wasser mit sich.

Bergbau mitverantwortlich

Dieses System ist nun bedroht. Hintergrund ist der Rückgang des Juncal-Gletschers - und der wird wohl durch den Bergbau in der Region beschleunigt: Im Jahr 2022 bewies eine chilenische Gruppe aus Forschenden am Beispiel des Olivares-Alpha-Gletschers, dass der Bergbau einen erheblichen Anteil am raschen Schmelzen der Gletscher im Zentrum des Landes hat. Die Abgase des Bergbaus, der aufgewirbelte Staub und teilweise auch die direkte Zerstörung seien für über 80 Prozent des Gletscherschwundes verantwortlich, fanden die Wissenschaftler heraus. Staub und Abgase legen sich auf die weiße Gletscheroberfläche, die dadurch dunkel wird. Dadurch reflektiert der Gletscher weniger Sonneneinstrahlung und erwärmt sich stärker.

Catherine Kenrick erzählt, dass auch ihr Großvater eigentlich vorhatte, im Tal Bergbau zu betreiben, das aber nie umsetzte. Stattdessen breitete sich die Förderung von Bodenschätzen in den Nachbartälern aus. Auf der anderen Seite der Bergketten liegen zwei der größten Kupferminen Chiles, die zusammen über 500.000 Tonnen Kupferkonzentrat pro Jahr aus dem Inneren der Erde holen. Das orangefarbene Metall verschafft Chile relativen Wohlstand. Etwa 30 Prozent der Staatseinnahmen kommen aus dem Abbau natürlicher Rohstoffe, darunter vor allem von Kupfer.

Neue Minen geplant

„Seit Jahren schläft im Parlament ein Gesetz zum Schutz von Gletschern“, kritisiert Kenrick. „Dabei sollten sich alle politischen Akteure der Bedeutung von Gletschern zur Wasserversorgung bewusst sein.“ Der Staat setze sich zu wenig für den Schutz der Natur ein. „Naturschutz darf aber nicht von Privaten abhängen“, meint sie.

Auch der im Tal lebende Mauricio Montenegro sieht die Lage kritisch: „Überall hier sind neue Minen geplant, dabei haben die bisherigen schon unser Wasser verschmutzt und die Gletscher beschädigt.“ Er will gerne die Tierzucht in Familientradition weiterführen, aber er hat Angst, dass das bald nicht mehr möglich ist. „Die Unternehmen kommen, machen alles kaputt und ziehen weiter“, kritisiert er. Gegen den Bergbau an sich sei er nicht, doch das Ausmaß und die zu laschen Umweltbestimmungen sind für ihn das Problem.

Erfolgreicher Protest

Auch auf dem Land der Kenricks wollte in den vergangenen Jahren ein US-amerikanisches Bergbauunternehmen aktiv werden. Das ist möglich, da in Chile alles unter der Erde dem Staat gehört und dieser Konzessionen zum Abbau vergeben kann, selbst wenn die Landeigentümer sich dagegen stellen.

Im Fall des Juncals konnte das Projekt aufgrund wochenlanger Proteste aber verhindert werden. Die Regionalregierung setzte daraufhin sogar eine Kommission aus Parlamentariern, Bürgermeistern und Interessierten zusammen, die über den Schutz der Gletscher am oberen Flusslauf beraten soll. Das hat auch der 80-jährigen Kenrick Mut gegeben: „Wenn mich in meinem aktuellen Alter etwas positiv stimmt, dann sind es die jüngeren Generationen, die für die Gletscher einstehen.“

Von Malte Seiwerth (epd)


Argentinien: Regierung schließt Diktatur-Gedenkstätte



Frankfurt a.M., Buenos Aires (epd). Die argentinische Regierung hat die Gedenkstätte im Foltergefängnis Esma der Militärdiktatur geschlossen. Das Menschenrechtszentrum sei überraschend und mit sofortiger Wirkung geschlossen worden, berichtete die Zeitung „El Diario“ am 1. Januar. Das Personal sei an Silvester über WhatsApp über die Schließung informiert worden.

Das „Centro Cultural Haroldo Conti“ in der früheren Technischen Schule der Marine (Esma) ist eine der landesweit wichtigsten Stätten zur Aufarbeitung der Militärdiktatur (1976-1983). In der Esma wurden in der Zeit schätzungsweise 5.000 Regimekritiker gefoltert und ermordet. Seit 2007 sind alle Gebäude als Gedenkstätte zugänglich.

In ihrer Mitteilung an die Angestellten sprach die Regierung demnach von einer Schließung der Gedenkstätte zwecks „interner Umstrukturierung“ und Neugestaltung des Programms. Fast allen Mitarbeitenden sei der Zugang zu den Gebäuden ab dem 2. Januar verwehrt, hieß es.

Milei-Regierung stellt Erinnerungskonsens in Frage

Die ultraliberale Regierung unter Präsident Javier Milei stellt den bisherigen Erinnerungskonsens über die Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur offen in Frage. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden in der Zeit etwa 30.000 Menschen ermordet, viele von ihnen gelten bis heute als verschwunden. Die Regierung Milei hat das Narrativ der Militärs übernommen und rechtfertigt die Menschenrechtsverletzungen mit einem „offenen Konflikt“ mit „Opfern auf beiden Seiten“.

Im Dezember wurde zudem bekannt, dass das Justizministerium fast alle Mitarbeitenden des zuständigen Sekretariats für Menschenrechte entlassen will. Dagegen protestierten Menschenrechtsorganisationen unter anderem am Eingang der Esma. Die ehemalige Direktorin der Gedenkstätte, Lola Berthet, kritisierte die Schließung scharf. „Diese Regierung ist in jeder Hinsicht böse“, schrieb sie auf ihrem Instagram-Account. Der für die Gedenkstätte zuständige Justizminister Mariano Cúneo-Libarona äußerte sich zunächst nicht.



Mehr Waldbrände in Brasilien



Berlin/São Paulo (epd). In Brasilien sind im vergangenen Jahr deutlich mehr Waldbrände registriert worden. Das staatliche Weltrauminstitut Inpe zählte 2024 rund 278.300 Brandherde in dem südamerikanischen Land und damit 46 Prozent mehr als im Jahr 2023, wie das brasilianische Magazin „Carta Capital“ am 2. Januar berichtete. Demnach lag die Zahl der Waldbrände auf dem höchsten Wert seit 2010. Insgesamt verbrannte eine Fläche von mehr als 300.000 Quadratkilometern, was in etwa der Größe Deutschlands entspricht.

Die größte Fläche Regenwald wurde dem Bericht zufolge in der Amazonas-Region vernichtet. Hier wüteten die meisten Brände, deren Zahl im Vergleich zum Vorjahr nochmals um 42 Prozent zugenommen hat. Laut Inpe habe es im Amazonas-Gebiet die heftigsten Brände seit dem Jahr 2007 gegeben, hieß es.

Brennpunkt Pantanal

Die Brände im Naturschutzgebiet Pantanal im Süden des Landes haben demnach im Vergleich zu 2023 um 120 Prozent zugenommen. Das Pantanal grenzt im Süden an Paraguay und Bolivien und im Norden an die Amazonas-Region. Das Pantanal ist ein einzigartiges Feuchtgebiet und etwa so groß wie Großbritannien.

Gründe für die verheerende Zahl der Waldbrände sind der Klimawandel, aber auch das Wetterphänomen El Niño. So waren große Teile Brasiliens im vergangenen Jahr von einer Dürreperiode erfasst.

Brasiliens linksgerichteter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte bei Amtsantritt vor zwei Jahren versprochen, die illegale Abholzung komplett zu stoppen. Unter seinem Vorgänger Jair Bolsonaro (2019 bis 2023) war die Vernichtung des Regenwaldes um 70 Prozent angestiegen. Durch Abholzung und Brände hat der Amazonas-Regenwald in den vergangenen 50 Jahren rund 20 Prozent seiner Fläche verloren und könnte laut Wissenschaftlern einen gefährlichen Kipppunkt erreicht haben. Der Amazonas-Regenwald ist für das Weltklima ein bedeutender CO2-Speicher.



Indien: Giftmüll von Bhopal-Katastrophe wird entsorgt - nach 40 Jahren



Frankfurt a.M., Neu-Delhi (epd). 40 Jahre nach dem verheerenden Chemie-Unfall im indischen Bhopal haben die Behörden mit der Entsorgung von Hunderten Tonnen giftigen Abfalls begonnen. Ein Konvoi mit 40 Fahrzeugen sei am 1. Januar mit 337 Tonnen Giftmüll von der Fabrik gestartet, die im Dezember 1984 explodiert war, berichtete die Zeitung „Times of India“. Ziel sei eine Entsorgungsanlage in der 230 Kilometer entfernten zentralindischen Stadt Pithampur. Lokale Arbeiter seien besorgt über mögliche Sicherheitsrisiken, während die Behörden versicherten, alle nötigen Maßnahmen ergriffen zu haben.

Am 3. Dezember 1984 waren bei Reinigungsarbeiten in der Union Carbide Fabrik 40 Tonnen hochgiftiges Methylisocyanat aus einem Lagertank ausgetreten. Teile der Anlage explodierten, das Gas zur Insektengiftherstellung breitete sich über weite Teile Bhopals aus, Tausende Menschen starben direkt nach dem Unfall und in den Jahren danach, weitere sind bis heute auf medizinische Hilfe angewiesen. Die Katastrophe gilt als das schwerste Chemieunglück der Geschichte.

Chemikalien im Grundwasser

Über die Jahrzehnte waren die Chemikalien auf dem seither leer stehenden Gelände in die Umwelt geraten, unter anderem in das Grundwasser. Zehntausende Menschen leben im Umfeld der ehemaligen Fabrik. Ein Gericht im Bundesstaat Madhya Pradesh hatte nach Jahren des Kampfes von Aktivisten und Überlebenden den Verantwortlichen Anfang Dezember eine vierwöchige Frist gesetzt, um den Giftmüll zu entsorgen.

Die spezielle Aufbereitung des Giftmülls werde drei bis neun Monate dauern, berichtete die „Times of India“ unter Berufung auf die zuständigen Behörden. Der Konvoi wurde laut „Times of India“ von 700 Sicherheitskräften und Rettungsfahrzeugen begleitet.

Gegen den Umzug des Abfalls nach Pithampur haben laut dem britischen Sender BBC Nachbarn der dortigen Entsorgungsanlage und Aktivisten protestiert, die um die Sicherheit der Menschen in dem Gebiet fürchten. Sie verwiesen darauf, dass 2015 probehalber eine kleine Menge des Bhopal-Giftmülls in der Anlage entsorgt worden sei und dabei Boden, Grundwasser und Trinkwasser kontaminiert wurde.



Mindestens 27 Tote bei Bootsunglücken vor der tunesischen Küste



Tunis (epd). Mindestens 27 Geflüchtete sind bei zwei Bootsunglücken vor der Küste Tunesiens gestorben. Die Boote seien auf dem Weg nach Italien am 1. Januar rund drei Seemeilen vor den zentraltunesischen Kerkennah-Inseln gekentert, berichtete die tunesische Nachrichtenagentur TAP. 83 weitere Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara seien vom tunesischen Zivilschutz gerettet worden, sagte dessen Regionaldirektor mehreren lokalen Medien. Fünf Überlebende seien in ein Krankenhaus gebracht worden.

Die Region Sfax an der Ostküste, zu der auch die Kerkennah-Inseln gehören, ist der wichtigste Abfahrtsort für Migrantenboote aus Tunesien. Die italienische Insel Lampedusa ist von dort nur rund 150 Kilometer entfernt. Zwar ist die Zahl der Migranten und Geflüchteten, die Italien erreicht haben, 2024 stark zurückgegangen. Doch harren Schätzungen zufolge nach wie vor mehrere zehntausend Menschen in Tunesien in inoffiziellen Flüchtlingslagern aus.

Das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 2024 mindestens 2.279 Menschen bei der Überquerung Richtung Europa gestorben oder werden vermisst. Die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher.




Termine

15.1. Evangelische Akademie Sachsen

Online Die Sache mit Israel: Gedanken und Fragen zu einem komplizierten Land Im Gespräch mit dem Journalisten, Autoren und Filmemacher Richard C. Schneider

31.1.-1.2. Evangelische Akademie Tutzing

Ökumene am Ende? Am Ende Ökumene! 25 Jahre ist es her, dass am Reformationsfest in Augsburg 1999 die „Gemeinsame Offizielle Feststellung“ zur „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ unterzeichnet wurde. Es ist das wichtigste theologische Ereignis der westlichen Ökumene seit der Reformation. Die Euphorie, die damals entstand, scheint inzwischen verflogen. In die Aufbruchstimmung mischen sich meist Irritationen, dann ist von einem Stillstand die Rede, der wiederum durch hoffnungsvolle Entwicklungen beendet wird. Die viel zitierte „Ökumene der Beziehungen“ sorgt dafür, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt.

14.-16.2. Evangelische Akademie Bad Boll

Die kurdische Perspektive aus Europa 2025. Hoffnung in Zeiten der Polykrisen Kurd*innen sind in besonderer Weise von den aktuellen Krisen betroffen. Als Volk ohne Staatsgebiet sind sie schon oft zum Spielball der jeweiligen Machthaber im Iran, Irak, Syrien oder der Türkei geworden. Dennoch haben sie sich immer wieder Freiräume erkämpft. Unterstützt werden sie dabei auch von der Diaspora.

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