Soweto (epd). Langsam zieht Lungelo Khanyile die Nadel mit dem dünnen Garn durch den Stoff. Hoch konzentriert setzt er die letzten Stiche. Der 20-jährige Südafrikaner ist ein aufstrebender Modedesigner aus dem Township Soweto. Der Vorort der Millionenstadt Johannesburg ist bekannt für seine Geschichte. Hier, in den kleinen Gassen, entwickelte sich in den 1970er Jahren das Zentrum des Widerstands gegen das rassistische Apartheid-Regime.
Das Hector-Pieterson-Museum erinnert bis heute an den Soweto-Aufstand von 1976, als vor allem Schülerinnen und Schüler gegen die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache auf die Straße gingen. Darunter auch der zwölfjährige Hector Pieterson, der während der Proteste von der Polizei erschossen wurde. Der Schuljunge wurde zum Symbol für den Widerstand gegen die Apartheid, genauso wie das Stadtviertel an sich.
Gesellschaft bis heute stark nach Hautfarbe gespalten
Unweit des Hector-Pieterson-Museums hat sich eine Drehscheibe für die Modewelt Südafrikas entwickelt. Während das Land mit einer enormen Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen kämpft, entstehen hier Träume und Visionen. „Mode ist ein Weg, um sich auszudrücken“, sagt Khanyile. Außerdem bringe sie Menschen zusammen. In einer Gesellschaft, die bis heute stark nach Hautfarbe und Herkunft gespalten ist, ein wichtiges Gut.
Mit seinen 20 Jahren gehört Khanyile der Generation der „Born Free“ an. So bezeichnet werden diejenigen, die nach dem Ende der Apartheid und der Einführung der Demokratie im Jahr 1994 in Freiheit geboren wurden. Ein Begriff, der auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausdrückt.
Viel von dieser Hoffnung ist 30 Jahre später allerdings der harten Realität gewichen. Für die vielen jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, ist es schwer geworden, eine Anstellung zu finden. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist von Sozialhilfe abhängig. Zum Leben reicht das Geld hinten und vorne nicht. Auch Soweto ist von hohen Arbeitslosenraten, sozialer Ungleichheit und Armut geprägt.
Immer mehr Marken international erfolgreich
Wenn Lungelo Khanyile aber konzentriert an den neuesten Kreationen arbeitet, sind diese Sorgen kurz vergessen. Das kleine Studio quillt über mit Stoffen, Knöpfen, Schleifen und was auch immer sich sonst noch vernähen lässt. Hier probiert er sich aus und unterstützt den südafrikanischen Designer Sibu FDB. Der schrille Modeschöpfer, der mit seinen 41 Jahren zu den bekannteren Modegrößen des Landes zählt, sei wie ein Mentor. „Das hier ist die no sleep zone“, sagt Khanyile halb im Spaß, halb im Ernst. Die „schlaflose Zone“, wie er das Studio nennt. Gemeinsam hat das Duo schon viele Modenschauen erfolgreich bestritten, allen voran die Soweto Fashion Week.
Die Modenschau in dem Johannesburger Vorort hat sich über die Jahre zu einer der wichtigsten Shows des Landes und zu einem Sprungbrett für junge Talente entwickelt. Oft erhielten aufstrebende Designer und Models hier ihre erste Chance, um vor größerem Publikum ihre Arbeit und ihr Können zu präsentieren. Geht es nach Fashion-Week-Gründer Steven Manzini, soll Soweto irgendwann in einem Atemzug mit London, Paris, Mailand und New York genannt werden.
Bislang seien die internationalen Laufstege fast ausschließlich westlich dominiert, erzählt Manzini. Hohe Gebühren machten es noch unbekannten Designern aus dem globalen Süden schwer, den Sprung zu schaffen. Die Fashion Week habe zum Ziel, dies zu ändern. Mit Erfolg: Immer mehr südafrikanische Marken erobern sich nach und nach einen Platz auf dem internationalen Parkett. Für Khanyile und viele andere junge Talente in Soweto ist diese Entwicklung eine Motivation. Mode ist für sie mehr als nur ein Stilmittel. Sie ist auch Ausdruck von der Kraft, der Kreativität und dem Aufbegehren der Generation „Born Free“.