Kirchen

Weltkirchenrats-Vorsitzender: Zwei-Staaten-Lösung in Nahost anstreben




Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Christian Ditsch
Die Erklärung des Weltkirchenrates von Nigeria zu dem Konflikt in Nahost prangere auch die weltweit ansteigende Gewalt gegen Juden an, betont der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen, Heinrich Bedford-Strohm.

Genf (epd). Der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Heinrich Bedford-Strohm, hat eine Zwei-Staaten-Lösung für den Nahen Osten angemahnt. Israel und ein Staat Palästina müssten endlich in Frieden nebeneinander und miteinander in der Region existieren, sagte Bedford-Strohm dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Genf.

Das Ziel der Zwei-Staaten-Lösung dürfe angesichts des aktuellen bewaffneten Konflikts zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel nicht aus den Augen verloren werden. Der Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen verurteilte mit scharfen Worten den Terrorangriff der Hamas auf Israel, der am 7. Oktober den aktuellen bewaffneten Konflikt in Nahost ausgelöst hatte.

„Die brutalen Morde der Hamas in Israel haben mich zutiefst geschockt“, sagte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Ex-Landesbischof in Bayern und verwies auf eine klare Verurteilung der Hamas-Morde in der Erklärung des Weltkirchenrates bei seiner jüngsten Sitzung in Nigeria. „Die Erklärung des Weltkirchenrates von Nigeria zu dem Konflikt in Nahost prangert auch die weltweit ansteigende Gewalt gegen Juden an“, sagte Bedford-Strohm: „Antisemitismus ist eine Sünde gegen Gott.“

„Vorwurf des Antisemitismus ist völlig absurd“

Gleichzeitig seien er und die Führung des ÖRK „zutiefst erschüttert über den hohen Verlust von Menschenleben im Gaza-Streifen“ infolge der israelischen Offensive gegen die Hamas. Auch die Gewalt jüdischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland sei nicht zu akzeptieren.

Er wies Vorwürfe zurück, wonach die Leitung des ÖRK einseitig Partei für die Palästinenser im Nahost-Konflikt ergreife oder sogar antisemitische Tendenzen aufweise: „Der Vorwurf des Antisemitismus ist völlig absurd, niemand in der ÖRK-Führung ist antisemitisch“, betonte der frühere bayerische Landesbischof. „Ich glaube und ich hoffe sehr, dass unsere jüdischen Freunde in Deutschland und in anderen Ländern das sehen.“

Der ÖRK-Zentralausschuss hatte Bedford-Strohm im September 2022 zu seinem Vorsitzenden gewählt. In dem ökumenischen Dachverband mit Sitz in Genf sind 352 Kirchen zusammengeschlossen, die mehr als 500 Millionen Christen verschiedener Konfessionen repräsentieren. Zu der ÖRK-Region „Mittlerer Osten“ gehören 15 christliche Kirchen.

epd-Gespräch: Jan Dirk Herbermann


EKD entscheidet vermutlich im November 2024 über neuen Ratsvorsitz




Kirsten Fehrs und Annette Kurschus (November 2021)
epd-bild/Jens Schulze
Bis dahin bleibt die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs amtierende Ratsvorsitzende, sofern Synode und Kirchenkonferenz nichts anderes beschließen.

Hannover (epd). Nach dem Rücktritt der Theologin Annette Kurschus von ihrem Amt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bleibt voraussichtlich die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs bis zur nächsten Ratswahl in einem Jahr amtierende Ratsvorsitzende. „Sofern Synode und Kirchenkonferenz nichts anderes beschließen, wird die Wahl eines/einer Ratsvorsitzenden auf der nächsten Synodentagung im November 2024 erfolgen“, erklärte ein EKD-Sprecher am 21. November auf Anfrage dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Dort werde zunächst eine Nachwahl für die dann unbesetzten Ratsplätze erfolgen, hieß es weiter: „Dem schließt sich die Wahl einer ratsvorsitzenden Person aus der Mitte des dann gewählten Rates an.“ Die gewählten Personen sollen ihr Amt den Angaben zufolge dann jeweils bis zum Ende der regulären Ratsperiode im November 2027 wahrnehmen.

„Abweichende Verfahren sind mit unterschiedlichen rechtlichen Hürden möglich“, erklärte der EKD-Sprecher. Infolge von Vorwürfen mangelnder Transparenz bei der Aufklärung eines mutmaßlichen Missbrauchsfalls war Kurschus am 20. November von ihren Ämtern als EKD-Ratsvorsitzende und als Präses der westfälischen Landeskirche zurückgetreten.

Unterbrochene Synoden-Tagung wird am 5. Dezember fortgesetzt

Nach Darstellung des Sprechers soll die Mitte November wegen des bundesweiten Bahnstreiks vorzeitig beendete Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 5. Dezember digital fortgesetzt werden. Bei der Fortsetzung der unterbrochenen 4. Tagung werde die bisher geltende Tagesordnung abgeschlossen

Wegen der verfrühten Abreise von Delegierten am 15. November hatte die Beschlussfähigkeit des evangelischen Kirchenparlaments infrage gestanden, hatte die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, am Tagungsort Ulm vor Journalisten gesagt. Der EKD-Haushalt, Kirchengesetze und Anträge müssten rechtssicher abgestimmt werden, betonte sie damals. Dies soll zeitnah digital nachgeholt werden.



Dabrock: Kirche hat sich im Fall Kurschus von Medien treiben lassen




Peter Dabrock
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Hamburg (epd). Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock hält den Rücktritt der Theologin Annette Kurschus von ihren kirchlichen Spitzenämtern für einen Fehler und gibt Medien eine Mitschuld daran. Die Gemengelage sei „diffus“, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in dem mutmaßlichen Fall sexueller Übergriffigkeit noch nicht abgeschlossen gewesen, sagte Dabrock in einem Interview mit dem „Spiegel“ (online). Dennoch sei schnell die Rede von einem „Vertuschungsverdacht“ gewesen. „Die Medien haben Druck aufgebaut - und viele in der Kirche haben sich davon treiben lassen. Das war ein Fehler“, sagte Dabrock.

„Es wäre besser gewesen, ein oder zwei Wochen zu warten und die Vorwürfe in Ruhe zu besprechen, als hektisch und unter dem Stress der mit etlichen Themen überfrachteten Synode zu agieren“, ergänzte der Theologieprofessor und frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Kurschus war am 20. November von ihren Ämtern als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und als Präses der westfälischen Landeskirche zurückgetreten.

„Kommunikativ sicher nicht alles richtig gemacht“

Hintergrund für den Rücktritt sind Vorwürfe gegen Kurschus, sie sei nicht transparent mit einem mutmaßlichen Fall sexualisierter Gewalt umgegangen. Im Mittelpunkt des Falls steht ein ehemaliger Kirchenmitarbeiter aus Kurschus' altem Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein, der junge Männer sexuell bedrängt haben soll. Die „Siegener Zeitung“ hatte unmittelbar vor und während der EKD-Synode in der vergangenen Woche über den Fall berichtet.

Am 14. November nahm Kurschus auf der Bühne der Synode in Ulm Stellung zu der Berichterstattung. Die gegen sie gerichteten Vorwürfe wies sie zurück. Nach diesem Statement berichteten auch weitere Medien über den Fall.

Kurschus habe „kommunikativ sicher nicht alles richtig gemacht“, sagte Dabrock. Daraus den Schluss zu ziehen, „alles Vertrauen sei dahin“, halte er für nicht in Ordnung. „Da hätte ich von meiner Kirche, gerade auch in den Leitungsgremien, mehr erwartet“, sagte er.

In der Institution hätte es noch Möglichkeiten gegeben, Kurschus besser zu unterstützen, ergänzte Dabrock. „Stattdessen hat man sich auf den polarisierenden Medienzirkus eingelassen und nachgegeben, wo der öffentliche Druck zu einer Art Subjekt und zur Legitimierungsstrategie aufgebauscht wurde, um sich zu distanzieren“, sagte er.



Großes Haushaltsloch und Präses-Suche fordern westfälische Kirche




Tagung der westfälischen Landessynode in Bielefeld.
epd-bild/Detlef Heese
Die westfälische Kirche muss nach dem Rücktritt von Annette Kurschus nicht nur die Nachfolge im Präses-Amt regeln. Große Probleme bereitet vor allem eine prekäre Finanzlage, die Kürzungen und womöglich auch grundlegende Veränderungen erfordert.

Bielefeld (epd). Wenige Tage nach dem Rücktritt von Präses Annette Kurschus muss die Evangelische Kirche von Westfalen die nächste Hiobsbotschaft verkraften: Wegen drastischer Kostensteigerungen und eines großen Finanzlochs geht die viertgrößte deutsche Landeskirche erstmals ohne genehmigten Haushalt in das neue Jahr. Die Landessynode beschloss am 25. November zum Abschluss zweitägiger Beratungen, den Etat der landeskirchlichen Ebene mit Bedingungen und Auflagen zu versehen, unter anderem gilt eine Haushaltssperre.

„Wir werden jetzt für einige Monate die Pausetaste drücken müssen“, sagte der Präses-Stellvertreter Ulf Schlüter dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es brauche grundlegende Strukturveränderungen. Vom sogenannten Allgemeinen Haushalt der landeskirchlichen Ebene für 2024 sind knapp 48,3 Millionen Euro durch Kirchensteuereinnahmen gedeckt. Um diesen Etat auszugleichen, müssen jedoch weitere rund 14,4 Millionen Euro aus Rücklagen entnommen werden.

Haushaltssicherungskonzept bis Mai

Zur nächsten Landessynode im Mai muss nun ein Haushaltssicherungskonzept vorgelegt werden, „das erkennen lässt, dass der Ausgleich des Haushalts sowie die mittelfristige Sicherstellung der Liquidität schnellstmöglich, spätestens mit der Planung 2028, wieder erreicht werden kann“. Die Kirchenleitung wurde ferner beauftragt, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Hauptgrund für das Finanzloch sind höhere Ausgabenplanungen. Allein Tarifsteigerungen machen rund neun Millionen Euro aus, auch höhere IT-Kosten tragen zum Defizit bei. Finanzdezernent Arne Kupke kündigte die Diskussion harter Einschnitte bei der Frühjahrssynode im Mai an.

Aus Kirchensteuern erwartet die westfälische Kirche kommendes Jahr Netto-Einnahmen in Höhe von 548 Millionen Euro, für 2023 wurde mit 520 Millionen Euro geplant. Die 26 Kirchenkreise und 442 Gemeinden erhalten von den Einnahmen im nächsten Jahr 311,4 Millionen Euro. Sie sind von dem Defizit im Allgemeinen Haushalt nicht direkt betroffen.

Finanzchef Kupke wurde von der Synode für weitere acht Jahre als leitender Jurist der Landeskirche bestätigt. Bei der Wahl zum Juristischen Vizepräsidenten erhielt der 53-Jährige allerdings mit 57 Prozent der Stimmen eine deutlich geringere Zustimmung als bei seiner ersten Wahl im Jahr 2015, als 89 Prozent der Synodalen für ihn stimmten. Zuvor war ein Antrag abgelehnt worden, die Wahl zu verschieben. Mehrere Synodale sagten, es falle ihnen schwer, in der aktuellen komplexen Lage eine Entscheidung zu treffen.

Synode würdigt Verdienste von Kurschus

Hintergründe sind die prekäre Finanzlage und die Turbulenzen um den Kurschus-Rücktritt am vergangenen Montag. Dass der Finanzdezernent angesichts eines letztlich gescheiterten landeskirchlichen Haushalts im Fokus von Kritik stehe, sei nicht überraschend, sagte Schlüter dem epd. Zudem seien interne Konflikte der Kirchenleitung im Umgang mit dem mutmaßlichen Missbrauchsfall im Kirchenkreis Siegen medienöffentlich geworden.

Kurschus war nach Vorwürfen mangelnder Transparenz im Umgang mit dem Fall als westfälische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurückgetreten, sie hatte enge Kontakte zu dem Beschuldigten. Über ihre Nachfolge als leitende Theologin der westfälischen Landeskirche entscheidet die Landessynode vermutlich auf ihrer nächsten Tagung im Mai, auch eine Sondersynode ist derzeit nicht ausgeschlossen. Über ihre Nachfolge im EKD-Ratsvorsitz entscheidet die EKD-Synode voraussichtlich auf ihrer nächsten Tagung im November 2024.

Zum Auftakt der Landessynode am Freitag hatte die westfälische Kirche die Verdienste der 60-jährigen Theologin gewürdigt und „umfängliche Aufklärung“ des mutmaßlichen Siegener Missbrauchfalls versprochen, der den Rückzug der Theologin ausgelöst hatte. Nötig seien nun ein Innehalten und eine gründliche und selbstkritische Betrachtung aller Vorgänge.

Von Ingo Lehnick (epd)


Theologe Wischmeyer: Kirche muss sich politischer Erwartung anpassen




Johannes Wischmeyer
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Berlin (epd). Der leitende Theologe Johannes Wischmeyer sieht für die von Mitgliederverlust geplagte Kirche keinen Widerspruch darin, sich auf die Verkündung des Evangeliums zu konzentrieren und gleichzeitig politisch mitzumischen. Die Kirchen müssten den Glauben gut vermitteln, um der Entwicklung, dass Religion immer mehr Menschen Religion gleichgültig ist, gegenzusteuern, schreibt der Leiter der Abteilung „Kirchliche Handlungsfelder“ im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem Gastbeitrag für die „Welt“ (23. November). Aber das könnten sie nur, wenn sie sich auch an politische Erwartungen der Gesellschaft anpassen, fügt er hinzu.

Wischmeyer bezieht sich auf Äußerungen und Forderungen, die nach der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung auf der einen Seite eine Rückbesinnung auf das „Kerngeschäft“ der Kirchen bei der Glaubensvermittlung, auf der anderen mehr klare politische Positionierungen forderten. Laut der in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie könnte der Mitgliederverlust der Kirchen drastischer vorangehen als bislang prognostiziert. Zudem zeigt die Umfrage, dass in der Gesellschaft nicht nur die Kirchenbindung, sondern die Religiosität allgemein zurückgeht.

Die Kirche bleibe nur akzeptiert, wenn sie sich glaubwürdig auf den gesellschaftlichen Wandel einlasse, schreibt Wischmeyer. Werte wie die Autonomie des Individuums und die Gleichberechtigung von Mann und Frau würden auch für sie gelten.

Zwei Gesichter der Kirche

Mit Blick auf die Ergebnisse der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung schreibt der Theologe, Reformfreudigkeit sei in die gesellschaftlichen Grunderwartungen an die Kirchen „sozusagen schon eingepreist“. „Wer da nicht liefert, sorgt dafür, dass Kirche von der Bildfläche verschwindet - und schadet damit auch dem Glauben“, ist Wischmeyer überzeugt.

Mit bloßer Reformorientierung sei aber noch nichts gewonnen für den kirchlichen Auftrag, das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen, schreibt er weiter und verteidigt den Willen zur Mission: „Wer Probleme damit hat, dass das Wesen des Christentums immer und zu allen Zeiten Mission war, ist bei anderen gesellschaftlichen Gruppen vermutlich besser aufgehoben.“

Zudem betont er, dass die Kirche vor Ort in aller Regel gut im Blick habe, was nötig sei für die Kommunikation des Evangeliums. „Die evangelische Kirche wird vermutlich zwei Gesichter behalten: bodenständig vor Ort und ein wenig weltrettungsmäßig-abgehoben auf der nationalen Wahrnehmungsebene“, resümiert Wischmeyer.



Bischof Meister regt öffentliche Schweigeminuten an



Hannover (epd). Angesichts von Kriegen und Krisen hat der hannoversche Landesbischof Ralf Meister zu Momenten gesellschaftlichen Innehaltens aufgerufen. „In Israel gibt es Gedenktage, an denen für eine Minute alles öffentliche Leben stillsteht“, sagte Meister am 22. November in seiner Predigt zum Buß- und Bettag in der hannoverschen Marktkirche. Deutlicher könne man eine Unterbrechung nicht markieren. Mit Blick auf Deutschland betonte er: „Uns gelingt es nicht. Dabei wäre es so wichtig. Denn Buß- und Bettag in dieser Zeit zu begehen, ist zuerst Demut.“

Zwar seien viele Menschen gerade in schwierigen Zeiten voller Sehnsucht nach Friedensvisionen und Heilsbildern, doch in vielen Regionen der Welt spiele sich derzeit das Gegenteil ab. „Man gewinnt den Eindruck, dass Pflugscharen zu Schwertern und Spießen geschmiedet werden, um Schlachten zu schlagen, Hass und Gewalt zu verbreiten und andere zu töten“, sagte Meister laut Manuskript. Der Rüstungsetat werde erhöht, um „kriegsbereit“ zu sein.

Meister rief dazu auf, nicht in Kleinmütigkeit gefangen zu bleiben: „Wir dürfen in unserer Glaubensschwäche nicht bei den kleinen Wahrheiten stehen bleiben. Nicht bei schnell geäußerter Empörung, nicht bei hingemurmelten Friedensgebeten. Die Verheißung, von denen die Propheten sprechen, ist größer.“



Katholische Bischöfe halten an Abtreibungsverbot fest



Nach der evangelischen Kirche hat nun auch die katholische Kirche ihre Einschätzung zur möglichen Neuregelung des Abtreibungsrechts abgegeben: Sie bleibt bei ihrer Haltung und will an der Regelung im Strafrecht festhalten.

Bonn (epd). In der Debatte um eine mögliche Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen hat sich die katholische Deutsche Bischofskonferenz für eine Beibehaltung des Abtreibungsverbots im Strafrecht ausgesprochen. Die Bischöfe hielten die Einschätzung, dass die geltende Regelung ungewollt Schwangere sowie Ärzte kriminalisiere, rechtlich für nicht zutreffend, heißt es in einer am 21. November von der Bischofskonferenz veröffentlichten Stellungnahme des Katholischen Büros in Berlin. Die Stellungnahme richtet sich an die im März von der Bundesregierung eingesetzte Kommission, die eine mögliche Neuregelung von Abtreibungen außerhalb des Strafrechts prüfen soll. Damit bleibt die katholische Kirche bei ihrer Auffassung.

Abtreibungen sind bislang im Paragraf 218 Strafgesetzbuch geregelt, wonach sie zwar grundsätzlich verboten, aber nach vorheriger Beratung bis zur 12. Schwangerschaftswoche ohne Strafe bleiben. Die Ampel-Koalition will diese Regelung durch die von ihr eingesetzte Kommission prüfen lassen.

Rechtliche Regelung „eher an der Untergrenze“

Die Bischöfe betonen, das geltende Beratungskonzept setze auf die letztverantwortliche Entscheidung der Frau und trage damit ihrem Selbstbestimmungsrecht Rechnung. „Der beratene Schwangerschaftsabbruch ist ausdrücklich straffrei gestellt.“

Auch sind die Bischöfe der Meinung, mit den geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch bewege sich das Recht bereits heute eher an der Untergrenze des zum Schutz des ungeborenen Lebens verfassungsrechtlich Erforderlichen. Das Strafrecht sei zudem regelmäßig der Ort, an dem wichtige Rechtsgüter, wie das Rechtsgut Leben, nach der geltenden Rechtsordnung geschützt werden. Die Stellungnahme bezieht sich an vielen Stellen auf ein Verfassungsgerichtsurteil zum Abtreibungsrecht aus dem Jahr 1993.

Außerdem betonen die Bischöfe, dass sie nicht erkennen könnten, dass sich durch die Streichung der entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch die rechtliche und tatsächliche Situation von ungewollt schwangeren Frauen verbessert. So lasse sich etwa ein bestehender gynäkologischer Fachkräftemangel durch die angedachte Rechtsänderung nicht beheben.

Abweichende Erklärung der EKD

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte bereits im Oktober eine Stellungnahme für die Kommission eingereicht und darin eine teilweise Streichung des Abtreibungsverbots aus dem Strafrecht angeregt. Der Rat der EKD sieht die Möglichkeit einer abgestuften Fristenregelung, wonach etwa Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche mit verpflichtender Beratung außerhalb des Strafrechts geregelt werden könnten. In der 22. Woche beginnt demnach die Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs.

In der katholischen Erklärung heißt es, beim vorgeburtlichen Leben handele es sich von Anfang an um individuelles Leben, „das nach christlicher Auffassung Anspruch auf den gleichen Schutz seines Lebens hat und dem die gleiche Würde zukommt“. „Es ist nicht ersichtlich, wie nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit des Menschen abgestufte Lebensschutzkonzepte diesem ethischen Anspruch und dieser Wertentscheidung unserer Verfassung gerecht werden“, argumentieren die Bischöfe.



Papst Franziskus trifft sich in Rom mit Israelis und Palästinensern



Rom (epd). Papst Franziskus hat in einem Videoappell dazu aufgerufen, für Frieden im Nahen Osten zu beten. „Was im Heiligen Land passiert, ist schwer. Es ist sehr schwer“, sagte der Papst auf Spanisch in dem Video, das der Vatikan am 22. November über die App „Click to pray“ veröffentlichte. Das palästinensische Volk und das Volk Israels hätten das Recht auf Frieden, das Recht, in Frieden zu leben, sagt Franziskus weiter und ergänzt: „zwei brüderliche Völker.“

„Beten wir dafür, dass Streitigkeiten durch Dialog und Verhandlungen gelöst werden und nicht mit einem Berg von Toten auf beiden Seiten“, sagte der Papst in seinem Appell. Zum Gebet für den Frieden hatte er bereits am Mittwochmorgen während der Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom aufgerufen. Vor dieser hatte Franziskus sowohl eine israelische als auch eine palästinensische Delegation persönlich empfangen.

Er habe Menschen aus Israel getroffen, die Verwandte haben, die als Geiseln in Gaza festgehalten werden und Palästinenser mit Angehörigen, die in Israel gefangen sind. Die beiden Gruppen bestanden jeweils aus rund einem Dutzend Teilnehmern. „Ich habe gehört, wie beide Seiten leiden“, sagte Franziskus. „Hier sind wir über den Krieg hinausgegangen. Das ist kein Krieg mehr, das ist Terrorismus“, fügte Franziskus am Ende der Generalaudienz hinzu, als er von der Begegnung berichtete.

„Humanitärer Akt“

Die Treffen haben getrennt voneinander stattgefunden und dauerten jeweils rund eine halbe Stunde. Bei den Begegnungen habe es sich ausschließlich um einen humanitären Akt gehandelt, hatte Vatikansprecher Matteo Bruni zuvor bereits mitgeteilt. Franziskus wolle seine „geistliche Nähe zum Leid eines jeden Menschen“ zeigen.

Franziskus appellierte in den vergangenen Wochen immer wieder an beide Seiten, sich auf einen Waffenstillstand zu einigen. Zu der Einigung über eine viertägige Feuerpause und den Austausch von Geiseln und Gefangenen, die Israel und die Hamas in der Nacht zum Mittwoch getroffen haben, äußerte sich Franziskus während der Generalaudienz und auch in der Videobotschaft nicht.



Ökumenische Friedensdekade 2023 in Cottbus beendet



Frankfurt am Main, Cottbus (epd). Im brandenburgischen Cottbus ist am 22. November die bundesweite Ökumenische Friedensdekade 2023 mit einem zentralen Gottesdienst zu Ende gegangen. Die Predigt eines konfessionell gemischten Teams in der Cottbuser Klosterkirche habe unter dem Thema globale Sicherheit gestanden, teilte die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) mit. Im nächsten Jahr wird die Friedensdekade vom 10. bis 20. November begangen.

In einem Grußwort zeigte sich Reverend Christopher Easthill aus dem ACK-Vorstand dankbar über die große Resonanz der Friedensdekade in diesem Jahr. Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD) übermittelte die Grüße der Stadt Cottbus und teilte seine Gedanken zum Frieden: „Ja, wir hätten lauter sein müssen. Nicht erst seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, nicht erst seit der Terrorattacke der Hamas gegen die Juden in Israel ist der Frieden auf der Welt in Gefahr.“

Die Ökumenische Friedensdekade findet seit mehr als 40 Jahren rund um den Volkstrauertag statt, jeweils in den zehn Tagen vor dem Buß- und Bettag. Eine Arbeitsgruppe erstellt in jedem Jahr Arbeitsmaterialien für Friedensgruppen und Gemeinden, die in lokalen Angeboten, Veranstaltungen und Aktionen bundesweit Verwendung finden. Der 1948 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland gehören zurzeit 18 Kirchen unterschiedlicher Traditionen an.



Männerarbeit der EKD zeichnet beste Predigten aus



Hannover (epd). Zwei Pfarrer und ein Theologiestudent werden mit dem Predigtpreis der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Jahr 2022 geehrt. Die Auszeichnung erhalten Pfarrer Jonathan Steinker aus dem brandenburgischen Luckenwalde, Pfarrer Christoph Maser aus Bayreuth sowie der Student Pascal Liebert aus Lossatal (Sachsen), wie das Evangelische Zentrum Frauen und Männer in Hannover am 23. November mitteilte. Die Auszeichnung ist mit jeweils 300 Euro dotiert. Die Preise werden am Montag (27. November) in der Christuskirche in Kassel verliehen.

Pfarrer Jonathan Steinker überzeugte die Jury den Angaben zufolge mit einem Videoclip, in dem er die Situation der Männer der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr seelsorgerlich reflektiert. Pascal Liebert wiederum setzt sich in seiner Predigt mit den Lebensschicksalen von Männern auseinander, denen er im Diakonie-Praktikum begegnet ist. Christoph Maser überzeugte schon zum zweiten Mal. Der Bayreuther Pfarrer war schon vor einem Jahr mit dem Predigtpreis ausgezeichnet worden.



EKD trauert um ehemaligen Synodenpräses Cornelius Adalbert von Heyl



Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) trauert um den ehemaligen Synodenpräses Cornelius Adalbert von Heyl. Heyl starb bereits am 12. November im Alter von 90 Jahren, wie die EKD am 24. November in Hannover mitteilte. Ab 1973 stand er als Präses für zwölf Jahre an der Spitze des Kirchenparlaments der EKD und gehörte qua Amt auch dem Rat der EKD an.

Der in Worms geborene Jurist Heyl war von 1970 bis 1976 in Bonn als Rechtsanwalt tätig, bevor er in das Sozialministerium in Rheinland-Pfalz wechselte. Der Synode der EKD gehörte er von 1971 bis 1997 an.

Die EKD-Synodenpräses Anna-Nicole-Heinrich und die kommissarische Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs würdigten Heyl als gleichermaßen überzeugten wie überzeugenden Parlamentarier, der mit seinem Wirken entscheidend zur Einheit der evangelischen Kirche beigetragen habe. Besonders dankbar sei ihm die evangelische Kirche für sein Engagement bei der Struktur- und Verfassungsreform der EKD in den 70er Jahren. Mit seiner Überzeugung, dass sich die EKD als Bund aller deutschen evangelischen Kirchen verstehen müsse, habe er eine Grundlage für die Wiederherstellung der Einheit der EKD nach der deutschen Vereinigung im Jahr 1990 gelegt.




Gesellschaft

Klimagipfel: Keine Zeit für einen weiteren Aufschub




Ausgetrockneter Stausee in Brasilien (Archivbild)
epd-bild/Danilo Ramos
Eine Klimakonferenz in Dubai, geleitet vom Chef eines Öl-Konzerns: Kann das gut gehen? Schwierige Verhandlungen zeichnen sich vor allem beim Klimaschutz ab. Doch auch um Hilfsgelder für arme Länder wird gerungen.

Dubai (epd). Der Austragungsort der 28. Weltklimakonferenz (COP) ist symbolträchtig. Ausgerechnet in der Wüstenmetropole Dubai in den durch den Öl-Export reich gewordenen Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) verhandelt die Staatengemeinschaft ab dem 30. November über den Kampf gegen die Klimakrise und einen möglichen Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas.

Geleitet wird der Gipfel von einem Mann, der sein Geschäft auch mit fossilen Brennstoffen verdient: dem Chef des staatlichen Öl-Konzerns Adnoc und Industrieminister der VAE, Sultan Ahmed Al Jaber.

Als COP-Präsident müsste er sich eigentlich für ein Ende solcher Geschäfte einsetzen. Um das Pariser Klimaziel einzuhalten, müssen die Emissionen laut Weltklimarat noch in diesem Jahrzehnt drastisch sinken. Die Menge an Öl, Kohle und Gas, die noch verfeuert werden darf, ist begrenzt, wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden soll.

„Nicht noch einmal darüber reden“

In Dubai müsse beim Klimaschutz ein großer Schritt nach vorn gemacht werden, sagt der Klimareferent der Entwicklungsorganisation Oxfam, Jan Kowalzig. Entscheidend dafür sei, dass sich die Staatengemeinschaft auf einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern sowie ein globales Ausbauziel für erneuerbare Energien einige.

„Wir können nicht noch einmal darüber reden, noch einen Bericht lesen“, sagt Kowalzig. Mit einem ambitionierten Beschluss würde zwar „kein nationales Klimaziel automatisch nachgeschärft, aber es könnte eine neue Dynamik erzeugt werden“.

Wie sehr die Zeit drängt, zeigen aktuelle Schätzungen der UN. Demnach steuert die Erde bis Ende des Jahrhunderts mit den bisher gemachten Zusagen zur Emissionsminderung auf eine Erwärmung von deutlich mehr als zwei Grad Celsius zu.

Ein Meilenstein wurde zuletzt bei der Weltklimakonferenz in Glasgow im Jahr 2021 gemacht. Damals einigte sich die Staatengemeinschaft erstmals auf einen „Abbau“ der Kohleförderung. Von Öl und Gas war jedoch keine Rede. Ambitioniertere Ziele scheiterten auch am Widerstand aus China und den Öl-exportierenden Golfstaaten.

Auch vor Dubai zeichnen sich schwierige Verhandlungen ab. Die EU hat bereits angekündigt, sich für einen weltweiten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen „deutlich vor 2050“ einzusetzen. Die G20-Staaten jedoch, denen unter anderem China und Indien angehören, konnten sich bis zuletzt nicht auf eine solche Position einigen.

Wichtig wird, ob Al Jaber sich ein solches Ziel zu eigen machen wird. Dem britischen „Guardian“ sagte er Anfang Oktober, dass Öl und Gas auch in Zukunft zumindest zu einem gewissen Teil gebraucht würden.

Ringen um Fonds für Klimaschäden

Der Bereichsleiter für Klimapolitik bei der Umweltorganisation Germanwatch, Petter Lydén, hält Fortschritte dennoch für möglich. Helfen könne, dass Al Jaber und die Vereinigten Arabischen Emirate den Klimagipfel unbedingt zu einem - oberflächlich betrachtet - Erfolg machen wollten, sagt er.

Gerungen wird in Dubai derweil auch um einen Fonds, aus dem arme Länder Gelder für klimabedingte Verluste und Schäden („Loss and Damage“), etwa nach Fluten oder Stürmen, abrufen können. Von Entwicklungsländern war er lange gefordert worden. Beschlossen wurde das Finanzinstrument im Grundsatz bei der COP im ägyptischen Scharm el-Scheich im vergangenen Jahr.

Bis zuletzt gab es unter anderem Streit über die Frage, ob wie bei den Klima-Hilfen in anderen Bereichen nur die westlichen Industriestaaten in den Fonds einzahlen oder auch China und die Golfstaaten. Der von einem Komitee erarbeitete Vorschlag sieht nun einen Aufruf an alle Staaten vor - aber keine verbindlichen Verpflichtungen für Ländergruppen.

Die Klimaexpertin von „Brot für die Welt“, Sabine Minninger, hält das für einen schlechten Kompromiss. Ohne klare Verpflichtungen würden dem Fonds die Gelder fehlen, warnt sie. Schätzungen zufolge würden bis 2030 jedes Jahr Hunderte Milliarden an Euro gebraucht, um klimabedingte Schäden und Verluste zu bewältigen.

In der Pflicht sieht sie vor allem die westlichen Industriestaaten, die historisch für einen Großteil der Emissionen verantwortlich seien. Die Bundesregierung und weitere Länder müssten mit großen Finanzzusagen vorangehen. „Dieses Signal brauchen wir, um eine gute Verhandlungsstimmung beim Klimagipfel zu haben.“

Von Moritz Elliesen (epd)


Afrika: Nicht als Bittsteller auf der Klimakonferenz




Brunnen in Mali (Archivbild)
epd-bild/Bettina Rühl
Dürren, Fluten und Stürme bedrohen jetzt schon die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen in Afrika. Die Erwartungen an die in wenigen Tagen beginnende Klimakonferenz in Dubai sind groß.

Nairobi (epd). Die Erwartungen afrikanischer Staaten vor der Weltklimakonferenz in Dubai sind groß. Es brauche „ehrgeizige, ausgewogene, faire und gerechte Ergebnisse, um die Welt auf Kurs zu bringen“, erklärte der Leiter der afrikanischen Verhandlungsgruppe, Ephraim Shitima, im Internetdienst X, ehemals Twitter.

Es sind immer wieder die gleichen Sätze, in der Hoffnung, dass sie irgendwann wirken. Afrika trägt nur etwa vier Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei, aber die Folgen des Klimawandels sind auf dem Kontinent bereits deutlicher zu spüren als anderswo. Dürren und Fluten werden häufiger, wie zuletzt in Teilen Ostafrikas. Millionen von Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage.

Die Denkfabrik „Global Center on Adaption“ schätzt, dass afrikanischen Volkswirtschaften bis 2035 bis zu sechs Billionen US-Dollar an Wirtschaftswachstum einbüßen werden, weil Geld fehlt, um sich an den Klimawandel anzupassen.

„Der wunde Punkt ist Armut“

Der Kenianer George Tsitati forscht an der Universität im schottischen Edinburgh dazu, wie unter lokaler Führung Maßnahmen gegen die vom Klimawandel verursachten humanitären Krisen in Ostafrika gefunden werden können. „Der wunde Punkt ist Armut“, sagt er. „Die Auswirkungen von Klimakrise und Armut verstärken sich gegenseitig.“

Ein Drittel der etwa 1,4 Milliarden Menschen auf dem afrikanischen Kontinent lebt unterhalb der Armutsgrenze, also von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag. Und die Wirtschaft vieler Länder ist extrem von der Natur und ihren Ressourcen abhängig. Etwa Dreiviertel der Menschen leben von der Landwirtschaft, der Großteil ist auf Regen angewiesen, um die Felder zu bewässern. Die Regenzeiten aber werden immer unvorhersehbarer. Es müsse dringend in Bildung investiert werden, damit Menschen anders als mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sagt Tsitati.

Im September hatte Kenias Präsident William Ruto zum ersten Afrikanischen Klimagipfel nach Nairobi eingeladen. Er präsentiert sich als wichtige Stimme Afrikas in der Klimapolitik, vor allem zum Thema erneuerbare Energie. Kenia will bis 2030 seine gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen - und ist tatsächlich nicht weit vom Ziel entfernt. Doch nicht alle Staaten waren beim Gipfel vertreten. Südafrika und Uganda zum Beispiel fehlten. Beides Länder, in denen fossile Energieträger gefördert werden.

CO2-Kompensation als Geschäftsmodell

Bei der Konferenz in Nairobi wurde auch über CO2-Kompensation als Geschäftsmodell für den Kontinent diskutiert. Die Idee: Firmen oder Länder bezahlen Geld dafür, dass CO2 anderswo eingespart wird, etwa indem Flächen für die Aufforstung genutzt oder der Renaturierung überlassen werden. Der Klimawissenschaftler Tsitati sieht das Thema, das auch in Dubai auf der Tagesordnung stehen wird, kritisch. Große Flächen dafür zu blockieren, gefährde die Lebensgrundlage der ärmsten Bevölkerungsgruppen.

Gerade mit Blick auf die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung des Kontinents sei es wichtig zu überlegen, ob afrikanische Länder Flächen für den CO2-Ausgleich anderer Länder freigeben wollen. „Die Verschmutzer säubern ihr Gewissen und machen einfach weiter“, sagt Tsitati. Und so werde weiter Klimapolitik gemacht, die am Ende vor allem reichen Ländern nutze.

Tsitati kritisiert auch, dass die Delegationen afrikanischer Länder zumindest zum Teil nur als Bittsteller auf den Klimakonferenzen wahrgenommen würden. Afrika werde nur als Klimaopfer dargestellt. Dass Menschen auf dem Kontinent Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel entwickeln, werde übersehen.

Von Birte Mensing (epd)


Die Klima-Profis im Team Deutschland




Jennifer Morgan
epd-bild/Hans Scherhaufer
Früher haben sie die Regierung angetrieben, mehr für den Klimaschutz zu tun: Jennifer Morgan als Greenpeace-Chefin und Jochen Flasbarth als Präsident des Naturschutzbunds. Heute führen sie für Deutschland die Verhandlungen beim Weltklimagipfel.

Berlin (epd). Den Holzhammer aus Paris hat Staatssekretär Jochen Flasbarth in seinem Büro in der Berliner Stresemannstraße immer im Blick - eine Erinnerung daran, was in der Klimadiplomatie möglich ist. 2015 besiegelte der damalige französische Außenminister Laurent Fabius damit am Ende der Pariser Klimakonferenz das bis heute wegweisende Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Flasbarth wirkte an den Verhandlungen mit, damals noch als Staatssekretär im Bundesumweltministerium unter der SPD-Politikerin Barbara Hendricks. Als Dank schenkte ihm Fabius ein Replikat des alles entscheidenden Hammers. „Ich habe ihn in meinem Büro immer im Blick“, sagt Flasbarth. „Wenn ich irgendwie denke, die Zeiten sind schwierig, dann gucke ich ihn an und denke: Aber am Ende wird es doch gut.“

Schwierige Zeiten hat der 1962 in Nordrhein-Westfalen geborene Diplom-Volkswirt in der Klimadiplomatie zur Genüge erlebt. 2009 etwa, als in Kopenhagen sechs Jahre vor Paris die Verhandlungen über ein verbindliches Klimaschutzabkommen scheiterten. Flasbarth wurde in diesem Jahr Präsident des Umweltbundesamtes. Zuvor war er Abteilungsleiter im Umweltministerium - in das er 2013 als Staatssekretär zurückkehrte.

Aktivistische Vergangenheit

Komplizierte Verhandlungen stehen auch in wenigen Tagen in Dubai an. Ab dem 30. November streiten Delegierte aus mehr als 190 Ländern hier bei der 28. Weltklimakonferenz über einen Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle, einen Ausbau erneuerbarer Energien und Klima-Hilfen für arme Länder. Flasbarth ist Teil von „Team Deutschland“, das unter Federführung des Auswärtigen Amtes und der Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, um einen internationalen Konsens ringt.

Morgan und Flasbarth sind seit Jahren befreundet. Dabei verbindet sie auch ihre aktivistische Vergangenheit. Vor seinem ersten Wechsel ins Umweltministerium begleitete Flasbarth die Klimadiplomatie fast zehn Jahre als Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu). Die 1966 im US-Bundesstaat New Jersey geborene Morgan hingegen war Geschäftsführerin von Greenpeace International, bevor sie 2022 von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als Staatssekretärin eingestellt wurde. Dafür nahm sie sogar die deutsche Staatsbürgerschaft an.

In dem Rollenwechsel sehen beide keinen großen Widerspruch. Die Umweltverbände seien auf den internationalen Konferenzen „immer schon ziemlich konstruktiv unterwegs“ gewesen, sagt Flasbarth. Morgan wiederum bezeichnet sich selbst auch als „Aktivistin in der Klima-Diplomatie“.

Früher machte sie als solche Druck auf die Regierung, in Dubai wird die gebürtige US-Amerikanerin bei den Verhandlungen die Stellung halten, wenn ihre Chefin Baerbock nicht da ist. Beim Klimagipfel im vergangenen Jahr in Ägypten trug sie federführend zur Einigung auf den sogenannten „Loss and Damage“-Fonds bei, der arme Länder bei klimabedingten Schäden unterstützen soll. In Dubai soll das Finanzinstrument, das Entwicklungsländer lange gefordert hatten, eingerichtet werden.

Bereits vor ihrem Wechsel von Greenpeace ins Auswärtige Amt war Morgan nah dran an deutschen Regierungsstellen. Über ein Stipendium der Robert Bosch Stiftung arbeitete sie in den 90er Jahren im Bundesumweltministerium und schrieb unter anderem Reden für die damalige Ministerin Angela Merkel (CDU). Später wurde sie als Expertin in den wissenschaftlichen Beirat des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Rats für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung berufen.

COP-Veteranen

Morgan und Flasbarth haben an fast allen bisherigen COPs teilgenommen, wie die UN-Klimagipfel im Fachjargon genannt werden. Flasbarth ist als Staatssekretär unter Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) heute zuständig für den Bereich Klimafinanzierung, also Hilfen für arme Staaten für Klimaschutz und Anpassung an die Erderwärmung.

Mit welchen Erinnerungen Morgan und Flasbarth aus Dubai zurückkehren, wird sich zeigen. Vor allem die Verhandlungen über einen Ausstieg aus den Fossilen - ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel - dürften schwierig werden. Immerhin wartet auf Flasbarth in Berlin dann der Hammer aus Paris. Als Glücksbringer hat er ihn nicht im Gepäck.

Von Moritz Elliesen und Mey Dudin (epd)


Faeser fordert bei Islamkonferenz Bekenntnis gegen Antisemitismus




Nancy Faeser auf der Islamkonferenz
epd-bild/Christian Ditsch
Man müsse anerkennen, dass es ein Problem mit Antisemitismus unter Muslimen gebe, sagte Innenministerin Faeser bei der Islamkonferenz. Wo es eigentlich um Islamfeindlichkeit gehen sollte, redete sie den Islamverbänden deutlich ins Gewissen.

Berlin (epd). Nach den Auseinandersetzungen über den Nahost-Konflikt auch auf deutschen Straßen ist das Thema Antisemitismus in den Mittelpunkt des diesjährigen Treffens der Deutschen Islamkonferenz gerückt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte dort am 21. November von muslimischen Verbänden ein deutlicheres Bekenntnis gegen Judenhass. Sie appelliere gerade an die großen Islamverbände, den Kampf gegen Antisemitismus noch sichtbarer voranzutreiben, sagte Faeser. Es reiche nicht, eine Synagoge zu besuchen und sich dort gegen Terror und Antisemitismus zu stellen, ohne dies auch in Moscheen oder den eigenen Social-Media-Kanälen zu kommunizieren.

Die Innenministerin unterstrich, dass sich Antisemitismus in vielen Formen in Deutschland zeige. Man müsse dabei anerkennen, „dass wir ein Problem mit Antisemitismus haben, der auch von Muslimen ausgeht“, sagte sie. Auch Altbundespräsident Christian Wulff appellierte an die Islamverbände, sich deutlicher gegen Judenhass zu positionieren. Freitagsgebete der vergangenen Wochen, in denen die Terrortaten der Hamas gegen Israel begrüßt wurden, hätten ihn betroffen gemacht, sagte Wulff.

Warnung vor Generalverdacht

Zugleich wandte sich Faeser gegen einen Generalverdacht gegen Muslime. Der Staat handele nicht gegen eine Religion, sondern gegen islamistischen Terrorismus. Zudem gebe es Muslime und Moscheegemeinden, die sich gegen Antisemitismus engagierten. Deren Stimme müsse lauter werden, sagte Faeser, die zum diesjährigen Treffen auch kleinere und liberale Islam-Vereine eingeladen hatte, während der Zentralrat der Muslime in diesem Jahr nicht auf der Teilnehmerliste stand.

Schwerpunkt der Islamkonferenz sollte in diesem Jahr das Thema Muslimfeindlichkeit werden, nachdem der von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Expertenkreis im Sommer seinen ausführlichen Bericht vorgelegt hatte. Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und darauf folgende antisemitische Reaktionen bei Demonstrationen in Deutschland führten dazu, dass das Innenministerium die Agenda änderte. Antisemitismus wurde als Thema ergänzt, am Ende zum eigentlichen Schwerpunkt der Tagung. Auf den Podien am Dienstag redeten Regierungsvertreterinnen, Wissenschaft, Kommunen und Sicherheitsbehörden miteinander, kein Vertreter der muslimischen Community.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte dem epd, die Islamkonferenz habe zurecht Antisemitismus als drängendes Problem identifiziert. „Zugleich dürfen wir Muslimfeindlichkeit nicht aus den Augen verlieren“, sagte sie. Beide Phänomenbereiche seien in der Gesellschaft verankert.

„Spaltung nicht zulassen“

Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD) warnte davor, antimuslimischen Rassismus zu unterschätzen oder gar beide Gruppen gegeneinander auszuspielen. „Wir dürfen diese Spaltung nicht zulassen“, sagte sie.

Die Deutsche Islamkonferenz wurde 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) als Forum für den Dialog zwischen Staat und Muslimen ins Leben gerufen. Ergebnisse des Dialogs waren unter anderem die Etablierung von Religionsunterricht und Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie an deutschen Universitäten. Zuletzt wurde vor allem über die Ausbildung von Imamen in Deutschland verhandelt. Bei der Fachtagung am Dienstag spielte das Thema aber keine Rolle.



Amnesty wirft Deutschland Versäumnisse bei Menschenrechten vor



Berlin (epd). Deutschland tut nach Auffassung von Amnesty International nicht genug gegen systemischen Rassismus und erkennt Ursachen nicht ausreichend an. Ein neuer Amnesty-Bericht benenne strukturelle Probleme unter anderem bei der Polizei, im Umgang mit Hassverbrechen und der Wiedergutmachung für Kolonialverbrechen, teilte die Menschenrechtsorganisation am 22. November in Berlin mit.

Hintergrund sind laut Amnesty für Donnerstag und Freitag geplante Beratungen im Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen über den Schutz vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt in Deutschland. Der Bericht liegt dem Ausschuss den Angaben zufolge vor.

„Rassistische Stereotype“

Die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Julia Duchrow, erklärte, Deutschland habe sich bereits in den 1960er Jahren zum Schutz aller Menschen vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt verpflichtet. „Die Behörden scheitern aber immer wieder daran“, betonte sie unter Hinweis auf die rechtsextreme Mordserie der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und rassistische Anschläge in München, Halle und Hanau.

Der deutschen Polizei wirft die Organisation vor, rassistische Stereotype durch Kategorisierungen wie „Clankriminalität“ zu reproduzieren. Amnesty fordert, Rassismus in der Strafverfolgung zu untersuchen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Deutschland müsse garantieren, dass alle Vorwürfe von rassistischem Handeln durch die Polizei unabhängig untersucht und konsequent geahndet werden. Dafür seien unabhängige Beschwerdestellen auf Bundes- und Landesebene nötig.



Gutachten: Immer mehr Muslime lassen sich in Deutschland bestatten



Frankfurt a.M. (epd). Immer mehr Musliminnen und Muslime lassen sich einer neuen Studie zufolge in Deutschland bestatten. „Das deutsche Bestattungsrecht berücksichtigt weitgehend religiöse Vorstellungen von Musliminnen und Muslimen“, heißt es in einem am 21. November veröffentlichten Gutachten der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Die gestiegene Nachfrage nach islamischen Bestattungen stelle deutsche Kommunen und muslimische Gemeinden vor vielfältige Herausforderungen. Schätzungen zufolge leben mehr als 5,5 Millionen Muslime in Deutschland.

Im Bundesgebiet betreiben den Angaben zufolge mindestens 327 Friedhofsträger islamische Grabfelder. An der Umfrage hätten sich insgesamt 284 Friedhofsverwaltungen beteiligt, was einem Anteil von fast 87 Prozent der Befragten entspreche. In den allermeisten Fällen handelt es sich um kommunale Träger. Nur 16 Friedhöfe davon befinden sich laut Gutachten in kirchlicher Trägerschaft. Mancherorts hätten Friedhofsbetreiber angegeben, dass heute etwa fünfmal so viele Muslime dort bestattet werden würden als noch vor 30 Jahren, hieß es.

Die Stadt mit den meisten Friedhöfen mit islamischen Grabfeldern ist laut Gutachten Berlin. Etwa ein Drittel (91) aller Friedhofsträger befinde sich in Nordrhein-Westfalen, wo auch knapp ein Drittel aller Musliminnen und Muslime ansässig sei. Auf Platz zwei liegt Baden-Württemberg (55), gefolgt von Hessen (28).

In Tücher gewickelt beigesetzt

Auf deutschen Friedhöfen fehle es allerdings bislang oft an Wissen, was bei Bestattungen von Muslimen und der Einrichtung von islamischen Grabfeldern zu beachten sei. Die Publikation will neben empirischen Daten auch Anschauungsmaterial und Beiträge zu Ritualen und praktischen Fragen hinsichtlich der religiösen Grundlagen sowie dem Ablauf islamischer Bestattungen vermitteln.

Es gibt einige Besonderheiten bei einer islamischen Bestattung: Unter anderem sollte zwischen Tod und Begräbnis nicht mehr als ein Tag vergehen - in Deutschland dagegen sind in der Regel mindestens 48 Stunden vorgeschrieben. Traditionell werden Muslime in Tücher gewickelt beigesetzt. Eine Einäscherung und Urnenbestattung oder auch Seebestattungen sind ebenso unerwünscht wie eine Exhumierung oder Umbettung und nur in Notlagen erlaubt.

Die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) an der Goethe-Universität in Frankfurt verbindet nach eigenen Angaben alle Hochschulstandorte der Islamischen Theologie und Religionspädagogik in Deutschland. Die Einrichtung wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.



Südwestkirchhof Stahnsdorf dient als Filmkulisse



Stahnsdorf (epd). Der Südwestkirchhof Stahnsdorf im Berliner Umland genießt zunehmend auch in der Filmwelt eine große Popularität. Das liege an den Filmen, in denen er immer wieder als Kulisse dient, sagte Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeldt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er verwies auf die lange Geschichte der Begräbnisstätte. Der Friedhof wird seit 1909 genutzt und zählt zu den größten Friedhöfen Europas. Dort haben unter anderem die Verlegerfamilie Langenscheidt und die Industriellenfamilie von Siemens Gräber.

Filmteams drehten auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf unter anderem Szenen für die Serie „Babylon Berlin“ und die Netflix-Produktion „Dark“, eine Science-Fiction-Mysterie-Serie. Die Macher von „Dark“ haben den Friedhof mehrfach genutzt. „Der Berliner Regisseur hat sich in den Ort verguckt und hat alle drei Staffeln hier gedreht“, erläuterte Ihlefeldt.

Motivjäger aus aller Welt

„Motivjäger“ aus der ganzen Welt kämen auf den Friedhof, um die Szenerie der Friedhofskapelle persönlich zu erleben. Sie seien immer wieder fasziniert von dem, was sie hier vorfinden, sagte Ihlefeldt. Im Jahr 2018 gewann „Dark“ den Grimme-Preis in der Kategorie Fiktion.

Ihlefeldt selbst findet Friedhöfe nicht gruselig, wie er dem epd sagte. Er sehe eher den „morbiden Charme und die wilde Romantik“. Diese wolle er als Friedhofsverwalter erhalten, „weil alles das, was man hier sieht, bei aller Schwere, eine große Leichtigkeit hat“, sagte Ihlefeldt.

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Spitzname statt Kreuz: Traueranzeigen im Wandel der Zeit



Todesanzeigen in Zeitungen dienten einst als öffentliche Bekanntmachung. Im Laufe der Zeit wandelten sie sich zu Traueranzeigen, mit der Angehörige ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Das ist heute auch online möglich.

Hamburg/München (epd). Sie gelten als meistgelesene Rubrik in deutschen Tageszeitungen: Traueranzeigen sind für viele Leserinnen und Leser interessanter als der Politik-, der Wirtschafts- oder der Sportteil. Kein Wunder, beantworten sie doch Tag für Tag aufs Neue die Frage, wer von den Bekannten, ehemaligen Berufskollegen oder einstigen Mitschülern gestorben ist.

Eine frühe Todesanzeige in einer Zeitung lässt sich 1753 im schwäbischen Ulm nachweisen: Johann Albrecht Cramer sei 70-jährig „an einem Schlagfluß schnell verstorben“, heißt es darin. Zweck damaliger Inserate sei es gewesen, „den Tod anzuzeigen als öffentliche Bekanntmachung“, sagt Stefanie Silber, Dozentin aus Hamburg mit Schwerpunkt Trauerdruck. Die Annoncen beinhalteten anfänglich „einen Infotext, wer wann und oft auch woran gestorben ist, und das ist im Fließtext gesetzt worden, ähnlich wie unsere Kleinanzeigen heute“.

Heute bestehe die Hauptaufgabe der Anzeige nicht mehr darin, eine Todesnachricht zu kommunizieren. Der technische Fortschritt bringe es mit sich, dass Menschen solche Nachrichten via Telefon und Messenger-Dienste kommunizieren, sagt Silber. Somit habe sich die Todes- zur Traueranzeige wandeln können, in der Angehörige ihre Gedanken zum Ausdruck bringen. „Du hast uns viel zu früh verlassen“, beklagen etwa die Einen, andere trösten sich mit Sätzen wie „Jetzt folgst du deinem lieben Mann“. Silber erklärt: Das Gestalten einer Traueranzeige könne auch bei der persönlichen Trauerarbeit helfen.

Pfeife, Trecker, Spitzname

Dass sich seit ein paar Jahrzehnten Fotos der Verstorbenen in Traueranzeigen integrieren lassen, ist nach Angaben des Münchner Bestatters Karl Albert Denk verbesserter Drucktechnik zu verdanken. In ländlichen Regionen wiesen viele Traueranzeigen solche Fotos auf, in Städten seien es weniger, berichtet Denk, zu dessen Dienstleistungen auch die Gestaltung von Traueranzeigen zählt.

Neben Fotos haben weitere grafische Elemente Einzug gehalten: Der Schiedsrichter bekommt eine gezeichnete Pfeife in seine Todesanzeige montiert, der Hobbylandwirt einen gemalten Trecker. Deutlich weniger als im 20. Jahrhundert ist dagegen ein Kreuz in Traueranzeigen zu finden: „Die christlichen Symbole sind zurückgegangen“, das gelte insbesondere in städtischen Gegenden, in denen die Religionszugehörigkeit nicht mehr so ausgeprägt ist wie auf dem Land, sagt Denk.

Textlich kommen Traueranzeigen nach Erfahrung des Bestatters heute reduzierter daher als noch vor wenigen Jahrzehnten. Formulierungen wie „In liebevoller Dankbarkeit“ seien weggefallen. Was Angehörigen weiterhin wichtig ist, seien Verse oder Sprüche. Die stammten nicht mehr so oft aus der Bibel, sondern seien inzwischen sehr weltlich. Außerdem hätten Spitznamen Einzug gehalten.

Früher las man oft, welchen Beruf der Mensch ausgeübt hat, heute seien solche Angaben nur noch in Anzeigen zu finden, die vom Arbeitgeber geschaltet werden, beschreibt Denk eine weitere Veränderung. Wohnort und Adresse anzugeben, damit Menschen Trauerpost dorthin schicken können, sei nahezu komplett weggefallen. „Die Leute haben Angst, dass bei ihnen eingebrochen wird“, sei einer der Gründe.

Mehr Traueranzeigen von Freunden

Den klassischen schwarzen Rand weisen noch immer zahlreiche Traueranzeigen auf. „Bei vielen Zeitungen ist das vorgeschrieben“, bedauert Denk. Andere Verlage ließen ihren Inserenten gestalterische Freiheit. „Das Interessante ist, dass wir viele Kunden aller Altersklassen haben, die trotzdem die klassische Anzeige haben möchten.“ Jüngere brächten sich dabei oft aktiv in die Gestaltung mit ein.

Die Zahl der Traueranzeigen hat laut Denk insgesamt abgenommen. Was zunehme, seien Traueranzeigen von Freunden. Auch schalteten inzwischen Eltern sogenannter Sternenkinder Anzeigen für ihren nicht geborenen Nachwuchs.

Immer häufiger werde der Bestatter von Angehörigen um Zusendung einer pdf-Datei der Traueranzeige gebeten - zum Weiterverschicken via WhatsApp. Denk, andere Bestatter sowie Zeitungsverlage bieten längst auch Online-Gedenkportale an. Wer mag, kann dort kondolieren oder eine Kerze entzünden. Keine echte, versteht sich, sondern eine virtuelle.

Von Marcel Maack (epd)



Soziales

Weiches Fell, stilles Zuhören: Hündin Pina bringt Leben ins Hospiz




Hospizhund "Pina"
epd-bild/Verena Mueller
Schwanzwedeln und Streicheleinheiten abholen: Im Hospiz Esslingen besucht Hündin Pina jede Woche die Gäste und erfreut mit ihrer Lebendigkeit auch die Angehörigen.

Esslingen (epd). Montags ist ein besonderer Tag im Hospiz der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Esslingen nahe Stuttgart: Hospizhund Pina kommt zu Besuch. Die apricot-farbene Hündin mit dem seidig-weichen Fell bringt Leben ins Haus. „Pina hat Pfeffer im Hintern“, sagt Besitzerin Marion Kopf über ihre Hündin, die ein Mix aus Irish Setter und Königspudel ist. Schwanzwedelnd läuft die zweieinhalbjährige Pina über den Flur, auch die Pflegekräfte sind begeistert.

Einmal Streicheleinheiten abholen und schnüffeln, dann geht es weiter zu den Zimmern der schwerstkranken Gäste. Acht Betten stehen im stationären Teil des Hospizes Esslingen für Menschen zur Verfügung, die mit großer Wahrscheinlichkeit nur noch eine sehr begrenzte Zeit leben werden.

Tiere wie Pina sollen Freude und auch Abwechslung in Hospize und auf Palliativstationen bringen. Meist sind Hunde die „Stimmungsaufheller“, wie Marion Kopf sagt. Die ehemalige Pflegefachkraft hat eine Fortbildung in tiergestützter Therapie absolviert. Der Vorgängerhund von Pina hieß Elli und begleitete sie täglich bei der Arbeit auf Station. „Elli war ein kleiner Hund, vor dem man keine Angst hatte“, beschreibt Marion Kopf ihre erste Hündin.

„Tiere erreichen die Seele direkt“

„Alle haben Elli geliebt und getrauert, als sie krank wurde und starb“, erinnert sich die Leiterin des Hospiz Esslingen, Susanne Kränzle. Sie ist gleichzeitig Vorsitzende des Hospiz- und Palliativverbands Baden-Württemberg. Als Marion Kopf vor mehr als zehn Jahren den Vorschlag gemacht habe, einen „Hospizhund“ einzuführen, habe sie sofort zugestimmt: „Tiere erreichen die Seele direkt, es geht nicht den Umweg über den Verstand“, erklärt Kränzle.

Im Kontakt mit den Gästen im Hospiz zeige sich Pina entspannt, erzählt Marion Kopf. Als „stiller Zuhörer“ habe sie durch ihre bloße Präsenz einen Mann zum Erzählen gebracht. Bei einem anderen Gast, der aufgrund der Schwere seiner Erkrankung nicht mehr sprechen konnte, hätten die jugendlichen Kinder von dem Hund profitiert: „Sie tauschten sich sofort über Tricks und Hundeerziehung aus“, erinnert sich Kopf. Pina habe ihnen einen schönen Augenblick in der schweren Zeit des Abschieds vom Vater beschert.

„Angehörige sind dankbar für die Unterstützung durch den Hund“, ist ihre Erfahrung. So sei die Schwester eines Gastes „ganz beglückt“ gewesen, als sie gesehen habe, wie ihr Bruder den Hund zu sich ins Bett geholt und sich an dessen Nähe erfreut habe.

Wenn Gäste körperlich noch fitter sind, kommt auch ein Spaziergang im Rollstuhl infrage, mit dem Hund an der Leine. Viele Gäste erinnerten sich beim Anblick von Pina an eigene Hunde, die sie einmal hatten. „Eine ältere Frau hat sich sogar extra Leckerli bringen lassen, um sie dem Hund beim nächsten Besuch zu geben“, berichtet Kopf.

In Deutschland wurden in den 1990er Jahren erste Erfahrungen mit Tieren in Hospizen gesammelt. Mittlerweile gibt es zahlreiche Häuser, die sogar das eigene Haustier erlauben wie etwa das Hospiz der Kreuznacher Diakonie in Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz. Hier arbeiten Vögel, Fische, Hunde und ein Therapiepony als „tierische Kollegen“, die dem einen oder anderen Gast ein Lächeln entlocken.

„Goldene Momente“

Um mit dem Tier in eine Einrichtung gehen zu dürfen, muss sich der Halter in tiergestützter Therapie weiterbilden. Der Hund selbst benötigt keine spezielle Weiterbildung. Als „Hospizhund“ sollte er jedoch Körperkontakt und Emotionen aushalten können. Und nach dem Besuchsdienst benötigt er Ruhepausen zum Stressabbau.

Beim Kontakt mit dem Hund schüttet das Gehirn das Bindungshormon Oxytocin aus, wie Bettina Mutschler vom „Ani.Motion“-Institut für tiergestützte Therapie im baden-württembergischen Sabachwalden erklärt. Die Wärme und das Fell wirkten beruhigend. „In Entspannung werden Schmerzen weniger stark wahrgenommen“, ergänzt sie. Sie arbeitet seit 2014 mit Therapiehunden und Eseln und bildet auch aus. Die Hundeerziehungsberaterin spricht bei der Begegnung mit Tieren in den letzten Lebenswochen von „goldenen Momenten“: „Da passiert ganz viel zwischen Mensch und Tier, was ich als Mensch nicht hinbekomme.“

Tiere gingen einen ehrlicheren Kontakt ein. „Sie haben nicht den gesellschaftlich-moralischen Kontext wie wir“, sagt die Ausbilderin. Das Tier nehme dem Alltag im Hospiz die Schwere, davon ist auch Marion Kopf überzeugt. Pina kann man einfach streicheln und für einen Moment alles andere vergessen.

Von Susanne Lohse (epd)


Diakonie: In Frauenhäusern fehlen über 14.000 Plätze




Häusliche Gewalt (Symbolbild)
epd-bild/Steffen Schellhorn

Berlin (epd). Sozialverbände fordern zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ am 25. November, die Zahl der Plätze in Frauenhäusern deutlich zu erhöhen. Das sei wegen der „erschreckenden Zunahme häuslicher Gewalt“ dringend nötig, sagte Diakonievorstand Maria Loheide am 24. November in Berlin. Auch müsse die Finanzierung der Hilfen abgesichert werden. Ähnlich äußerten sich auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Deutsche Frauenrat.

Loheide verwies auf die Statistik des Bundeskriminalamtes, das für 2022 rund 240.500 Fälle häuslicher Gewalt registriert hat, davon etwa 157.800 im Kontext von Partnerschaftsgewalt. Das entspreche einem Anstieg der Gewalttaten durch Partner um 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Auch deshalb müsse die Infrastruktur bei den Hilfeeinrichtungen schnell ausgebaut werden. Derzeit fehlten 14.000 Plätze, wenn man die Empfehlung der Istanbul-Konvention, die Deutschland unterzeichnet hat, zugrunde lege. Demnach werden hierzulande mindestens 21.000 Frauenhausplätze benötigt. Laut Frauenhausstatistik 2022 gibt es aktuell nur 6.800 Plätze.

Diakonie: Frauenhäuser müssen Schutzsuchende abweisen

„Frauenhäuser müssen schutzsuchende Frauen und ihre Kinder abweisen, weil keine Plätze frei sind. Das ist ein Skandal“, sagte Loheide. Der Bund müsse sein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen und gemeinsam mit den Ländern eine einheitliche gesetzliche Regelung zur Finanzierung von Schutz und Hilfe bei Gewalt schaffen.

„Ein bedarfsgerechtes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen existiert bis heute nicht in Deutschland“, erklärte AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner: „Voll belegte Frauenhäuser, weit entfernte Beratungsstellen, langwierige Gerichtsverfahren, das sind riesengroße Hürden für Frauen.“ Sie forderte den Ausbau des Gewaltschutzsystems und gleichzeitig einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen, um Schutz, Hilfe und Beratung verlässlich finanziell abzusichern.

Sylvia Haller, Vorstand des Deutschen Frauenrats, sagte, die Unterfinanzierung der Hilfestrukturen „sollte in einem reichen Land wie Deutschland längst überwunden sein“. Die Koalitionspartner seien jetzt gefragt, ein wirksames Gesetz auszuarbeiten, das alle Frauen schütze und Betroffene stärke.



Caritas: Die Menschen sparen an der Ernährung und bei der Energie



Die hohe Inflation treibt die Bürger in die Sozialberatung. Jeder dritte Klient ist erwerbstätig. Fast jeden Bürgergeldbezieher in der Schuldnerberatung überfordern die Energiekosten. Die Caritas betont die Bedeutung eines stabilen sozialen Netzes.

Berlin (epd). Jeder dritte Hilfesuchende in der Sozialberatung der Caritas hat nach den Angaben des katholischen Wohlfahrtsverbandes ein eigenes Erwerbseinkommen. „Ein Arbeitsplatz schützt längst nicht immer vor existenziellen finanziellen Sorgen“, sagte Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, am 22. November in Berlin bei der Vorstellung der Ergebnisse der jährlichen Erhebung in den 478 Caritas-Stellen der Allgemeinen Sozialberatung (Stichtag: 21. September). Mehr als die Hälfte der Hilfesuchenden (53,5 Prozent) gab in der Umfrage an, er spare an der Ernährung. 45,5 Prozent schränkten sich beim Energieverbrauch und 39,9 Prozent beim Wohnen ein.

Die Allgemeinen Beratungsstellen sind laut Caritas eine erste und oft die einzige Anlaufstelle für Ratsuchende und somit „ein guter Sensor für die Nöte und Probleme, die die Menschen in Deutschland gerade haben“. Finanzielle Sorgen seien der Hauptgrund für das Aufsuchen einer Sozialberatung. Aus den Ergebnissen der diesjährigen Abfrage lasse sich ablesen: Steigende Preise für Energie verschärfen die Probleme von armutsgefährdeten Haushalten spürbar. Bei der Erhebung wurden nach den Angaben 2.458 Fälle erfasst und ausgewertet.

Hoher Anteil von jungen Männern

Für Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa ist klar: „Wenn die Preise für den Schulbedarf der Kinder drastisch nach oben gehen, passen Einkommen und Ausgaben plötzlich nicht mehr zusammen.“ Große Teile der Bevölkerung seien auf Hilfe und Begleitung angewiesen. Dies sei „ein deutlicher Hinweis auf die Bedeutung eines stabil geknüpften sozialen Netzes“, sagte Welskop-Deffaa.

Wie in den vergangenen Jahren sind nach den Angaben mehr als die Hälfte der Ratsuchenden in der Allgemeinen Sozialberatung Frauen (62,3 Prozent). Auffällig findet die Caritas den Anteil junger Männer: 33 Prozent der männlichen Ratsuchenden seien unter 30 Jahre alt. Hier bildeten existenzielle Sorgen als Folge der Inflation das Hauptproblem. Mehr als die Hälfte der Ratsuchenden insgesamt (52,1 Prozent) habe einen Migrationshintergrund. Von den Ratsuchenden mit Migrationshintergrund verfüge mehr als ein Drittel (35,5 Prozent) über ein eigenes Erwerbseinkommen.

Hohe Energiekosten

Finanzielle Probleme seien für Menschen meist der erste Anlass, Rat zu suchen. Nicht selten zeige sich im Gespräch ein Bedarf für weitergehende Hilfen wie Sucht- oder Schuldnerberatung, Erziehungshilfen, psychosoziale Dienste oder pflegerische Unterstützung.

In den Schuldnerberatungsstellen der Caritas sind nach weiteren Umfragen des Verbandes hohe Strom- und Heizkosten das Hauptthema. „Von 99 Prozent der Hilfesuchenden, die Bürgergeld erhalten, werden in der Schuldnerberatung Stromschulden thematisiert. Bei 88 Prozent der Bezieher von Bürgergeld, Wohngeld oder Kinderzuschlag geht es in der Beratung um Schulden bei Heizkosten“, teilte die Caritas mit. Das ist eine enorme Steigerung zum Vorjahr: 2021 lagen die Vergleichswerte nach Angaben der katholischen Wohlfahrt bei Strom bei 54 Prozent und bei den Heizkosten bei 41 Prozent.



Ministerpräsidentin dringt auf Reform des kirchlichen Arbeitsrechts



Mainz (epd). Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat ihre Forderung nach einer grundlegenden Reform des kirchlichen Arbeitsrechts bekräftigt. Der sogenannte Dritte Weg zum Aushandeln von Gehältern und Arbeitsbedingungen könne außerhalb der Kirche kaum noch nachvollzogen werden, sagte sie am 22. November beim Parlamentarischen Abend der evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz im Mainzer Landtag. Anlass für den Parlamentarischen Abend war der Buß- und Bettag, der bis 1994 in Deutschland als gesetzlicher Feiertag begangen wurde.

„Es wäre sehr schlau, von der Kirche zu sagen: Wir packen das mal am Schopf“, sagte Dreyer. Ein Festhalten an dem Sonderweg im Arbeitsrecht schade der eigenen Glaubwürdigkeit. In einer Gesprächsrunde mit der Regierungschefin widersprach der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung. Das auf Konsens beruhende kirchliche Modell habe als Alternative zu Tarifverhandlungen mit Streiks und Aussperrungen weiterhin seine Berechtigung, sagte er.

Das Grundgesetz räumt den großen Kirchen weitreichende Freiheiten bei der Ausgestaltung des Arbeitsrechts für ihre Mitarbeiter ein. Für kirchliche Beschäftigte werden Gehälter und Arbeitszeiten zwischen Mitarbeiter-Vertretern und Kirchenverwaltung in paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen ausgehandelt. Streiks und Aussperrungen sind nicht zulässig. Hintergrund des sogenannten Dritten Wegs ist der Gedanke, dass alle Kirchenmitarbeiter eine Dienstgemeinschaft bilden.



Sozialverbände fürchten Einschnitte durch Haushaltssperre



Viel Unsicherheit und kaum Antworten: Nachdem die Sozial-Kürzungen in der Bereinigungssitzung des Bundestag-Haushaltsausschusses gerade zurückgenommen worden sind, sorgt die Haushaltssperre infolge des Karlsruher Urteils nun für neue Fragen.

Berlin (epd). Die vom Bundesfinanzministerium verhängte Haushaltssperre für den Bundeshaushalt führt zu Verunsicherung. Mehrere Sozialverbände forderten die Bundesregierung am 21. November in Berlin auf, möglichst schnell Planungssicherheit für die Angebote sozialer Träger zu schaffen. Aus den Ministerien hieß es, es sei noch zu früh für eine Bewertung, wie sich die Sperre auf einzelne Projekte auswirken werde.

Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin: „Wir nehmen die Regierungsfraktionen beim Wort und planen mit den Mitteln, die in der Haushaltsbereinigungssitzung für die Belange der Wohlfahrtspflege zugesagt wurden.“

Ausschuss nahm Kürzungen zurück - Bundestag muss entscheiden

Ende vergangener Woche hatte der Haushaltsausschuss des Bundestags viele der geplanten Kürzungen im Sozialbereich zurückgenommen oder zeitlich gestreckt. Dazu zählen die geplanten Kürzungen von 80 Millionen Euro bei den Freiwilligendiensten im kommenden Jahr, womit weiterhin fast 330 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Noch ist dies aber nicht vom Bundestag beschlossen. Welche Folgen nun die Haushaltssperre für einzelne Etats haben könnte, ist derzeit offen.

Ein Sprecher des für die Freiwilligendienste zuständigen Bundesfamilienministeriums sagte dem epd, sobald die Sperre in Kraft ist, „können in diesem Jahr zulasten des kommenden bzw. der Folgejahre keine neuen Verpflichtungen eingegangen werden, auch wenn der Haushaltsplan dazu ermächtigt“. Bereits eingegangene Verpflichtungen seien nicht betroffen.

Das nächste Freiwilligenjahr beginnt im Herbst 2024, die Menschen, die seit diesem Herbst im freiwilligen Jahr oder im Bundesfreiwilligendienst sind, dürften nicht betroffen sein. Für die Caritas betonte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa: „Es muss sichergestellt werden, dass die Haushaltssperre keine Verpflichtungsermächtigungen der Freiwilligendienste betrifft. Sonst wäre die gerade in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses erzielte Verständigung über deren Weiterfinanzierung infrage gestellt.“

„Achterbahnfahrt ins Ungewisse“

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, sagte ebenfalls auf Anfrage: „Die Wohlfahrt erlebt eine Achterbahnfahrt ins Ungewisse.“ Als „die nächste Hiobsbotschaft“ bezeichnete er die Sperre der Verpflichtungsermächtigungen, „was wieder einmal die wichtige Arbeit der Freiwilligendienste trifft“. Solange die Haushaltssperre gelte, hätten die Träger und Einsatzstellen für das zweite Halbjahr keine Planungssicherheit. „Wir appellieren an den Bundestag, dabei zu bleiben, dass das Soziale nicht kaputtgespart werden darf“, sagte Schneider.

Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums sagte dem epd auf Nachfrage, jedes Ressort prüfe derzeit, „was die haushaltswirtschaftliche Sperre der Verpflichtungsermächtigungen im Bundeshaushalt 2023 im Einzelnen bedeutet“. Das brauche Zeit. Sicher sei aber, dass die Sozialleistungen nicht gefährdet sind: „Gesetzliche Renten, Arbeitslosengeld, die Lebensunterhaltsleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung werden natürlich auch weiterhin fristgerecht und in voller Höhe ausgezahlt“, sagte der Sprecher.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warf Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor, mit der Haushaltssperre „Verunsicherung und Angst auszulösen“. Auf der Kippe steht laut Bentele die Energiepreisbremse, deren Verlängerung bis Ende März gerade beschlossen worden ist. „Wir befürchten, dass auch die Kindergrundsicherung wieder diskutiert und eventuell ganz gekippt werden könnte“, fügte sie hinzu. Zuvor hatte der Landkreistag das Aus für die Kindergrundsicherung gefordert. Auch die Union lehnt sie ab.




Medien & Kultur

Einsamer Held




Lucky Luke und die Daltons auf einer Brüsseler Hauswand.
epd-bild/Niklas Hlawitschka
Er war der "Vater von Lucky Luke": Vor 100 Jahren wurde der belgische Comiczeichner Morris geboren. In Brüssel zeugen vergilbte Hefte von der akribischen Leidenschaft, mit der sich der Künstler seinem Werk widmete.

Brüssel (epd). In Philippe Caparts Comicladen „La Crypte Tonique“ im Zentrum Brüssels türmen sich Kisten voller Bücher. Vom Fenster aus ist schwer zu erkennen, ob es sich um ein Geschäft, ein Atelier oder ein Lager handelt. Der 50-Jährige bahnt sich einen Weg in den Nebenraum und kommt mit einer Kiste voll vergilbter, bräunlicher Hefte zurück. „Morris“ steht mit dickem Filzstift auf dem Karton, und auf dem obersten Heft ist handschriftlich notiert, was er beinhaltet: „De éénarmige bandiet“. Es sind Abdrucke von Lucky Lukes Comicabenteuer „Der einarmige Bandit“ auf Niederländisch, einer von mehr als 30 Sprachen, in die die Reihe übersetzt wurde. Und die Beschriftung stamme vom Lucky-Luke-Schöpfer Morris (1923-2001) selbst, sagt Capart.

Seit 1946 durchstreifen Cowboy Lucky Luke und sein Pferd Jolly Jumper die Prärie: Damals erschien im belgischen Magazin Spirou das erste Abenteuer „Arizona 1880“. Erfinder Morris wurde vor 100 Jahren, am 1. Dezember 1923, als Maurice De Bevere, im belgischen Kortrijk geboren. Und er hat genau verfolgt, wie sein einsamer Westernheld die Zeitungsspalten, Bücherläden und Kinderzimmer auf der ganzen Welt eroberte. Abdrucke seiner Zeichnungen sammelte Morris und band sie selbst - fein säuberlich sortiert und mit Datum versehen - zu kleinen Heften wie das über den „Einarmigen Banditen“, wie der belgische Comicexperte Erwin Dejasse berichtet.

„Das Leben in die Comics übertragen“

Morris besuchte eine Jesuitenschule, an der sich sowohl sein Zeichentalent als auch sein Humor schon früh in Karikaturen seiner Lehrer gezeigt haben soll. Ab 1944 arbeitete er in dem kleinen Brüsseler Animationsstudio CBA. Zu seinen Kollegen dort zählten Franquin, der später als Zeichner von Gaston und dem Marsupilami bekannt wurde, und Peyo, der die Schlümpfe erfand.

Capart ist nicht nur Verleger und Besitzer des Ladens „La Crypte Tonique“, er beschäftigt sich auch als Historiker und Theoretiker mit Comics und Animationsfilmen. Gemeinsam mit Erwin Dejasse hat er 2005 ein Buch über das Studio CBA geschrieben („Morris, Franquin, Peyo et le Dessin Animé“). Die Herangehensweise, die Morris in dem Trickfilmstudio gelernt habe, sagt Dejasse, könne man auch bei Lucky Luke sehen: „Morris wusste sehr genau, wie Filme funktionieren.“ Davon zeugten Nahaufnahmen und Panorama-Einstellungen in den Western-Comics.

Vor allem aber findet sich die Bewegung der Filme auch in den Zeichnungen wieder. „Animation ist lebendig und Morris hat das Leben in die Comics übertragen“, sagt Capart. Der Witz und die Dynamik Lucky Lukes leben von schnellen Bildfolgen und durchdachten Zeichnungen. Das Motiv des Cowboys, der seine Waffe schneller zieht als sein Schatten, zeigt einen ganzen Bewegungsablauf in einem Bild.

Serge Gainsbourg bei Lucky Luke

Rund ein Jahr bevor Morris 2001 in Brüssel starb, traf Capart den Zeichner. Er wollte ihm Animationsfilme aus den 1940er Jahren zeigen, die er zusammengetragen hatte, wie er erzählt. „Da sind Sie ja auf eine echte Goldmine gestoßen“, habe Morris beim gemeinsamen Ansehen der Filme gesagt, halb sarkastisch, halb anerkennend, erinnert sich Capart.

Auch Morris selbst war ein Sammler und Rechercheur. 1948 zog es den Comic-Künstler in die USA, die ihn schon immer fasziniert hatten. Er blieb sechs Jahre, in denen er ein umfangreiches Archiv der amerikanischen Geschichte zusammentrug, das ihm immer wieder auch zur Vorlage für seine Comics dienen sollte. Zahlreiche reale Persönlichkeiten tauchen in den Lucky-Luke-Geschichten auf, von Billy the Kid über Alfred Hitchcock bis zum französischen Sänger Serge Gainsbourg. Auch für die Dalton-Brüder gibt es eine historische Vorlage.

Jedes Buch, das Morris über die sogenannte Pionierzeit habe bekommen können, habe der Zeichner gekauft, erzählt Capart: „Er hat alles gesammelt, sogar seine Zugtickets von 1947.“ In New York traf er den Franzosen und Asterix-Schöpfer René Goscinny, der von 1955 bis zu seinem Tod 1977 der Texter der Lucky-Luke-Reihe wurde.

Theoretiker des Comics

Wie sein Cowboy aber, der am Ende jeder Geschichte in den Sonnenuntergang reitet und die Romantik der Einsamkeit in der weiten Prärie besingt („I'm a poor lonesome cowboy ...“), sei Morris ein Einzelgänger gewesen. Er zeichnete für sich selbst und weil er sich nicht erinnern konnte, „je etwas anderes getan zu haben“, wie er einmal sagte. Seine Originale gab er nie aus der Hand. Noch heute lagern sie wohl in einem Safe irgendwo in Brüssel, vermutet Capart.

Morris Interesse galt nicht nur dem Wilden Westen, sondern auch dem Medium Comic. „Von den 1940er Jahren bis in die 1970er Jahre war er meines Erachtens der weltweit wichtigste Theoretiker des Comics“, sagt Capart. Und er habe nicht nur die eigenen Werke, sondern auch die Arbeiten anderer Comiczeichner gesammelt - in genauso säuberlich kuratierten und selbst gebundenen Heften.

Von Niklas Hlawitschka (epd)


Fließende Bildwelten



Isa Genzken erfindet sich und ihre Kunst mit Witz und Spott immer wieder neu, ist mal widersprüchlich und sperrig, aber auch nachdenklich und still. Eine unangepasste Künstlerin wird 75.

Frankfurt a. M. (epd). Vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin ragt eine gigantische Rose in den Himmel. Die rosafarbene Blüte auf dem filigranen Stängel wirkt wie eine Liebesgabe. Seit 1993 hat die Künstlerin Isa Genzken immer wieder solch überdimensionale Rosen aus Metall für den Außenraum geschaffen. Für sie sind sie ein Symbol für Kommunikation, denn „es gibt keine andere Blume, bei der sich jeder wahnsinnig freut, wenn er sie sieht“, wie sie einmal sagte. In Berlin ist die Rose auch zum symbolischen Geburtstagsgruß für Genzken geworden: Am 27. November wird sie 75 Jahre alt und die Neue Nationalgalerie würdigt sie mit der Sonderausstellung „75/75“. In der oberen Glashalle bieten 75 Skulpturen einen Parcours durch ihr Werk.

„Isa Genzken ist eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Gegenwartskunst, weil sie sich alle fünf bis zehn Jahre neu erfindet“, sagte Kuratorin Lisa Botti dem epd. „Sie kennt keine Hierarchien der Materialien, sie ist offen, wagt immer wieder Neues.“ Das Kunstmagazin „Monopol“ kürte sie zur einflussreichsten Künstlerin des Jahres 2023.

Nofretete mit Sonnenbrille

In ihrem Schaffen passt Genzken sich nicht an an das, was in der Kunstwelt gerade angesagt ist. Mit ungeheurem Witz und Spott wählt sie ihr Material und ihre Themen aus, auf originelle und vielseitige Weise. Sie ist mal widersprüchlich und sperrig, laut und provozierend, aber auch nachdenklich und still.

Einer Gipskopie der Büste der schönen Ägypterin Nofretete setzt sie eine Sonnenbrille auf und kombiniert sie mit dem Abbild der Mona Lisa von Leonardo da Vinci, als konkurrierten die beiden ikonischen Frauen in einem Schönheitswettbewerb. Schaufensterpuppen treten als gespenstische „Schauspieler“ in unterschiedlichen Rollen auf, mit Masken, Helmen und befremdlichen Accessoires bewehrt, als wollten sie zu große Nähe abwehren. Genzkes Werk „Hospital“ von 2008 ist ein Kommentar auf die Katastrophe von 9/11 und den Wettbewerb für die Neubebauung von Ground Zero: ein fragiler Turm aus Rollwagen, darüber ein Holzkubus, mit grüner Gaze und bunten Plastikbändern umwickelt, oben ragen bunte Plastikblumen wie Trauerschmuck aus einem Glasgefäß, ganz unten steht ein Tablett mit leeren Schnapsgläsern - the party is over.

Meisterschülerin von Gerhard Richter

Die Wahl-Berlinerin Isa Genzken kam 1948 im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe zur Welt, studierte Malerei, Kunstgeschichte, Philosophie sowie Fotografie und Grafik, zuletzt an der Düsseldorfer Kunstakademie. Dort war sie Meisterschülerin von Gerhard Richter, dessen Partnerin und ab 1982 Ehefrau sie bis zur Scheidung 1993 war. Eine Betonstele, aus der eine Antenne ragt - aus ihrer Serie „Weltempfänger“ aus den 1980er Jahren - verweist mit dem Titel „Gerhard“ auf diese Beziehung. Deren Ende trieb die Künstlerin in eine tiefe Depression, wie sie 2016 in einem Zeitungsinterview bekannte.

Genzkens vielfältiges Werk umfasst Skulpturen, Installationen, Film und Foto, Malerei sowie Zeichnungen und Künstlerbücher. Begonnen hat sie 1976 mit einer Reihe von „Ellipsoiden“ sowie den konkaven „Hyperboloiden“: perfekt geformte farbige Holzskulpturen, die an einem oder zwei Punkten den Boden berühren und an Boote, Zahnstocher oder Speere erinnern.

Genzkens Leidenschaft für Architektur und Städte - New York und Berlin - ist unübersehbar in ihrem Werk. 2002, für die documenta 11, entwirft sie die Skulptur „New Buildings for Berlin“ aus verschachtelt arrangierten bunten Glasplatten - eine Kritik an den Bauten, die in Berlin seit den 90er Jahren emporschießen. „Fuck the Bauhaus“ heißt eine Serie von sechs Skulpturen aus dem Jahr 2000. Es sind Collagen aus Plastik, Alltagsgegenständen wie Pizzakartons, Fotos und Zeitungsausschnitten, mit denen sie sich über die puristische, ornamentfreie Perfektion des Bauhauses mokiert und sie persifliert.

Deutscher Pavillon in Venedig

Ab 2000 ändert Genzken erneut ihre Handschrift, sie benutzt für ihre wie zufällig arrangiert wirkenden Skulpturen objets trouvés, Gegenstände aus der Alltagswelt: Spielzeug, Stoffe, Grillzange, Schaufensterpuppen. Und sie baut zunehmend Alltagsmüll, abgelegte eigene Kleidung, Spiegelfolie und alte Fotos in ihre Werke ein, die sie mit Klebeband und Folie umwickelt oder wie provisorisch befestigt. Ihre Arbeiten lassen sich als Kommentar auf den Zustand von Politik und Gesellschaft lesen.

Sie gehörte früh in ihrer Karriere zu den international erfolgreichsten deutschen Künstlerinnen: Dreimal war sie auf der documenta in Kassel vertreten, fünfmal auf der Kunstbiennale in Venedig, 2007 gestaltete sie den Deutschen Pavillon. Seit 2018 gilt ihr Werk als abgeschlossen. Die Bodencollage „Untitled“ aus Zeitungen, Plastikeinkaufstüten und Fotografien, ein Kommentar auf das Ende des Kalten Krieges, den Mauerfall und den bevorstehenden ersten Golfkrieg, ist eine ihrer letzten Arbeiten.

Die Geburtstagsausstellung in ihrer Wahlheimat Berlin ist eine Hommage an die Künstlerin. Zur Eröffnung konnte Genzken, die keine Interviews mehr gibt, aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen. Die Finissage in Mies von der Rohes Kunsttempel findet an ihrem Geburtstag statt: Die Neue Nationalgalerie plant für Montag, den 27. November, eine Sonderöffnung.

Von Sigrid Hoff (epd)


Kant zum Mitdenken



Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert den 300. Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) mit einer großen Überblicksschau. Die Ausstellung will auch junges, nicht philosophisch vorgebildetes Publikum ansprechen.

Bonn (epd). Philosophieren erfordert Disziplin. So sah es zumindest der Vordenker der Aufklärung, Immanuel Kant. Sein Tag begann stets um 4.45 Uhr und war streng durchgetaktet, bis er sich abends Punkt 22 Uhr mit einer ganz speziellen Wickeltechnik in seine Bettdecke hüllte. Die Ausstellung, mit der die Bundeskunsthalle das Kant-Jubiläumsjahr 2024 einläutet, präsentiert ihn nicht nur als großen Philosophen, sondern zeigt auch seine menschliche Seite. Wandhohe Zeichnungen im Stil einer Graphic Novel begleiten die gesamte Ausstellung und illustrieren die biografischen Stationen sowie die Eigenheiten Kants.

Die große Überblicksausstellung „Immanuel Kant und die offenen Fragen“, die bis zum 17. März zu sehen ist, wolle Kant auch einem jungen, nicht philosophisch vorgebildeten Publikum näherbringen, erklärt die Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus. Denn: „Kant ist einer der am meisten zitierten und diskutierten Philosophen und seine Aktualität hat bis heute nichts eingebüßt.“

Mit VR-Brille durch Kants Königsberg

Kant wurde am 22. April 1724 in Königsberg (heute Kaliningrad) geboren, wo er auch lange Jahre an der Universität lehrte. Seine Aufforderung, sich von Vorschriften zu lösen und selbst Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, prägte die Epoche der Aufklärung. Die Schau visualisiert Kants Wirken unter anderem anhand zahlreicher Porträts, Gemälde, Grafiken, Skulpturen, wissenschaftlicher Instrumente, Modelle, Karten und Handschriften. Zu sehen ist unter anderem eine Erstausgabe der „Kritik der reinen Vernunft“.

Besonders nahe kommt das Publikum dem Philosophen nicht nur durch die wandhohen Zeichnungen der Illustratorin Antje Herzog. Auch seine Wirkungsstätten im historischen Königsberg, das damals zu Ostpreußen gehörte, können besucht werden. Seine Heimatstadt, die Kant zeitlebens kaum verließ, wird durch eine Virtual-Reality-Rekonstruktion erlebbar gemacht. VR-Brillen ermöglichen eine Reise durch die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt zu Kants Zeiten. Die Rekonstruktion ist nach Angaben der Bundeskunsthalle weltweit eine der größten und datenreichsten Virtual-Reality-Produktionen.

Daneben kommen aber auch die Schriften des Philosophen nicht zu kurz. Neben den Original-Texten werden Postulate und Thesen anhand von Beispielen anschaulich erklärt. Einer der zentralen von Kant formulierten Begriffe ist etwa der Kategorische Imperativ, das oberste Moralgesetz: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“, heißt es bei Kant. Was Kant damit meint, wird am Beispiel der Lüge verdeutlicht: Wenn jeder zum eigenen Vorteil lügen würde, würde sich der Vorteil aufheben, da keiner mehr dem anderen trauen würde.

„Wann bin ich frei?“

Die Schau sei nicht historisierend, sondern als Denkprozess angelegt, erklärt Kuratorin Agnieszka Lulińska. Das Publikum sei zum Mitdenken eingeladen. Deshalb gibt es auch sogenannte Mitdenkstationen, die philosophische Fragen veranschaulichen. „Wann bin ich frei?“, lautet etwa die Frage einer Station. Besucherinnen und Besucher können hier Kugeln über verschieden ausgestaltete abschüssige Bahnen rollen lassen. Die Laufbahn der Kugel unterscheidet sich, je nachdem, ob Hindernisse wie persönliche Prägungen oder Willkür den Weg bestimmen.

Die Ausstellung zeigt auch die Wirkung des Kant'schen Denkens bis in die Gegenwart und die jüngere Geschichte. Auch der Missbrauch seiner Philosophie wird thematisiert. Zu hören ist etwa ein Interview mit der jüdischen deutsch-US-amerikanischen Theoretikerin Hannah Arendt. Sie berichtete 1961 über den Prozess gegen Adolf Eichmann. Dass der SS-Mann, der für die Ermordung von Millionen von Juden verantwortlich war, sich auf Kant und dessen Pflichtbegriff berief, empörte Arendt zutiefst: „Das ist eine Unverschämtheit.“

Die Ausstellung klammert nicht aus, dass auch Kant selbst nicht über alle Zweifel erhaben ist. „Wir wollen ihn nicht auf ein Podest heben“, betont Lulińska. Denn Werke Kants und der Aufklärung seien teilweise von rassistischen, sexistischen und antijüdischen Ideologien geprägt, erklärt die Kant-Forscherin Andrea Esser von der Universität Jena.

Von Claudia Rometsch (epd)


Aus für Bild TV



Axel Springer gibt seine Sendelizenz für den linearen Fernsehkanal Bild TV zurück. Der Sender wird zum Ende des Jahres eingestellt.

Berlin (epd). Der Medienkonzern Axel Springer beendet zum Jahresende seinen Fernsehkanal Bild TV. Die lineare Verbreitung werde zum 31. Dezember 2023 eingestellt, teilte das Unternehmen am 24. November in Berlin mit. Das Bewegtbildangebot unter dem Markennamen Bild konzentriere sich ab 2024 auf eine eigene digitale Plattform.

Die Sendelizenz für Bild TV will der Konzern nach eigenen Angaben jetzt zurückgeben. Die zuständige Landesmedienanstalt sowie die entsprechenden Vertriebspartner seien bereits informiert, sagte ein Sprecher des Medienkonzerns dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage.

Die Live-Spiele der Handball- und Basketball-Bundesliga in Kooperation mit DYN sowie der Fußball-Talk „Die Lage der Liga“ sollen ab dem nächsten Jahr auf Welt TV laufen, das auch zum Axel Springer Konzern gehört, zusätzlich zur Verbreitung auf den digitalen Bild-Plattformen, hieß es. Eigenproduktionen will Bild künftig über TV-Apps und kostenlose, werbefinanzierte Streaming-Plattformen ausstrahlen.

Mehrstündige News-Show

Frank Hoffmann, TV-Geschäftsführer Welt, erklärte, Sport sei bei den Zuschauern besonders am Sonntagnachmittag beliebt. Insofern erweiterten die bislang von Bild TV übertragenen Sendungen das Programm von Welt TV. Matthias Brügelmann, Chefredakteur Sport der Bild- und Welt-Gruppe betonte, durch die Ausstrahlung über Welt TV erreiche das Sportprogramm am Sonntag mehr Zuschauer.

Die Boulevardzeitung „Bild“ war im August 2021 mit einem frei empfangbaren Fernsehsender über Kabel, Satellit und Internet an den Start gegangen. Als zentrales Programmangebot hatte Axel Springer die werktägliche mehrstündige News-Show „Bild live“ angekündigt. Gesamtverantwortlich für die journalistische Bereitstellung der Inhalte von „Bild live“, die in der Redaktion der „Bild“-Zeitung entstanden, war der damalige „Bild“- Chefredakteur Julian Reichelt.

Nur einen Monat später, im September 2021, leiteten ARD und ZDF rechtliche Schritte gegen Bild TV ein, weil der Sender Prognosen- und Filmmaterial der Öffentlich-Rechtlichen aus der Wahlnacht verwendet hatte. Es folgte ein langwieriger Rechtsstreit. Reichelt musste im Oktober 2021 nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs als „Bild“-Chefredakteur seinen Stuhl räumen.

Ende 2022 wurden dann aus wirtschaftlichen Gründen „Bild Live“ und das Live-Format „Bild am Abend“ eingestellt. Dennoch erhielt der Sender Ende Juni 2023 den Public-Value-Status von der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) zuerkannt. Dieser zeigt an, dass das Programm in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt leistet.



BR und WDR: Kinder-Dokus zu Nahost wegen Fehlern offline



München/Köln (epd). Zwei Kinder-Dokumentationen zum Nahost-Konflikt sind von BR und WDR vorübergehend aus dem Internet genommen worden. Die vier Folgen der Kinder-Serie „CheX!Spezial“, mit denen der BR Kindern die aktuelle Situation im Nahen Osten erklären wollte, seien wegen Fehlern aus der Mediathek genommen worden, bestätigte eine Sprecherin des BR in München dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach den notwendigen Korrekturen solle die Doku-Reihe schnellstmöglich wieder ins Netz. Auch der WDR nahm einen Beitrag nach Kritik an der Machart aus dem Netz.

Der Medienkritiker Jörg Gehrke hatte bereits kurz nach Veröffentlichung der neuen Reportage von „Checker Tobi“ einige Tage zuvor auf die Fehler hingewiesen. „Diese CheX!-Folge hätte vor der Veröffentlichung einen Fakten-Checker gebraucht“, schrieb Gehrke auf der Plattform X (ehemals Twitter) : „Der Staat Israel wurde nicht am 18. Mai 1948 gegründet, Rabin war nicht israelischer Präsident, der Islam ist nicht vor 2000 Jahren in Palästina entstanden.“

WDR will redaktionelle Abläufe prüfen

Der Historiker forderte den BR zur Überarbeitung insbesondere der fehlerhaften zweiten Folge auf. Gehrke stellte richtig: Die Gründung Israels war am 14. Mai 1948, Jitzchak Rabin war israelischer Ministerpräsident und der Islam entstand im 7. Jahrhundert im heutigen Saudi-Arabien. Der BR erklärte, dies solle korrigiert werden. Eine Programmbeschwerde habe der Sender nicht erhalten. Andere Kritiker hatten auf X einen „Verstoß gegen das Rundfunkgesetz“ kritisiert und eine Überprüfung verlangt, ob „hier mangelndes Geschichtswissen oder Antisemitismus am Werk“ sei.

Der WDR bot Kindern auf der Internet-Seite des Magazins „neuneinhalb“ ebenfalls Informationen zum Nahost-Konflikt an. Auch dieser Beitrag wurde nach Kritik an seiner Machart vom Netz genommen. Felix Schotland, WDR-Rundfunkrat-Mitglied und Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, sagte der „Neuen Ruhr-Zeitung“ (23. November), der Text sei ungenau und führe zu einer Verurteilung Israels. Besonders der Abschnitt, in dem es um die Gründung Israels geht, erzeuge ein falsches Bild. Zuvor hatte der Journalist Tobias Huch auf X kritisiert, dass der Artikel „Hass gegen Israel“ schüre, in dem etwa behauptet werde, Israel würde Arabern Land rauben.

Nachdem der Beitrag am 22. November zunächst den Hinweis erhielt „Dieser Text ist gerade in Bearbeitung“, nahm der WDR ihn inzwischen von der Seite. „Dieser Eintrag wird zurzeit auf Fehler überprüft und erneuert. Wir stellen ihn schnellstmöglich wieder zur Verfügung“, heißt es dort. Der NRZ zufolge kündigte der Sender an, den Text „in Zusammenarbeit mit Experten“ zu erneuern und „redaktionelle Abläufe intern“ zu prüfen.



Filme der Woche



Wish

„Wish“, der 62. Animationsfilm aus dem Hause Disney, kommt zum 100-jährigen Firmenjubiläum in die Kinos. Die junge Asha lebt mit ihrer Ziege Valentino in einem Reich, in dem Wünsche erfüllt werden. Welche das sind, bestimmt jedoch allein König Magnifico. Als ein Wunsch Ashas von einer kosmischen Energie in Form eines kleinen Sternes beantwortet wird, beginnt für sie ein Abenteuer. Mit ihrer Ziege und dem neuen Freund „Star“ beschließt sie, sich dem König Magnifico entgegenzustellen und seine Alleinherrschaft zu beenden. Der Animations- und Musicalfilm feiert das Disney-Jubiläum mit vertrauten Motiven und nimmt Bezug auf frühere Klassiker. Mit seinen gedämpften Farben und aquarellähnlichen Texturen beschwört „Wish“ zudem Animationsfilme aus der Vorcomputerzeit herauf.

Wish (USA 2023). Regie: Chris Buck, Fawn Veerasunthorn. Buch:Jennifer Lee, Allison Moore. Mit: Ariana DeBose, Alan Tudyk, Chris Pine, Harvey Guillén. Länge: 92 Minuten.

Auf dem Weg

Basierend auf dem autobiografischen Roman von Sylvian Tesson erzählt „Auf dem Weg“ von einem Fußmarsch quer durch Frankreich. Aus einem Koma erwacht begibt sich Pierre (Jean Dujardin) gegen den Rat des Arztes und seiner Familie auf die Reise von der Mittelmeerküste bis zur Normandie. 1.300 km legt er zu Fuß zurück und versucht dabei, städtische Regionen zu meiden, meistens allein, manchmal mit Zufallsbekanntschaften. Auch seine Schwester leistet ihm einen Teil des Weges Gesellschaft. Zusammen führen sie Dialoge über die familiäre Vergangenheit, die dem Film Tiefgang geben. Die atemberaubenden Totalen der Originalschauplätze sorgen zwar für Atmosphäre, doch die Stille, die der Ursprungsroman beschwört, geht in Denis Imberts Adaption leider unter.

Auf dem Weg (Frankreich 2023). Regie: Denis Imbert. Buch: Dennis Imbert (nach Sylvian Tesson). Mit: Jean Dujardin, Joséphine Japy, Izïa Higelin, Anny Duperey. Länge: 95 Minuten.

Die Sirene

Animationsfilm über den irakisch-iranischen Golfkrieg 1980. Omit ist 14 Jahre alt und spielt gerne Fußball. Als seine Mutter in Folge des Krieges fliehen will, weigert er sich und bleibt mit seinem älteren Bruder bei seinem Großvater in Abadan. Sein großer Bruder wird schnell an die Front geschickt, Omit ist jedoch noch zu jung. Während er in Abadan auf den Bruder wartet, lernt Omit verschiedene Menschen kennen, von denen jeder einen anderen Grund hat, die Stadt nicht zu verlassen. Mit seinem Porträt einer diversen Bevölkerung führt der Film die einstige Blüte der persischen Zivilgesellschaft vor Augen, wie sie heute kaum vorstellbar ist. Der minimalistische Animationsstil, gekennzeichnet durch klare Linien und satte Farben, ist reduziert und betont das Wesentliche.

Die Sirene (Frankreich/Deutschland/Luxemburg/Belgien 2023). Regie: Sepideh Farsi. Buch: Javad Djavahery. Mit: Hamidreza Djavdan, Mina Kavani. Länge: 100 Minuten. FBW: Besonders wertvoll

Reif für die Insel

Einst unzertrennliche Freunde, sind Blandine und Magali nun Mittvierziger Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. 30 Jahre lang haben sie sich nicht gesehen, Blandine ist mittlerweile geschiedene Mutter eines Sohnes, während Magali immer noch am Lebensgefühl der 80er Jahre hängt. Zusammen sollen sie nun, auf Vorschlag des Sohnes, nach Griechenland fahren, um sich den Kindheitstraum eines gemeinsamen Urlaubs zu erfüllen. Wenn Magali tanzt und Blandine in Sorgen versinkt wird klar: Zwei total verschiedene Menschen gehen auf eine Reise, um sich trotz Differenzen zu verstehen und anzunähern. Auch wenn der Ursprung der Freundschaft nie ganz klar wird, weiß die Feelgood-Komödie von Marc Fitoussi zu unterhalten.

Reif für die Insel (Frankreich 2023). Regie: Marc Fitoussi. Buch: Marc Fitoussi. Mit: Laure Calamy, Olivia Côte, Kristin Scott Thomas, Alexandre Desrousseaux. Länge: 110 Minuten.

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Entwicklung

Die Insektenflüsterer von Nairobi




Sevgan Subramanian im Labor des Insektenforschungszentrums Icipe
epd-bild/Bettina Rühl
Ob Herbst-Heereswurm oder Reismotten - die Liste der Insekten, die in afrikanischen Ländern jedes Jahr viele Tonnen Lebensmittel vernichten, ist lang. In Nairobi erforschen Wissenschaftler biologische Wege, den Tieren Einhalt zu gebieten.

Nairobi (epd). Es sieht aus wie ein schwarzes Staubkorn, aber für Sevgan Subramanian ist es ein kleiner Helfer. „Ein weibliches Parasitoid, das gerade Eier in die Eier des Herbst-Heereswurms legt“, erklärt der kenianische Wissenschaftler, was er in der gläsernen Box in seinem Labor beobachtet. Der Insektenforscher lacht leise, vielleicht amüsiert er sich darüber, wie eine Art die andere ausschaltet. Die Parasitoiden helfen dabei, den Schädlingen Einhalt zu gebieten und damit letztlich den Hunger in der Welt einzudämmen.

Subramanian leitet die Abteilung für Gesundheit der Umwelt („Environment Health Theme“) am Icipe, dem renommierten „Internationalen Zentrum für Insektenphysiologie und -ökologie“ in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Er hat sich als Wissenschaftler unter anderem einen Namen gemacht, weil er und sein Team Methoden entdeckt haben, wie der Herbst-Heereswurm auf ökologische Weise in Schach zu halten ist - ein Maisschädling, der ursprünglich aus Amerika stammt. Seit einigen Jahren breitet er sich weltweit aus, seit 2016 auch in afrikanischen Ländern. Mit katastrophalen Ernteverlusten für die Bäuerinnen und Bauern. Laut Zahlen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO zerstören die gefräßigen Larven bis zu 50 Prozent der Ernte, wenn sie ein Feld erst einmal befallen haben.

18 Millionen Tonnen Ernteverlust beim Mais

Eine geradezu dramatische Menge, denn in Ostafrika produzieren die meisten Bäuerinnen und Bauern vor allem für den eigenen Bedarf, und Mais ist in Kenia das wichtigste Grundnahrungsmittel. Was der Schädling frisst, fehlt den Menschen auf dem eigenen Teller. In Afrika südlich der Sahara verursacht der Herbst-Heereswurm laut der FAO jährlich bis zu 18 Millionen Tonnen Ernteverluste beim Mais. Mehr als 300 Millionen Menschen sind von den Folgen betroffen, also Hunger und Armut.

In Subramanians Laboren stehen Terrarien neben- und übereinander. Große Löcher an der Vorderseite sind mit Gaze verschlossen, deren Enden verknotet sind. Die Forschenden können hineingreifen, ohne dass die Insekten hinausschlüpfen können. In den Käfigen befinden sich Eier oder Larven des Herbst-Heereswurms zusammen mit unterschiedlichen Arten ihrer natürlichen Feinde. „Wir wollen wissen, welche dieser Feinde in welchen Klimazonen besonders effektiv sind“, erklärt Subramanian.

Wer ihm zuhört, kann die Zuversicht zurückgewinnen, dass die Menschen Schädlingen wie dem Herbst-Heereswurm oder der Reismotte nicht ausgeliefert sind, selbst wenn sie keine teuren chemischen Pestizide einsetzen - die für die meisten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern unerschwinglich sind. Subramanian hält noch aus anderen Gründen nichts davon, die unerwünschten Lebewesen auf chemische Weise zu bekämpfen: „Wir vernichten dabei jedes Mal auch die natürlichen Feinde der Schädlinge“, kritisiert er, „abgesehen von möglichen Resten der Chemikalien auf den Lebensmitteln und eventuellen gesundheitlichen Folgen.“

Durchbruch bei der Bekämpfung des Herbst-Heereswurms

Stattdessen setzen die Forschenden des Icipe auf biologische Methoden. Schon vor zwei Jahren gelang ihnen ein Durchbruch bei der Bekämpfung des Herbst-Heereswurms: Sie fanden drei einheimische Schlupfwespenarten, die den Nachwuchs des gefräßigen Schädlings angreifen. In einem Feldversuch setzten sie Hunderttausende dieser Schlupfwespen in kenianischen Maisfeldern frei, die vom Herbst-Heereswurm befallen waren. Die freigelassenen Arten konnten die Schädlinge um bis zu 55 Prozent dezimieren.

Das größte Problem seien Schädlinge, die neu irgendwo auftauchen, sagt Subramanian. Infolge des Klimawandels tritt das immer häufiger auf: Klimazonen verändern sich, und plötzlich finden Insekten ökologische Nischen in Regionen, die früher für sie unbewohnbar waren. „Die Eindringlinge haben dort erst einmal überhaupt keine natürlichen Feinde“, erklärt der Wissenschaftler. „Nach ein paar Jahren pendelt sich das ein, aber bis dahin haben die neuen Schädlinge freie Fahrt.“ Die Forschenden des Icipe sehen ihre Aufgabe darin, den natürlichen Prozess zu beschleunigen, indem sie den Schädlingen ihre Feinde sozusagen hinterhertragen.

Andere Methoden seien noch einfacher, darunter die Push-Pull-Bewirtschaftung, die vom Icipe entwickelt wurde: Zwischen die Maisstauden werden Leguminosen gepflanzt, die den Herbst-Heereswurm und andere Schädlinge durch ihren Geruch abstoßen. Um das Feld herum wird Napier-Gras gesetzt, das die Insekten anzieht. Einer Studie zufolge gab es auf Feldern, die von dem Schädling befallen waren, aber mit der Push-Pull-Methode bewirtschaftet wurden, rund 80 Prozent weniger Schäden.

Von Bettina Rühl (epd)


Tabletten nehmen im Park




Ruele Okeyo
epd-bild/Birte Mensing
Die Diagnose HIV ist ein Schock. Ruele Okeyo aus Kenia hat einen produktiven Weg gefunden, mit dem Virus umzugehen - und anderen Mut zu machen.

Nairobi (epd). Ruele Okeyo ist bekannt in Kenia. Denn es gibt sonst niemanden, der in der Öffentlichkeit HIV-Medikamente nimmt und davon auch noch Videos ins Internet stellt - am Flughafen, im Restaurant, in der Kirche, im Park. Mehr als 40.000 Menschen folgen Okeyo (26) auf TikTok, manche Videos haben mehr als eine Million Aufrufe. „Ich will einen positiven Einfluss auf Leute haben.“

In den Videos lacht Okeyo in die Kamera, fröhliche Musik spielt im Hintergrund. Das Ziel: Menschen, die sich mit dem HI-Virus angesteckt haben, dazu zu ermuntern, ihre Medikamente regelmäßig zu nehmen. Außerdem möchte Okeyo zeigen, dass auch HIV-Positive ein gutes und langes Leben haben können.

Es breitet sich gute Energie aus, sobald Okeyo den Raum betritt. Auch das Outfit fällt auf: schwarze Lederjacke, weiße Sportschuhe, das bunte Hemd mit Blumen- und Papageiendruck leicht geöffnet. Um den Hals liegt eine filigrane, bunte Perlenkette, die langen Dreadlocks wurden kürzlich abrasiert. Okeyo bezeichnet sich als gender-nicht-konform, fühlt sich weder männlich noch weiblich, und benutzt die englischen Pronomen „they/them“.

Krankheit noch immer stigmatisiert

Der 26. September 2020 sei eigentlich ein Samstag wie jeder andere gewesen. Dennoch wird Okeyo ihn nie vergessen. Ein Freund hatte zu einer HIV-Testaktion eingeladen. Da der letzte Test aber erst wenige Wochen alt war, wähnte sich Okeyo in Sicherheit. Doch dann kam das Ergebnis: Positiv. Okeyo kann es nicht glauben, wiederholt den Test, das Ergebnis bestätigt sich. „Ich dachte nie, dass ich es kriegen würde.“ Aber einmal ungeschützter Sex reicht.

Zwei Tage später bringt ein guter Freund Okeyo zu „Transform“, einer Organisation, die sich vor allem um die medizinische Versorgung von Transpersonen kümmert. Im fünften Stock in einem Bürogebäude in der Innenstadt der kenianischen Hauptstadt Nairobi holt der Aktivist seitdem regelmäßig Medikamente ab. Es gibt mittlerweile rund 30 Wirkstoffe, die die Ausbreitung des Virus so eindämmen können, dass gut eingestellte Patienten kein Aids entwickeln, lange leben und nicht ansteckend sind. HIV ist, anders als in den 1980er-Jahren, kein Todesurteil mehr. Aber es ist noch immer extrem mit Stigma behaftet.

Okeyo war arbeitslos und wohnte bei Freunden, als die Diagnose kam. Was folgt, ist ein typischer Trauerprozess: erst Verdrängung, dann Wut, Trauer und eine Aushandlungsphase, zuletzt die Akzeptanz, dass es nicht mehr zu ändern ist - wohl aber der Umgang damit. Zu den Eltern hatte Okeyo keinen Kontakt, seit er sich vor Jahren als schwul geoutet hatte, womit sie nicht umgehen konnten. Aber sie finden wieder zueinander, als Mutter und Vater von der Infektion erfahren. „Sobald ich mich selbst akzeptiert habe, fand ich auch bei anderen mehr Unterstützung.“

Aufklärungs-Podcast und Videos

Sich öffentlich zu äußern beginnt Okeyo, als Ende 2020 die HIV-Medikamente in Kenia knapp werden. Eine Organisation bemerkt die Posts und lädt Okeyo zu einer Konferenz ein. Danach beginnt Okeyo seinen Aufklärungs-Podcast „Ruele-ations“, später kommen die Videos dazu. Es gibt viele Reaktionen darauf, oft bestärkende, manchmal hasserfüllte, und auch Fragen. In seinen Antworten tut Okeyo das, was eigentlich Gesundheitseinrichtungen machen sollten: zu Medikamenten aufklären und über Angebote wie Selbsthilfegruppen informieren.

„Ich hoffe, dass es irgendwann keine neuen Ansteckungen mehr gibt“, sagt der Aktivist. Weltweit leben rund 39 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, in Kenia sind es 1,4 Millionen. „Wir müssen alle Verantwortung für unsere Gesundheit übernehmen“, sagt Okeyo in seiner ruhigen Art. Dafür brauche es mehr gesellschaftliche Räume, in denen über Sex und sexuelle Gesundheit gesprochen wird. Seit eineinhalb Jahren leitet Okeyo ein Schutzhaus für junge queere Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung obdachlos geworden sind.

Einer der Fixpunkte in Okeyos persönlichem Leben ist das Büro von „Transform“. Dort sind Pausen möglich vom hektischen Alltag, ein nettes Gespräch, ein Kaffee. Auch heute schaut Okeyo auf einen Kaffee vorbei. Als ein Freund loszieht, ruft Okeyo hinterher: „Nimm ein Taxi, bitte!“ Wer nicht der Geschlechternorm entsprechend aussieht, lebt in Kenia immer in Gefahr, angegriffen zu werden. Auch ein Stigma, das es noch zu überwinden gilt.

Von Birte Mensing (epd)


Religionsfreiheit: Rechte indigener Völker werden massiv verletzt




Heiner Bielefeldt (FAU Erlangen-Nürnberg); Nazila Ghanea, UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Weltanschauungsfreiheit; Frank Schwabe, Beauftragter der Bundesregierung
epd-bild/Christian Ditsch
Angehörige von Urvölkern werden in der Diskussion über Religionsfreiheit oftmals übergangen. Dabei werden ihre Rechte massiv verletzt. Der Beauftragte der Bundesregierung für dieses Thema nimmt sie nun besonders in den Blick.

Berlin (epd). Das Recht indigener Völker auf Religionsfreiheit wird nach wie vor massiv verletzt. Das geht aus dem dritten Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zwischen 2020 und 2022 hervor, der am 22. Novemer in Berlin vom Kabinett beraten wurde. Der Beauftragte für dieses Thema, Frank Schwabe (SPD), will sich daher stärker für die Spiritualität und Glaubensformen der Indigenen einsetzen. Man stehe bei dieser Frage „wirklich ganz am Anfang“, betonte er. Die enge Verbindung indigener Völker zu dem angestammten Lebensraum, der auch mit den Ahnen verwoben sei, müsse viel stärker als Teil der Weltanschauungsfreiheit verstanden werden - auch in der Außen- und Entwicklungspolitik.

Weltweit gibt es nach Angaben der Vereinten Nationen schätzungsweise gut 476 Millionen Indigene, die zu mehr als 5.000 eingeborenen und in Stämmen lebenden Gemeinschaften gehören und in mehr als 90 Ländern leben. Sie stellen demnach 6,2 Prozent der Weltbevölkerung. Die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- oder Glaubensfreiheit, Nazila Ghanea, sagte, dass indigene Völker in vielen Ländern unverhältnismäßig stark von Gewalt betroffen seien.

Von deutschstämmigen Mennoniten als Heiden behandelt

In dem Bericht wird auch die Missionstätigkeit unter Urvölkern in den Fokus genommen und betont: „Mission hat im Laufe der Geschichte und bis in die Gegenwart die Rechte indigener Völker massiv verletzt.“ Der Nürnberger Menschenrechtsprofessor Heiner Bielefeldt erläuterte, dass Missionstätigkeit zwar klar Teil der Religionsfreiheit sei, doch nicht ohne Wenn und Aber. Machtasymmetrien krasser Art dürften nicht ausgenutzt werden.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg nannte als Beispiel einen Fall in Paraguay: In dem südamerikanischen Land seien indigene Völker auch von deutschstämmigen Mennoniten zum Teil als Heiden behandelt worden. Bildungsinstitutionen würden dann genutzt, um die Kinder von der Herkunftsreligion ihrer Familien zu entfremden.

Inzwischen sei die Aufmerksamkeit für das Thema enorm gewachsen, fügte er hinzu. Das habe damit zu tun, dass die Ökologie-Krisen in ihrer Dramatik stärker ins Bewusstsein rückten. „Und Ökologie-Krise heißt: Lebensräume indigener Völker verschwinden.“

In dem Bericht heißt es, dass der Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt nur gelingen könne, „wenn indigene Gruppen eine Schlüsselrolle beim Naturschutz erhalten“. Gebiete, die durch sie verwaltet und bewirtschaftet würden, seien „nachweislich in einem besseren Zustand bezüglich biologischer Vielfalt als andere Schutzgebiete“.

Gidion: „Starkes Signal“

Von kirchlicher Seite wurde der Bericht begrüßt. Die Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin, Anne Gidion, bewertete es als „starkes Signal“, dass die Bundesregierung schon einen dritten Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt habe. Das katholische Hilfswerk missio Aachen hob derweil die oft mehrfache Diskriminierung ethnischer Minderheiten hervor, die zugleich Christen seien. Als Beispiele nannte er die Adivasi in Indien und die Karen in Myanmar.

Der religionspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Rachel (CDU), ermahnte die Regierung, auch weiterhin die Lage der Christen im Blick zu behalten. Denn sie seien „als Angehörige der zahlenmäßig größten Glaubensgemeinschaft weltweit von der Verletzung der Religionsfreiheit besonders betroffen“.



"Keine Wunschliste für den Weihnachtsmann"



Zwei der größten Friedensmissionen in der Geschichte der Vereinten Nationen stehen vor dem Aus: in der Demokratischen Republik Kongo und in Mali. Die Blauhelme gehen, aber die Aufgabe bleibt.

Kampala/Goma (epd). Kaum drei Monate ist es her, dass in der Demokratischen Republik Kongo Dutzende Menschen bei der gewaltsamen Auflösung einer Anti-UN-Demo ums Leben kamen. Es war ein trauriger Höhepunkt der Proteste, in denen sich die seit Jahren angestaute Frustration über die Vereinten Nationen und deren Mission Bahn brach. Und die Region ist kein Einzelfall. „Wir sind an einem echten Wendepunkt angelangt, was die UN-Friedenseinsätze angeht“, sagt Richard Moncrieff von der Denkfabrik „International Crisis Group“.

Zwei der größten Friedensmissionen in der Geschichte der Vereinten Nationen, in der Demokratischen Republik Kongo und in Mali, stehen vor einem Abschluss. In der Demokratischen Republik Kongo wurde das Ende der Monusco-Mission mit ihren rund 14.000 Blauhelmsoldaten in dieser Woche formal besiegelt. Das Aus kommt nicht, weil die Truppen nicht mehr nötig sind. Sie seien nicht mehr willkommen, sagt Moncrieff.

Enttäuschung über Blauhelme

Erst im September hatte der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi vor der UN-Vollversammlung einen Abzug bis Ende dieses Jahres gefordert. Er kritisierte, dass die Mission es trotz ihrer rund zwei Jahrzehnte währenden Präsenz nicht geschafft habe, das Land zu befrieden. Seit 1999 sind die Blauhelme im Kongo - über die Jahre mit verschiedenen Zielsetzungen, seit 2010 unter dem Banner einer Stabilisierungsmission zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Friedenskonsolidierung. Damit sollte die Regierung dabei unterstützt werden, ihre Autorität im Land durchzusetzen und Sicherheit herzustellen. Auch in Mali lautete das erklärte Ziel der Mission, die seit 2013 besteht, für Stabilität und den Schutz der Bevölkerung zu sorgen.

Doch sowohl im Kongo als auch in Mali herrsche Enttäuschung darüber, dass die UN-Friedenstruppen es nicht geschafft hätten, effektiv gegen bewaffnete Gruppen vorzugehen, sagt Denis Tull von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) in Berlin. Zum einen seien die Konflikte komplexer geworden, zum anderen seien auch die Ansprüche an Peacekeeping-Missionen nach oben gegangen, genauso wie der Anteil an Bürokratie. Dadurch sei eine Diskrepanz entstanden zwischen Erwartungen und dem, was realistisch erreicht werden könne, erklärt der Analyst.

Rolle regionaler Streitkräfte

Der Bedarf an Friedensmissionen aber bleibe, sagt Crisis-Group-Experte Moncrieff. Nur in welchem Mantel diese ausgeführt werden könnten, müsse sich noch zeigen. „Wir werden komplexe und sehr unterschiedliche Versuche erleben, regionale Kräfte zusammenzustellen“, schätzt Moncrieff. „Der Vorteil an diesen regionalen Streitkräften ist, dass sie eine Art regionalen politischen Konsens repräsentieren.“

Allerdings sei dieser Konsens oft auch äußerst brüchig, räumt Moncrieff ein - vor allem, wenn bewaffnete Gruppen in den betreffenden Regionen politische Verbindungen hätten. „Aber diese regionalen Streitkräfte sind Teil des Puzzles, wenn wir darüber nachdenken, wie regionale Friedenssicherung aussehen könnte“, erklärt er.

„Realitätsnäher und bescheidener“

Wie es weitergehe, sei schwer vorherzusehen. Jedoch sei eine Zunahme an Instabilität zu befürchten. „Vor Ort werden bewaffnete Gruppen den UN-Rückzug nutzen, um ihre Aktivitäten auszuweiten“, lautet die Einschätzung Moncrieffs. Gleichzeitig würden die UN aber versuchen, bei Friedensprozessen einen Sitz am Tisch zu behalten.

Auf UN-Ebene werde das wahrgenommene Scheitern von Missionen wie in Mali oder im Kongo dabei vermutlich dazu führen, dass die Mandate realitätsnaher und bescheidener werden müssten, sagt SWP-Experte Tull. Und dass sie „eben nicht eine Wunschliste für den Weihnachtsmann“ seien. „Das kann man gut oder schlecht finden“, sagt Tull, „aber ich glaube, für die Glaubwürdigkeit der UN wäre es eine gute Sache.“

Von Helena Kreiensiek (epd)


Mali: Entführter deutscher Priester wieder frei



Nairobi (epd). Der in Mali entführte deutsche Priester Hans-Joachim Lohre ist wieder frei. Der französische Auslandssender RFI berichtete am 26. November unter Berufung auf malische Regierungsquellen, dass Lohre nach einem Jahr und sechs Tagen in Gefangenschaft am Morgen befreit worden sei. Der 65-jährige Pater lebte seit mehr als 30 Jahren in Mali und unterrichtete am Institut für christlich-islamische Bildung in Bamako, das sich für interreligiösen Dialog einsetzt.

Lohre war im November 2022 von der islamistischen Terrorgruppe Dschamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin entführt worden, die Al-Kaida nahesteht. Der Grund der Entführung und die genauen Umstände der Befreiung waren zunächst unklar, weder von malischer noch von deutscher Seite gab es offizielle Statements. Laut RFI ist Lohre nach Deutschland zurückgereist.

UN-Mission zieht ab

In Mali herrscht seit Jahren Gewalt. Vor allem im Norden und im Zentrum des westafrikanischen Landes terrorisieren bewaffnete Gruppen die Bevölkerung. Entführungen wurden jüngst in der gesamten Sahel-Region verstärkt als Mittel von Islamisten zur Erpressung von Lösegeld eingesetzt. Der katholisch Geistliche Lohre war der erste, der im Herzen der Hauptstadt Bamako entführt wurde, wo die Regierung eigentlich die Kontrolle hat.

Auch die malische Armee, die nach zwei aufeinanderfolgenden Putschen das Land regiert, wird immer wieder für Menschenrechtsverbrechen verantwortlich gemacht. Die UN-Friedensmission Minusma zieht auf Wunsch der malischen Militärregierung bis Ende des Jahres ab. Große Teile der internationalen Truppen haben bereits das Land verlassen, darunter auch deutsche Bundeswehrsoldaten.



Präsidentenwechsel in Liberia



Nairobi/Monrovia (epd). Nach der Präsidentschaftswahl in Liberia hat die Wahlkommission Joseph Boakai zum offiziellen Sieger erklärt. Boakai habe mit 50,64 Prozent der Stimmen in der Stichwahl knapp den amtierenden Präsidenten George Weah geschlagen, verkündete die Vorsitzende der Wahlkommission, Davidetta Browne Lansanah, am 20. November. Weah hatte bereits am 17. November seine Niederlage erklärt, nachdem ein Großteil der Stimmen ausgezählt war.

Bereits die erste Wahlrunde im Oktober war denkbar knapp ausgefallen: Weah hatte dabei lediglich wenige Tausend Stimmen mehr als Boakai erhalten. Bereits 2017 waren Weah und Boakai bei einer Stichwahl gegeneinander angetreten. Weah entschied diese mit 63 Prozent der Stimmen für sich.

Schon in 80er Jahren Minister

Boakai wird sein Amt Anfang kommenden Jahres antreten. Der 78-Jährige blickt auf eine lange politische Karriere in Liberia zurück. Bereits in den 1980er Jahren amtierte er als Landwirtschaftsminister. Von 2006 bis 2018 war er schließlich Vizepräsident unter der Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf, die das westafrikanische Land nach dem Bürgerkrieg wieder aufbaute. Neben seinen politischen und sozialen Aktivitäten betreibt Boakai einen Handel mit landwirtschaftlichen Maschinen.

Etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts entfällt auf die Landwirtschaft, etwa zwei Drittel der Liberianerinnen und Liberianer verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Das Land erholt sich noch immer von den Krisen der vergangenen Jahrzehnte. Bei dem Bürgerkrieg von 1989 bis 2003 kamen 200.000 Menschen ums Leben, Tausende Frauen wurden vergewaltigt, Kinder kämpften als Soldaten. Von 2014 bis 2016 wurde Liberia von der Ebola-Epidemie heimgesucht, bei der 4.000 Menschen starben. Nach Angaben der Weltbank lebt etwa die Hälfte der 5,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Liberias von weniger als zwei Euro am Tag.



Amnesty: Abtreibungs-Aktivisten in vielen Ländern bedroht



Berlin (epd). Amnesty International dringt auf mehr Schutz für Menschen, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einsetzen. Frauenrechtlerinnen, Ärzte und Einrichtungen, die Abtreibungen anbieten, würden kriminalisiert, eingeschüchtert und angegriffen, erklärte die Menschenrechtsorganisation am 24. November in Berlin zur Veröffentlichung eines Berichts. „Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen für ungewollt Schwangere darf weder gesetzlich noch im Alltag behindert werden“, sagte die Amnesty-Expertin für Geschlechtergerechtigkeit, Katharina Masoud.

Amnesty führte nach eigenen Angaben rund 50 Interviews mit Aktivistinnen und Beschäftigten im Gesundheitswesen aus mehr als 30 Ländern, etwa aus Ghana, Tansania und Venezuela. Insbesondere medizinische Angestellte berichteten demnach von Ausgrenzung. Sie erhielten keine Anerkennung für ihre Arbeit und müssten fürchten, kriminalisiert, schikaniert und stigmatisiert zu werden. Dies reiche von verbalen Drohungen über körperliche Gewalt bis hin zu Gerichtsurteilen.

Amnesty zufolge ist die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen der Hauptgrund für die geschätzt 35 Millionen unsichere Schwangerschaftsabbrüche, die pro Jahr vorgenommen würden. Die Menschenrechtsorganisation fordert deshalb von den Ländern, sexuelle und reproduktive Rechte zu gewährleisten. Darunter falle auch die Sicherstellung eines rechtzeitigen, sicheren und effektiven Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen.



Vier GIZ-Mitarbeiter in Afghanistan von Taliban festgenommen



Berlin (epd). In Afghanistan sind vier Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) von den radikal-islamischen Taliban festgenommen worden. Ein Sprecher des Bundesentwicklungsministeriums bestätigte am 23. November auf epd-Anfrage in Berlin Recherchen von WDR Investigativ. Dem öffentlich-rechtlichen Sender zufolge soll der Geheimdienst die Personen festgenommen haben. Sie befinden sich demnach weiterhin in Haft.

Der WDR zitiert den Sprecher des Entwicklungsministeriums wie folgt: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine veränderte Sicherheitslage gibt, wenn es nicht schnell gelingt, die Fälle aufzuklären und die Inhaftierungen zu beenden.“ Die Lage werde sehr ernst genommen. Man arbeite über alle zur Verfügung stehenden Kanäle daran, die Kollegen freizubekommen. Um diese Bemühungen nicht zu gefährden, würden keine weiteren Details genannt.

Die GIZ schloss laut Bericht bis auf Weiteres ihre Büros in Afghanistan. Mitarbeiter seien angewiesen worden, nicht mehr ins Büro zu kommen. Einige sollen aus Angst vor Verfolgung auch untergetaucht sein, wie es hieß. Hintergrund sei eine Verhaftungswelle des afghanischen Geheimdienstes. Alle vier GIZ-Mitarbeiter seien für das Risikomanagement tätig. Gegen sie stünden offenbar Spionagevorwürfe im Raum. Die Taliban seien für eine offizielle Stellungnahme nicht erreichbar gewesen. Die GIZ setzt weltweit im Auftrag der Bundesregierung Projekte um.




Termine

1.12. Evangelische Akademie Hofgeismar

Online Klimagerechter Frieden oder verbrannte Erde? - Die Rolle des Militärs in der Klimakrise (Teil 1) Das Militär hat gravierende Auswirkungen auf den Klimawandel, nicht nur im Krieg, sondern auch in Friedenszeiten. Insgesamt sind militärische Aktivitäten für etwa fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.

4.12. Evangelische Akademie Frankfurt

Mit Livestream Global solidarisch - Perspektiven der Frankfurter Schule Vor 100 Jahren wurde das Frankfurter Institut für Sozialforschung gegründet. Mehr denn je wird es künftig darauf ankommen, auf der Grundlage einer kritischen Theorie der Gesellschaft die Möglichkeit und Notwendigkeit einer globalen Solidarität in den Blick zu nehmen.

5.12. Institut für Kirche und Gesellschaft

Online Aufbrüche und Hindernisse - Auf dem steinigen Weg eines umfassenden sozial-ökologischen Wandels Obwohl der Klimawandel bereits deutlich spürbar und die wissenschaftlichen Prognosen düster sind, führt jede Debatte über Lebensstiländerungen schnell zum kollektiven Aufschrei, fliegen wir, wenn wir es uns leisten können, in den Urlaub oder fahren mit dem Auto. Wie passt das zusammen?