Nairobi (epd). Ruele Okeyo ist bekannt in Kenia. Denn es gibt sonst niemanden, der in der Öffentlichkeit HIV-Medikamente nimmt und davon auch noch Videos ins Internet stellt - am Flughafen, im Restaurant, in der Kirche, im Park. Mehr als 40.000 Menschen folgen Okeyo (26) auf TikTok, manche Videos haben mehr als eine Million Aufrufe. „Ich will einen positiven Einfluss auf Leute haben.“
In den Videos lacht Okeyo in die Kamera, fröhliche Musik spielt im Hintergrund. Das Ziel: Menschen, die sich mit dem HI-Virus angesteckt haben, dazu zu ermuntern, ihre Medikamente regelmäßig zu nehmen. Außerdem möchte Okeyo zeigen, dass auch HIV-Positive ein gutes und langes Leben haben können.
Es breitet sich gute Energie aus, sobald Okeyo den Raum betritt. Auch das Outfit fällt auf: schwarze Lederjacke, weiße Sportschuhe, das bunte Hemd mit Blumen- und Papageiendruck leicht geöffnet. Um den Hals liegt eine filigrane, bunte Perlenkette, die langen Dreadlocks wurden kürzlich abrasiert. Okeyo bezeichnet sich als gender-nicht-konform, fühlt sich weder männlich noch weiblich, und benutzt die englischen Pronomen „they/them“.
Krankheit noch immer stigmatisiert
Der 26. September 2020 sei eigentlich ein Samstag wie jeder andere gewesen. Dennoch wird Okeyo ihn nie vergessen. Ein Freund hatte zu einer HIV-Testaktion eingeladen. Da der letzte Test aber erst wenige Wochen alt war, wähnte sich Okeyo in Sicherheit. Doch dann kam das Ergebnis: Positiv. Okeyo kann es nicht glauben, wiederholt den Test, das Ergebnis bestätigt sich. „Ich dachte nie, dass ich es kriegen würde.“ Aber einmal ungeschützter Sex reicht.
Zwei Tage später bringt ein guter Freund Okeyo zu „Transform“, einer Organisation, die sich vor allem um die medizinische Versorgung von Transpersonen kümmert. Im fünften Stock in einem Bürogebäude in der Innenstadt der kenianischen Hauptstadt Nairobi holt der Aktivist seitdem regelmäßig Medikamente ab. Es gibt mittlerweile rund 30 Wirkstoffe, die die Ausbreitung des Virus so eindämmen können, dass gut eingestellte Patienten kein Aids entwickeln, lange leben und nicht ansteckend sind. HIV ist, anders als in den 1980er-Jahren, kein Todesurteil mehr. Aber es ist noch immer extrem mit Stigma behaftet.
Okeyo war arbeitslos und wohnte bei Freunden, als die Diagnose kam. Was folgt, ist ein typischer Trauerprozess: erst Verdrängung, dann Wut, Trauer und eine Aushandlungsphase, zuletzt die Akzeptanz, dass es nicht mehr zu ändern ist - wohl aber der Umgang damit. Zu den Eltern hatte Okeyo keinen Kontakt, seit er sich vor Jahren als schwul geoutet hatte, womit sie nicht umgehen konnten. Aber sie finden wieder zueinander, als Mutter und Vater von der Infektion erfahren. „Sobald ich mich selbst akzeptiert habe, fand ich auch bei anderen mehr Unterstützung.“
Aufklärungs-Podcast und Videos
Sich öffentlich zu äußern beginnt Okeyo, als Ende 2020 die HIV-Medikamente in Kenia knapp werden. Eine Organisation bemerkt die Posts und lädt Okeyo zu einer Konferenz ein. Danach beginnt Okeyo seinen Aufklärungs-Podcast „Ruele-ations“, später kommen die Videos dazu. Es gibt viele Reaktionen darauf, oft bestärkende, manchmal hasserfüllte, und auch Fragen. In seinen Antworten tut Okeyo das, was eigentlich Gesundheitseinrichtungen machen sollten: zu Medikamenten aufklären und über Angebote wie Selbsthilfegruppen informieren.
„Ich hoffe, dass es irgendwann keine neuen Ansteckungen mehr gibt“, sagt der Aktivist. Weltweit leben rund 39 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, in Kenia sind es 1,4 Millionen. „Wir müssen alle Verantwortung für unsere Gesundheit übernehmen“, sagt Okeyo in seiner ruhigen Art. Dafür brauche es mehr gesellschaftliche Räume, in denen über Sex und sexuelle Gesundheit gesprochen wird. Seit eineinhalb Jahren leitet Okeyo ein Schutzhaus für junge queere Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung obdachlos geworden sind.
Einer der Fixpunkte in Okeyos persönlichem Leben ist das Büro von „Transform“. Dort sind Pausen möglich vom hektischen Alltag, ein nettes Gespräch, ein Kaffee. Auch heute schaut Okeyo auf einen Kaffee vorbei. Als ein Freund loszieht, ruft Okeyo hinterher: „Nimm ein Taxi, bitte!“ Wer nicht der Geschlechternorm entsprechend aussieht, lebt in Kenia immer in Gefahr, angegriffen zu werden. Auch ein Stigma, das es noch zu überwinden gilt.