Köln (epd). Der russische Angriff auf die Ukraine hat nicht nur die europäische Sicherheitsarchitektur ins Wanken gebracht. Auch vermeintliche Gewissheiten in der Kunst scheinen plötzlich auf tönernen Füßen zu stehen. „Der Begriff 'Russische Avantgarde' ist eine Erfindung des westlichen Kunstmarktes“, erklärt der Kunsthistoriker Konstantin Akinsha, Ko-Kurator der Ausstellung „Ukrainische Moderne 1900-1930 & Daria Koltsova“ am Kölner Museum Ludwig. Viele Jahre lang seien Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine fälschlicherweise in diese Kategorie gepackt worden. Doch die Wahrheit sei sehr viel komplexer.
Das sieht auch das Museum Ludwig so, das über eine umfangreiche Sammlung von Werken der „Russischen Avantgarde“ verfügt. Nun nimmt das Museum eine Neubewertung der Kunst der Moderne aus der Ukraine vor. Zu sehen sind bis zum 24. September rund 90 Gemälde und Arbeiten auf Papier. Darunter sind Bestände aus der Museumssammlung sowie zahlreiche Leihgaben aus dem Nationalen Kunstmuseum der Ukraine und dem Museum für Theater-, Musik- und Filmkunst der Ukraine, die auf diese Weise auch vor russischen Angriffen geschützt werden. Die Ausstellung war zuvor in abgewandelter Form in Madrid zu sehen und wandert anschließend weiter nach Brüssel, Wien und London.
Das Museum Ludwig beschäftigt die Idee einer Ausstellung zur ukrainischen Moderne schon seit mehr als zwei Jahren. Aber erst nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hätten die konkreten Arbeiten an der Schau begonnen, erklärt Museumsdirektor Yilmaz Dziewior. „Und sie entstand unter sehr schwierigen Bedingungen“, ergänzt Akinsha. Russische Angriffe und Stromausfälle etwa hätten die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen aus den ukrainischen Partnermuseen erschwert.
Eigenständigkeit der ukrainischen Kunstszene
Die Ausstellung streicht die Eigenständigkeit der ukrainischen Kunstszene des frühen 20. Jahrhunderts heraus. Zu sehen sind Arbeiten von bekannten Künstlern wie Kasimir Malewitsch oder El Lissitzky, deren Verbindungen zur Ukraine bislang wenig beachtet wurden. Vorgestellt werden aber auch Künstlerinnen und Künstler wie Alexandra Exter, Oleksandr Bohomazow, Wolodymyr Burljuk oder Wasyl Jermilov, die die ukrainische Kultur mitprägten, im Westen allerdings wenig bekannt sind.
Malewitsch etwa ist polnischer Abstammung, wurde aber in Kiew geboren und wuchs in der Ukraine auf. Seine ungegenständlichen Bilder sollen durch die Reduktion auf geometrische Formen der reinen Empfindung Ausdruck verleihen. Lissitzky, der im heutigen Belarus geboren wurde, kam 1918 nach Kiew. Dort beteiligte er sich an Aktionen der Kultur Lige, einer Organisation, die europäische Avantgarde und jüdische Kunsttradition verbinden wollte. Wahrscheinlich schuf Lissitzky hier seine ersten abstrakten Kompositionen. So etwa das in der Ausstellung gezeigte Gemälde, in das er einen Schnipsel aus einer jüdischen Zeitung eingearbeitet hat.
Zu sehen ist auch, wie ukrainische Künstlerinnen und Künstler Strömungen der europäischen Avantgarde aufgreifen und um Elemente ukrainischer Volkstradition erweitern. Inspiriert vom französischen Kubismus und dem italienischen Futurismus entstand die ukrainische Version des Kubo-Futurismus. Dawyd Burljuk etwa, der auch Teil der Münchner Künstlergruppe „Blauer Reiter“ war, verbindet in seinem farbenfrohen Gemälde „Karussell“ (1921) strenge geometrische Formen mit Tierdarstellungen und volkstümlichen Elementen.
Viele Künstler bei stalinistischen „Säuberungen“ ermordet
Die Ausstellung verdeutlicht auch, wie sehr die Kunst mit der wechselvollen Geschichte der Ukraine verknüpft war. Erst nach der Unabhängigkeit des Landes 1917 kann sich mit der Ukrainischen Kunstakademie eine eigene Ausbildungsstätte für die Kunst etablieren. Hier unterrichtet Mychalo Bojtschuk, um den sich eine ganze Schule von Malern bildet. Sie thematisieren das einfache bäuerliche Leben, aber auch Armut.
Die letzte in der Ukraine ausgebildete Künstlergeneration war vor allem von der neuen Sachlichkeit fasziniert. 1932 war jedoch Schluss mit künstlerischen Experimenten. Die Sowjetunion, deren Teil die Ukraine mittlerweile geworden war, verfügte den Sozialistischen Realismus als einzigen offiziellen künstlerischen Stil. Viele ukrainische Künstler, darunter auch Bojtschuk, wurden im Zuge der Stalinistischen „Säuberungen“ ermordet, viele ihrer Werke zerstört.
Einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft der Ukraine wagt das Werk der 1987 geborenen ukrainischen Künstlerin Daria Koltsova, das die Bilder der Moderne ergänzt. Ihre monumentale Glasinstallation beschäftigt sich mit dem kulturellen Erbe der Ukraine und den Möglichkeiten, es vor dem Krieg zu schützen.