Oldenburg (epd). Die Justizvollzugsanstalt Oldenburg wirft einer TV-Produktionsfirma vor, für eine umstrittene Dokumentation über den Patientenmörder Niels Högel ein nicht genehmigtes Interview mit dem Inhaftierten geführt und in der Sendung verwendet zu haben. Wiederholte TV-Interviewanfragen des Unternehmens filmpool Entertainment GmbH habe die Anstaltsleitung „nachdrücklich abgelehnt“, bestätigte das niedersächsische Justizministerium am 23. September auf Nachfrage.

Eine Sprecherin des auftraggebenden Senders RTL sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass zwischen dem Journalisten Kimmo Wiemann und Niels Högel ein langjähriger Kontakt bestehe. „Daher steht Kimmo Wiemann mit der entsprechenden Berufsbezeichnung auch seit Jahren als angemeldeter und genehmigter Telefonpartner auf der Telefonliste der JVA“. Wiemann habe in diesem Zuge ein Telefonat zwischen den beiden für die Doku-Reihe, an deren Herstellung er im Auftrag des Produzenten mitwirkte, mitgeschnitten.

„Genehmigung nicht erforderlich“

Aus Sicht des Senders habe sich Wiemann an alle rechtlichen Vorgaben gehalten, sagte die RTL-Sprecherin. „Eine Genehmigung seitens der JVA, das Telefongespräch mitzuschneiden, ist nicht erforderlich. Niels Högel hat der Verwendung des Mitschnitts in unserer Reportage ausdrücklich zugestimmt.“

Doch Interviews mit Gefangenen sind laut einem Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums „genehmigungspflichtig durch die Behördenleitung oder von ihr beauftragte Bedienstete“. Die JVA Oldenburg habe Interviews mit Högel im April und Mai dieses Jahres schriftlich abgelehnt. Eine allgemein erteilte Telefonerlaubnis sei genutzt worden, um dennoch Telefonmitschnitte für die TV-Doku anzufertigen. Die JVA sehe sich „bewusst getäuscht und hintergangen“, sagte die stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, Anna Abraham.

Der Streamingdienst TV-Now des Senders RTL hatte die Dokumentation über den Fall Högel am Montag veröffentlicht. Neben vielen weiteren Beteiligten an dem Fall kommt darin der verurteilte Mörder selbst zu Wort. Zahlreiche Opfer-Vertreter und Experten reagierten empört auf das Interview.

„Unerträgliche Selbstdarstellung“

Dass Högel mit einem Reporter telefoniert habe, sei bis Ende vergangener Woche im Justizministerium nicht bekannt gewesen sagte der Sprecher. Das Ministerium sei der Sache unverzüglich nachgegangen, „um eine - insbesondere für die Hinterbliebenen unerträgliche - Selbstdarstellung des Gefangenen in Medienproduktionen ab sofort zu unterbinden.“

Zwar dürften Gefangene auch von Journalisten besucht werden. Dies könne jedoch untersagt werden, wenn zu befürchten sei, dass die Besucher einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen haben könnten und die Behandlungsmaßnahme des Gefangenen gefährdet sei, sagte der Ministeriumssprecher. Abraham hatte betont, dass die mediale Aufmerksamkeit „den Geltungstrieb und die Selbstinszenierung des Gefangenen“ verstärke und mit der Behandlung nicht vereinbar sei.

Die RTL-Gruppe hatte am 20. September zur Kritik an der Serie erklärt, der „sensible Umgang mit dem Empfinden der Opfer“ habe bei der Erstellung der Doku immer höchste Priorität gehabt. Dass Högel sich auch in der Sendung zu seinen Taten äußere, halte man „aus Gründen der journalistischen Ausgewogenheit für geboten“.

Der ehemalige Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht wegen zusammen 85 Morden im Klinikum Oldenburg und dem Krankenhaus Delmenhorst zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. Er hatte nach Überzeugung des Gerichts seine Patienten mit Medikamenten vergiftet, die zum Herzstillstand führten, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen.