Köln (epd). Günter Grass schien vor Wut zu schäumen: „Das geschändete Bild“ überschrieb er im März 1991 einen Zeitungsartikel, in dem er sich über den Missbrauch von Pablo Picassos Gemälde „Guernica“ empört. Was war geschehen? Ausgerechnet die Bundeswehr hatte das berühmte Bild für eine Werbekampagne mit dem Titel „Feindbilder sind die Väter des Krieges“ verwendet. „Unterschlagen wird der Anlass für die Entstehung des Bildes“, erzürnt sich der Schriftsteller Grass und weist darauf hin, dass das Bild sich auf die Zerstörung der spanischen Stadt Gernika 1937 durch deutsche Kampfflugzeuge bezieht.

„Guernica“ ist eines der Beispiele, an denen der unpolitische Blick des Westens auf die Künstler-Ikone Pablo Picasso (1881-1973) deutlich wird - und wie im Fall der Bundeswehr zu geradezu peinlichen Fehldeutungen führt. Unter dem Titel „Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR“ widmet sich das Museum Ludwig nun erstmals der Frage nach der Vereinnahmung und der politischen Instrumentalisierung eines der weltweit berühmtesten Künstler.

„In beiden Teilen Deutschlands missverstanden“

Die Ausstellung, die bis zum 20. Januar 2022 zu sehen ist, führe vor Augen, dass es in der Kunst keine objektive Rezeption gebe, sagt Museumsdirektor Yilmaz Dziewior. „Die Wahrnehmung hängt stark davon ab, aus welchem Kontext wir kommen und aus welcher Zeit.“ Die Schau präsentiert Picasso als Künstler, der in beiden Teilen Deutschlands missverstanden und zur Untermauerung der jeweiligen Weltsicht instrumentalisiert wurde. Während der Westen sein Werk entpolitisiert habe, sei der Künstler im Osten zum Friedenskämpfer popularisiert worden, erklärt Kuratorin Julia Friedrich.

Dokumentiert wird die Rezeptionsgeschichte Picassos anhand von rund 150 Exponaten, darunter 40 Original-Werke sowie Ausstellungsansichten, Plakate, Fotografien, Kataloge, Presseberichte, Briefe, Akten, Filme und Fernsehberichte. „Mit der westlichen Ordnung hat sich die westliche Rezeption durchgesetzt“, sagt Friedrich. So sei wenig präsent, dass Picasso 1944 in die Kommunistische Partei Frankreichs eingetreten und Zeit seines Lebens Kommunist geblieben sei.

DDR-Führung fremdelte mit Picasso

Die Ausstellung zeigt, dass Picasso sich bewusst politisch engagierte. Er unterschrieb Aufrufe der Partei, nahm an Treffen der Friedensbewegung im Ausland teil und gestaltete Plakate, zum Beispiel 1962 für den Weltkongress für allgemeine Abrüstung und Frieden in Moskau. Vor allem seine unzähligen gezeichneten Tauben, das kommunistische Friedenssymbol, waren im Osten beliebt.

Obwohl Picassos politisches Engagement bei der DDR-Führung Anerkennung fand, fremdelte man dort in der Nachkriegszeit mit seiner Kunst. Moderne Kunst passte nicht so recht ins Weltbild des kommunistischen Staates. Picasso wurde „Formalismus“ vorgeworfen, also dass er die Form über die Wirklichkeit stelle. Ein Film des Schriftstellers Stephan Hermlin zum 60. Geburtstag des Künstlers durfte nicht gezeigt werden, weil er eine andere Sichtweise von Picassos Werk vertrat. Die DDR-Führung ließ aus ähnlichem Grund auch ein Buch von Lothar-Günther Buchheim über Picasso beschlagnahmen.

Zensur im Westen

Die Ausstellung fördert jedoch zutage, dass Picassos Kunst auch im Westen zensiert wurde. 1952 verhinderte der West-Berliner Bildungssenator Joachim Tiburtius eine Ausstellung von Grafiken Picassos. Und 1955 empfahl das Auswärtige Amt kurz vor Eröffnung einer Picasso-Retrospektive in München Bilder mit „politischem Charakter“ wegzulassen, vor allem die „Friedenstaube“. Bilder wie „Massaker in Korea“, das auch im Museum Ludwig zu sehen ist, wurden dennoch gezeigt. Doch die politischen Arbeiten der Ausstellung wurden vom Publikum gar nicht diskutiert. Erst in den 70er Jahren begann zaghaft die Wahrnehmung des politischen Picasso, etwa mit der Diskussion um „Guernica“. Eine Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, die sich mit den Hintergründen des Bildes beschäftigte, tourte durch Schulen.

In der BRD kauften Sammler und Museen in den Nachkriegsjahrzehnten Picasso-Werke an - zur Empörung vieler Bürger. In der DDR konnte man sich die Bilder kaum leisten. Es war ausgerechnet das westdeutsche Unternehmer- und Sammler-Ehepaar Ludwig, das Picasso in die DDR brachte. Der Schokoladenfabrikant Peter Ludwig, der in der DDR ein Kakaogetränkepulver produzieren ließ, stellte der Nationalgalerie der DDR Teile seiner Kunstsammlung zur Verfügung, darunter auch Picasso-Werke. Dem Sammlerpaar ist auch zu verdanken, dass das Kölner Museum Ludwig heute über die weltweit drittgrößte Picasso-Sammlung verfügt.