Rom (epd). Seine starken Hell-Dunkel-Kontraste treffen ins Mark: Der italienische Barockmaler Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) ist für die emotionale Wirkung seiner Bilder berühmt. Die Dramatik und der Realismus seiner Darstellungen haben auch den Mythos von einem verruchten Künstler genährt, der in Rom zum Star der Kunstwelt aufsteigt, zum Mörder wird und nach einem Leben voller Gewalt und homosexueller Provokation auf der Flucht elend in der Toskana zugrunde geht.

Die Kunsthistorikerin Sybille Ebert-Schifferer ist noch heute, 450 Jahre nach Caravaggios Geburt am 29. September 1571, fasziniert von der Intelligenz und der Komplexität der Bildschöpfungen des Malers. Ein Beispiel: Als Caravaggio für den Palazzo Mattei in der römischen Altstadt Johannes den Täufer malt, stellt er ihn als Jungen dar, der seinen nackten Körper spielerisch dem Betrachter zuwendet und einen Widder umarmt. Eines der Vorbilder der Figur hatte der Künstler unmittelbar vor Augen: Ein Bronze-Jüngling am noch heute beliebten Schildkrötenbrunnen vor dem Palast winkelt ein Bein genauso an und hebt den Arm ebenso wie der Täufer des Malers.

Realismus statt Manierismus

Er spielte damit auch auf den Streit an, ob Malerei oder Skulptur die stärkere Kunstgattung sei, erklärt Ebert-Schifferer. Dieser Auseinandersetzung mit dem Gemälde Gesprächsfutter zu servieren, sei genial. Überdies zitiert Caravaggio mit seiner Darstellung Michelangelos nackte Jünglinge im Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle.

Caravaggios Stil war neu im Rom um das Jahr 1600. Details wie die schmutzigen Füße eines Pilgers, der in der „Loreto-Madonna“ in der römischen Kirche Sant’Agostino vor der Gottesmutter mit Kind kniet, bildeten in ihrem Realismus das Gegenteil des idealisierenden Manierismus seiner Vorgänger. Biblische Figuren wie Maria tragen bei ihm teils Züge von bekannten Prostituierten.

Ebert-Schifferer, die lange Jahre Direktorin der Bibliotheca Hertziana in Rom war und zwei Caravaggio-Biographien verfasst hat, untersuchte die Mythen rund um den Künstler auf ihren Wahrheitsgehalt - und stieß auf einen aufstiegsorientierten Netzwerker. „Auch ich ging vom Klischee aus, dass er nicht zeichnen konnte“, erzählt die Kunsthistorikerin. Derartige Mythen gingen aber auf die erste biographische Erzählung über Caravaggio zurück - und die stammt von dessen Erzfeind Giovanni Baglione.

Erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt

Baglione war einer von vielen Malern, die in Rom Caravaggios neuen - teils bluttriefenden - Realismus nachahmten. Für seine Imitation von Caravaggios „Amor als Sieger“, einem aufreizend auf Instrumenten der Gelehrsamkeit und Kunst sitzenden Jüngling, wurde Baglione allerdings verspottet.

Lange geriet Caravaggio in Vergessenheit, wurde erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. „Dass seine Modelle wie aus dem Hier und Jetzt aussehen, dass sie mit Schlaglichtern wie im Film beleuchtet sind, macht sie heute so attraktiv“, erklärt Ebert-Schifferer. Dabei sei der Eindruck, es handle sich um Menschen von der Straße, in Wahrheit das Ergebnis künstlicher Posen.

Der früh verwaiste Sohn eines Maurermeisters aus der Nähe des oberitalienischen Bergamo erlernte das Malerhandwerk bei einem Mailänder Künstler, der ihn in die dort verbreitete Hell-Dunkel-Technik einführte. Halbfigurendarstellungen, die diese nah an den Betrachter rücken, hatte dieser in Venedig kennen gelernt. Caravaggio habe beides dann für die römische Kunstwelt weiter entwickelt. „Erfunden hat er eigentlich nichts“, sagt Ebert-Schifferer.

Mythos des Rebellen

In Rom wurde er schnell zum Star. Doch 1606 wird Caravaggio in einen Streit verwickelt, bei dem er einen Mann mit dem Schwert tödlich verletzt - es handelte sich um den Sohn des Kommandanten des Gefängnisses der Engelsburg. Caravaggio flieht daraufhin nach Neapel, Malta und Sizilien. In der Hoffnung auf Begnadigung stirbt er vier Jahre später mit 38 Jahren in Porto Ercole in der Toskana.

Zum Mythos um den Künstler hat auch die Filmbiografie des britischen Regisseurs Derek Jarman beigetragen, der 1986 in verlassenen Lagerhäusern an der Themse Caravaggio als Rebellen zeigt, der alle Grenzen sprengt. Ob mit oder ohne das kolportierte Bild eines verruchten Künstlers: Caravaggios Gemälde üben auf ganz unterschiedliche Menschen bis heute eine ungebrochene Faszination aus.