Frankfurt a.M. (epd). Terror zwang zum Handeln. Nach den Anschlägen von Al Kaida wollten zwei Männer in Deutschland gegen die Sprachlosigkeit das Gespräch setzen, Verständigung statt Verdächtigung, Wissen statt Vorurteile. Das 2002 gegründete Deutsche Islamforum tagte meist halbjährlich in Frankfurt am Main bis Herbst 2019 vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Es hat Muslime untereinander und der Gesellschaft nähergebracht. Am 5. September startet ein neues Dialogformat.
Es waren der Gießener Mediziner Yasar Bilgin, Vorsitzender des Rats der Türkeistämmigen Staatsbürger in Deutschland und Gründer der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung, und der Darmstädter Theologe Jürgen Micksch, Mitgründer der Ausländerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland und Vorsitzender des Interkulturellen Rates in Deutschland, die sich im Herbst 2001 zusammentaten. „Ich habe in Deutschland erlebt, wie Islam negativ verstanden wurde“, erinnert sich Bilgin, „und es gab auch Muslime, die glaubten, dass die Muslime und sogar die islamische Lehre schuld daran sind“.
Gegenseitige Ablehnung
Die beiden luden im Juni 2002 erstmals Vertreter islamischer Verbände und Gruppen, von Kirchen und Innenministerien einschließlich des Verfassungsschutzes ein. Konflikte gab es vor allem unter den Muslimen selbst. Anfangs sogar zur Frage, wer überhaupt kommen darf. „Wenn der eine eingeladen wird, kommt der andere nicht“, seufzt Bilgin. So gab es eine gegenseitige Ablehnung von Milli Görüs und der Aleviten oder aller Verbände gegen die Ahmadiyya.
Die freundliche Beharrlichkeit der Veranstalter überwand die Vorbehalte, mit Ausnahme der Aleviten, die nach einigen Jahren dem Forum fernblieben. Doch auch außenpolitische Konflikte schlugen durch. Als im April 2018 der Leiter der Gülen-Bewegung in Deutschland als geladener Gast in Begleitung erschien, verließ der Vertreter des türkisch-islamischen Verbands Ditib die Runde. Als dann die gastgebende Moschee die Gülen-Vertreter des Raumes verwies, kehrte der Ditib-Vertreter zurück. „Ärger gab es nie über religiöse Inhalte, nur über Vereine und politische Inhalte“, stellt Bilgin fest.
Kopftuch, Schwimmunterricht, Demokratie
An Themen war kein Mangel. Zur Frage des Kopftuches befand das Forum, dass ein Verbot „die institutionelle Diskriminierung einer Religionsgemeinschaft“ bedeute. Zum Thema, ob muslimische Schülerinnen am Schwimmunterricht der Schule teilnehmen müssen, befand das Gremium, „dass der Glaubensfreiheit der Schülerin der Vorrang zukommt“. Das Forum begrüßte die Demokratie, die Trennung von Staat und Religion und die Wahrung der Menschenrechte. Doch die Diskussion über Grundrechte ging weiter.
Der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya verteidigte im April 2017 die islamische Tradition, ein Mann dürfe neben seiner standesamtlich getrauten Ehefrau weitere Frauen nach islamischem Recht heiraten. Dem widersprachen die übrigen Muslimvertreter entschieden. Der Ahmadiyya-Imam Iftekhar Ahmed erläuterte als Referent im November 2019, dass „die gegenwärtige Menschenrechtsbewegung von vielen Nichtwestlern als imperialistische Ideologie wahrgenommen“ werde. Muslime hätten im islamischen Recht selbst eine Grundlage für die Menschenrechte. Nur einer der übrigen Muslimvertreter machte eine kritische Anmerkung.
Positives Echo
Im Rückblick ist das Echo der Teilnehmer rundweg positiv, mit wenigen kritischen Anmerkungen. Das Deutsche Islamforum kreiere so etwas wie eine „zweite Chance“ für Muslime in Deutschland, sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. So habe der Verfassungsschutz die Muslimische Jugend in Deutschland, der früher eine Nähe zur Muslimbruderschaft nachgesagt wurde, aus dem Bericht herausgenommen.
Das Deutsche Islamforum sei an seine Grenzen gekommen, findet der Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland, Detlef Görrig. „Die Pionierarbeit ist zum Mainstream geworden.“ Inzwischen gebe es auch viele andere Gesprächsforen, etwa den Bundeskongress der Räte der Religionen. „Es bräuchte eine Transformation von Zielen und Aufgaben.“
Genau das hat der Moderator Jürgen Micksch mit seinen 80 Jahren vor. Am 5. September starten die monatlich geplanten „Digitalen Religionsgespräche“ - dabei sind beim ersten Mal Vertreter von neun Religionsgemeinschaften. „Jetzt geht es darum, mit allen relevanten Religionen ins Gespräch zu kommen“, sagt Micksch. „Sie müssen lernen, gegen die wichtigen Themen wie Rassismus, Antisemitismus oder Klimawandel zusammenzustehen.“ Das Deutsche Islamforum wird er zum 20-Jahr-Jubiläum im Juni nächsten Jahres noch einmal einladen.