Frankfurt a.M. (epd). „Ich predige, ich kämpfe“: Dies war das Motto des frommen und zugleich wehrhaften Waldenserpfarrers Henri Arnaud (1643-1721). Die mehr als 300 Jahre vor der Reformation Luthers entstandene Waldenserbewegung wurde über Jahrhunderte hinweg von der Inquisition blutig verfolgt, ja fast vollständig ausgerottet. Arnaud war einer der ersten Waldenser, die zur Verteidigung ihrer Glaubensfreiheit zum bewaffneten Widerstand aufriefen. Zeitgenössische Darstellungen zeigen ihn mit Talar und Beffchen eines Pfarrers und dem Harnisch eines Heerführers. Mit dem Henri-Arnaud-Gedenkjahr wird in diesem Jahr an ihn erinnert.

Der 1643 im französischen Embrun (Dauphiné) geborene Arnaud war selbst kein Waldenser, sondern Hugenotte, also französischer Protestant. Er machte sich aber die Sache der um 1174 durch den Lyoner Kaufmann Waldes ins Leben gerufenen Waldenserbewegung zu eigen. Er und seine Anhänger gerieten in Konflikt mit der Kirche, weil sie als Laien öffentlich predigten. Sie lehrten ein an der Bergpredigt ausgerichtetes Armutsideal.

Verfolgte Untergrundkirche

Nach ihrer Verurteilung als Ketzer bildeten die Waldenser eine Art Untergrundkirche in Frankreich, Italien, Österreich, Böhmen und Deutschland. Bereits Anfang des 13. Jahrhunderts begannen die Verfolgungen. Am Ende des Mittelalters gab es nur noch Waldenser in einigen schwer zugänglichen Bergtälern in den Cottischen Alpen: das Grenzgebiet zwischen Frankreich und dem Herzogtum Savoyen-Piemont, in Kalabrien und im Luberon.

Als Überlebensstrategie wählte Arnaud im 17. Jahrhundert die militärische Selbstverteidigung. Das sei schon damals umstritten gewesen, sagte der Theologe und Kirchenhistoriker Albert de Lange dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aber Arnaud habe Gewalt als Gegenwehr eingesetzt: „Mit bewaffnetem Widerstand wollte er die den Waldensern zustehenden Rechte durchsetzen.“ Im heute zu Italien gehörenden Piemont, das damals den Herzögen von Savoyen gehörte, durften sie seit 1561 als Minderheit in einem katholischen Land ihren reformierten Glauben öffentlich ausüben - allerdings immer wieder unterbrochen von Phasen der Verfolgung und dem Versuch, sie durch Zwang zu rekatholisieren.

Aufruf zum Widerstand

Nach dem Verbot des evangelischen Glaubens vom Oktober 1685 in Frankreich stellte der Herzog von Savoyen die Waldenser im Piemont vor die Wahl, katholisch zu werden oder auszuwandern. Obwohl die Mehrheit der Waldenser eher auswandern wollte, konnte Arnaud sie zum Widerstand umstimmen. „Arnaud war der einzige Pfarrer, der aktiv in den Kampf eingriff“, so sein Biograf Theo Kiefner: „Allgemein waren in jener Zeit Waffen für den Glauben kein theologisches Problem, zumal nicht für die Verteidigung des Glaubens.“

Doch der Aufstand scheiterte. Viele Waldenser wurden getötet, etwa 3.000 Überlebende wurden 1687 in die Schweiz oder nach Deutschland ausgewiesen. Doch im August 1689 unternahmen die Waldenser ihre historisch gewordene „Glorreiche Rückkehr“ in ihre Täler, unterstützt mit Waffen und Geld aus den Niederlanden und England.

In dem sich anschließenden Guerillakampf spielte Arnaud eine maßgebliche Rolle: Er hatte „eine zähe Natur, solche außergewöhnlichen Strapazen zu ertragen. Nicht umsonst bekam er den Beinamen 'der Eiserne'“, heißt es in Kiefners Biografie. Arnauds Beispiel sei heute ein Appell, dass Christen sich für die Religions- und Meinungsfreiheit von Unterdrückten und für die Toleranz von Religionen einsetzen sollen, schreibt der evangelische Pfarrer Markus Epting (Ötisheim) von der Deutschen Waldenservereinigung: „Ziel sollte sein, dass Unterdrückte nicht wie Arnaud zu Waffen greifen müssen.“

Exil in Württemberg

Obwohl der Herzog von Savoyen den Waldensern ihre Religionsfreiheit zunächst wieder zugestand, mussten auf Druck Frankreichs ab 1698 alle in Frankreich geborenen Evangelischen das Land verlassen. So ging Arnaud 1698 zusammen mit rund 2.700 französischen Waldensern erneut ins Exil, diesmal endgültig nach Deutschland.

Württemberg wurde die letzte Station in Arnauds Leben. Hier wirkte er als Pfarrer in Dürrmenz, das heute zu Mühlacker im Nordwesten Baden-Württembergs gehört. Die Waldenserfamilien lebten seit Ende des 17. Jahrhunderts in Württemberg und Südhessen in Kolonien, von Integration habe man damals noch nicht reden können, sagte de Lange: „Sie lebten ihre eigene Sprache und Religion sowie ihr Rechtssystem, faktisch so, wie sie es auch zuhause taten.“ 1823 wurden sie in die evangelische Landeskirche aufgenommen.

Die Waldenser brachten den Maulbeerbaum für die Seidenproduktion nach Württemberg. Arnaud soll der Legende zufolge auch die Kartoffel eingeführt haben. Am 8. September 1721 schloss der Pfarrer und Oberst in seinem Haus in Schönenberg für immer die Augen. Er wurde 79 Jahre alt, aus seiner ersten Ehe mit Marguerite Bastie stammten sechs Kinder, seine zweite Ehe mit Renée Rebaudy blieb kinderlos. Er wurde in seiner Kirche in Schönenberg beigesetzt, denn seine Hauptaufgabe sah er seinem Biografen Kiefner zufolge „nicht im Militär- sondern im Pfarrdienst“.