Speyer, New York (epd). „9/11“: Es ist einer jener Tage im Leben, die man nie vergisst. Dorothee Wüst saß am Morgen des 11. September 2001 beim Frühstück in New York, als islamistische Attentäter zwei entführte Passagierflugzeuge in die beiden Türme des World-Trade-Centers lenkten. Gemeinsam mit zwei Freunden wurde die heutige pfälzische Kirchenpräsidentin vor 20 Jahren Zeugin des Terrors, der die Welt veränderte: Rund 3.000 Menschen starben bei den Anschlägen auf die Twin Towers, auf das Pentagon in Washington und beim Absturz eines weiteren entführten Flugzeugs in Shanksville (Pennsylvania).
Für die heute 56-jährige Theologin war es das traurige Ende einer dreiwöchigen Rundreise an der Ostküste: Die damalige Gemeindepfarrerin in Kaiserslautern machte gemeinsam mit Pfarrer Wolfgang Schumacher, dem heutigen Beauftragten der evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz in Mainz, sowie einem weiteren Freund in New York Station. Am 10. September erkundeten die drei Pfälzer gemeinsam die Stadt. Die beiden Männer fuhren auf die Aussichtsplattform des „World Trade Centers“, um die Aussicht über die Metropole zu genießen. „Ich trank lieber einen Kaffee bei 'Starbucks' und sagte mir: Das steht morgen auch noch“, erinnert sich die Kirchenpräsidentin.
„Bilder der einstürzenden Türme im Kopf“
Am nächsten Morgen wollte das Trio, das in einem Gästehaus auf der Insel Roosevelt Island im East River wohnte, für eine Strandwoche weiterreisen in den Norden, nach Cape Cod. Der Fernseher lief an diesem sonnigen Septembertag im Frühstücksraum. Dann wurden die ersten erschreckenden Bilder auf dem Bildschirm gezeigt: Qualm über Manhattan, Sirenengeheul, was war passiert? Gemeinsam mit anderen Hausgästen stiegen Wüst, Schumacher und ihr Freund auf die Dachterrasse, blickten aus sicherer Entfernung in Richtung Süden in den Finanzbezirk der Stadt.
„Noch immer habe ich die Bilder der einstürzenden Türme im Kopf“, sagt Schumacher. Schnell begriffen die geschockten Urlauber, dass es sich bei dem Vorfall um eine Katastrophe handelte, erzählen Schumacher und Wüst. Viele der amerikanischen Mitbewohner seien aus Angst und Trauer um Familienmitglieder oder Freunde, die in den beiden Bürotürmen arbeiteten, völlig aufgelöst gewesen. Als deutsche Touristen und auch als Seelsorger sei man in dieser Situation „außen vor gewesen“ und habe sich zurückgenommen, sagt Wüst. Man habe helfen wollen - Blutspenden für die Opfer seien aber abgelehnt worden.
Solidarische Gesellschaft
Fasziniert waren die drei Deutschen, die auf der Flussinsel festsaßen, davon, wie schnell die Amerikaner reagierten und solidarisch zusammenstanden. Wehende Flaggen und das Singen der Nationalhymne hätten die ethnisch, kulturell und religiös vielfältige US-Gesellschaft in der Ausnahmesituation verbunden, erinnert sich Schumacher. Für die von den Terroranschlägen Betroffenen hätten die Kirchen in den USA und auch in Deutschland gebetet. „Die Menschen brauchen das, wenn die Welt erschüttert wird“, sagt Wüst.
Die Schuld für die religiös begründete Tat von Fanatikern dürfe aber nicht auf Gott geschoben werden, betonen Wüst und Schumacher. „Gott schenkt den Menschen die Freiheit, Gutes zu tun“, sagt die Kirchenpräsidentin, „oder auch, Flugzeuge in ein Hochhaus zu steuern.“ Der Terrorakt sei „eine Perversion von Religion“ gewesen, sagt sie. Die Attentäter hätten die Religion für ihre Machtziele missbraucht, ergänzt Schumacher. Zu Unrecht sei der Islam insgesamt in Folge der Terroranschläge in Verruf geraten.
Mit dem Auto kamen die Urlauber über Umwege aus New York und landeten nach ein paar stillen Strandtagen in Cape Cod schließlich wieder in Deutschland - zur großen Freude ihrer Familien und Freunde, die sich sorgten. Wie jedes Jahr werde sie an „9/11“ innehalten, „aber keine Betroffenheit zelebrieren“, sagt Kirchenpräsidentin Wüst.