Frankfurt a.M. (epd). Gegen die geplante Reform des Rettungsdienstes gibt es Widerstand aus den Ländern. Der niedersächsische Landkreistag hat Mitte September gemeinsam mit anderen Organisationen das Bündnis „Rettet den Rettungsdienst 2.0“ gegründet. Das ist ein etwas kurioser Name, weil es schon ein Bündnis „Rettet den Rettungsdienst“ gibt, das allerdings die Reform vehement befürwortet. Auch der Bundesrat stellt sich grundsätzlich quer. Dessen Gesundheitsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten wies, ebenfalls Mitte September, darauf hin, dass die Ausgestaltung des Rettungsdienstes den Ländern obliege.
Die Zahl der Rettungsdiensteinsätze steigt seit Jahren steil an, deren Kosten haben sich laut dem Verband der Ersatzkassen zwischen 2012 und 2020 von 1,5 auf rund 4 Milliarden Euro erhöht. Bislang reagierten die Rettungsdienstträger auf das gestiegene Einsatzaufkommen im Wesentlichen mit mehr Fahrzeugen, mehr Wachen und mehr Personal. Dieser Weg scheint nun zu Ende. Es gibt kaum noch neues Fachpersonal, und das vorhandene klagt über hohe Arbeitsbelastung.
Die vom Bundesgesundheitsministerium geplante Rettungsdienstreform sollte ursprünglich Teil der sogenannten Notfallreform sein, war in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag am 9. Oktober aber hintangestellt. Inhaltlich stoßen die Vorschläge zur Reform des Rettungsdienstes bei Experten von Fach-, Berufs- und Kassenverbänden überwiegend auf Zustimmung.
Beim niedersächsischen Landkreistag im Prinzip auch, versichert dessen Geschäftsführer Joachim Schwind dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Gegen diese Reform hat ja keiner was.“ Der Vorstoß richte sich gegen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigte Änderungsanträge. Lauterbach wolle den Rettungsdienst ganz aus der Länderkompetenz herauslösen, sagt Schwind.
Dann kritisiert er allerdings doch einige Punkte, die im Kabinettsentwurf standen. Zum Beispiel die Aufnahme des Rettungsdienstes als eigenständiger Leistungsbereich ins Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V). Das könne unabsehbare Folgen haben, warnt Schwind. So könne etwa die sogenannte Bereichsausnahme nicht mehr möglich sein. Dabei geht es darum, dass Landkreise bei der Vergabe von Rettungswachen nicht unbedingt den billigsten Anbieter nehmen müssen, sondern auch andere Aspekte berücksichtigen dürfen, etwa ob eine Hilfsorganisation neben dem Rettungsdienst noch eine ehrenamtliche Katastrophenschutzeinheit an dem Wachenstandort betreibt. Auch die Qualität des Rettungsdienstes könne dann unter Umständen keine Rolle mehr spielen, warnt Schwind.
Verbesserungen wie den flächendeckenden Einsatz von Telenotärzten oder von Gemeindenotfallsanitätern, die sich um weniger schwerwiegende Fälle kümmern und so die Rettungswagen entlasten, sind Schwinds Worten zufolge ebenfalls gut und richtig. Er wolle sie nur nicht in einem Bundesgesetz sehen. „Das sind Projekte, die vor Ort passieren müssen“, sagt er. Außerdem sehe er das lokale Ehrenamt in Gefahr, wenn der Bund eine sperrige Schablone über den Rettungsdienst legen würde.
Das Bundesgesundheitsministerium dementiert, dass es Pläne gebe, den Rettungsdienst aus der Länderzuständigkeit zu lösen. „Die Planung und Organisation des Rettungsdienstes liegen in der Zuständigkeit der Länder“, teilt eine Sprecherin des BMG dem epd auf Anfrage mit. Die Finanzierung des Rettungsdienstes erfolge aber bereits jetzt vornehmlich durch die gesetzliche Krankenversicherung, für die der Bund zuständig ist. „Hieran soll sich nach den Plänen des BMG nichts ändern“, sagt die Sprecherin.
Die bisherige Finanzierungssystematik des Rettungsdienstes im SGB V als Fahrkostenerstattung und damit als Annex zur Krankenhausbehandlung bilde jedoch heute die Realität nicht mehr ab, erklärt die Sprecherin. Der moderne Rettungsdienst könne nicht mehr auf die reine Transportleistung reduziert werden.
Der Leiter des Studiengangs Rettungswissenschaften an der Hochschule Döpfer in Potsdam und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften, Thomas Hofmann, kann kaum eines der Argumente der Länder nachvollziehen. Dem Einwand Schwinds, dass die Qualität der rettungsdienstlichen Leistungen bei Ausschreibungen keine Rolle mehr spielen könnten, entgegnet Hofmann, dass die Qualität im Rettungsdienst so gut wie nirgendwo gemessen werde. Allenfalls werde erhoben, in wie vielen Fällen die Hilfsfrist eingehalten werde. Aber zur Qualität gehöre noch mehr, beispielsweise die Quote erfolgreicher Reanimationen.
Im SGB V sieht Hofmann keine Gefahr, im Gegenteil: „Ich habe die Hoffnung, dass eine Verankerung des Rettungsdienstes als eigenständiger Leistungsbereich im SGB V Qualitätskriterien definieren kann“, erklärt er. Wenn dann diese Kriterien nicht eingehalten würden, wenn etwa bei einem Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt kein Zwölfkanal-EKG geschrieben worden sei, könnten Leistungserbringer kein Geld erhalten. Bislang gelte, dass ein Rettungsdiensteinsatz bezahlt werde, ganz egal, wie gut oder schlecht er abgelaufen sei.
Die Gefahr, dass das Ehrenamt unter die Räder gerate, sieht Hofmann nicht. Das könne man bei Ausschreibungen von Rettungswachen einfach umgehen, etwa indem man in sie aufnehme, dass Hospitanten aus dem regionalen Katastrophenschutz regelmäßig mitfahren dürfen.
So wie die Länder bislang den Rettungsdienst aufgezogen hätten, sei er dringend verbesserungsbedürftig, betont Hofmann: „Es gibt beispielsweise keine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum Notärzte in Mecklenburg-Vorpommern bezogen auf die Bevölkerungszahl doppelt so häufig ausrücken wie in Schleswig-Holstein.“ Nicht nur die Einsatzzahlen pro Kopf schwankten im Bundesgebiet drastisch, sondern auch die Kosten für einen Rettungsdiensteinsatz - zwischen 660 und 1.530 Euro.
Tatsächlich gibt es ein Gutachten, das im Auftrag der Björn Steiger Stiftung unter der Federführung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio entstanden ist und im Juli vorgestellt wurde. Demnach könnte die Art, wie die Länder den Rettungsdienst derzeit ausgestalten, verfassungswidrig sein. Denn das Grundgesetz schreibt gleiches Geld für gleiche Leistungen vor.
Wenig kann Hofmann auch der derzeitigen Praxis abgewinnen, dass die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) in jedem Landkreis festlegen dürfen, welche medizinischen Maßnahmen Notfallsanitäter durchführen dürfen und welche nicht. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den Kompetenzen rettungsdienstliche Berufe hat diesen Flickenteppich jüngst ebenfalls kritisiert. „Ich unterstelle da durchaus einigen ein berufspolitisches Interesse“, sagt Hofmann, „die ÄLRD haben eine Machtposition, die sie regelmäßig auch gegen die Notfallsanitäter ausspielen.“ Besser seien überprofessionelle fachliche Leitungen für die Rettungsdienste in den Landkreisen, in denen nicht nur Ärzte das Sagen hätten, sondern auch Notfallsanitäter, Psychologen, Sozialarbeiter und andere Berufsgruppen.
Scharfe Kritik an dem Vorstoß der niedersächsischen Landkreise übte auch die Björn Steiger Stiftung. Deren Geschäftsführer Christof Chwojka betonte, alle wesentlichen Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen sähen die Reformvorschläge als richtungsweisend und notwendig an. Den niedersächsischen Landkreisen und den Bundesländern „geht es offenbar nur um die Absicherung ihrer Pfründe und nicht um das Wohl der Patienten und Bürger“, sagte er. „Diese Besitzstandswahrer sehen in den Bemühungen der Bundesregierung einen Eingriff in ihre Regelungskompetenz, die sie allerdings in den letzten 20 Jahren ohnehin nicht genutzt haben.“
Chwojka warf dem Bündnis „Rettet den Rettungsdienst 2.0“ vor, mit falschen Behauptungen zu operieren. Weder wolle das Bundesgesundheitsministerium den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe faktisch abschaffen noch drohe Gefahr für die ehrenamtliche Struktur im Bevölkerungsschutz. „Der Rettungsdienst muss grundlegend neu gedacht werden“, sagte Chwojka. „Die bisherigen Strukturen sind veraltet und entsprechen nicht mehr den internationalen Standards.“