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Gewalt gegen Frauen und kein Ende: Jahr für Jahr legt das Bundeskriminalamt (BKA) ein Bundeslagebild zu häuslicher Gewalt vor. Jedes Jahr wird dabei ein Anstieg von Gewalt gegen Frauen im Hellfeld festgestellt. Auch das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ verzeichnet innerhalb von zehn Jahren eine Verdoppelung der Beratungsanfragen.
Diese Entwicklung zeigt: Frauen nehmen das Unrecht von Paargewalt nicht mehr hin. Sie wenden sich hilfesuchend an den Staat. Das ist zunächst eine gute Entwicklung. Doch Hilfe in Form von Frauenhäusern und Beratungsstellen ist hierzulande nur ungenügend ausgebaut. Das von der Bundesregierung geplante Gewalthilfegesetz will nun Abhilfe schaffen. Es ist längst an der Zeit.
Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention - des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - hat sich die Bundesrepublik im Jahr 2019 zu einer effektiven und umfassenden Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verpflichtet.
Hierzu gehört die Schaffung eines bedarfsgerechten Hilfesystems für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Schutz und Beratung muss für Gewaltbetroffene leicht zugänglich sein. Das bedeutet ausbuchstabiert: kostenfrei, barrierefrei, regional ausgewogen platziert und zeitnah erreichbar. Es bedeutet weiterhin: qualifiziert, solide finanziert und aufgrund der besonderen Geschlechterspezifik feministisch ausgerichtet.
Dass die Bundesrepublik die Maßgaben der Konvention noch lange nicht erfüllt, bestätigte der Prüfbericht für Deutschland, der Ende 2022 von der ExpertInnenkommission GREVIO erstellt wurde. Trotz eines fünfjährigen Bundesförderprogramms und verschiedener, durchaus vielversprechender Projekte auf Länderebene gelang es nicht, ein stabiles Hilfesystem aufzustellen, das allen gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern ohne Wenn und Aber Schutz und Unterstützung vorhält. Was sind die Gründe?
Dass Gewalt gegen Frauen ein Unrecht darstellt und Frauenorganisationen wertvolle Arbeit leisten, scheint unbestritten. Das Ausmaß der geschlechtsspezifischen Gewalt und das Fehlen von Schutz und Hilfe wird jedes Jahr am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, beklagt. Frauenhauskolleginnen und Gleichstellungsbeauftragte stellen für jede getötete Frau ein Paar rote Schuhe auf den Marktplatz, es gibt Lesungen und es werden Vorträge gehalten, überall herrscht Betroffenheit.
Und doch wird der Ausbau nicht beherzt in Angriff genommen. Die Ursache liegt nicht in einer Verkennung der Problematik oder einer Geringschätzung der Arbeit von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen. Nein, der Grund hierfür liegt darin, dass im Spektrum der Freiwilligkeitsleistungen fundierte Bedarfsanalysen und verbindliche Vorgaben fehlen.
Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt sind aktuell rechtlich sogenannte Freiwilligkeitsleistungen der Länder und Kommunen. Es gibt bislang keine bundesgesetzliche Regelung, die die Länder verpflichten würde, ein bedarfsgerechtes Hilfesystem vorzuhalten. Aufgrund der föderalen Struktur hat der Bund zudem wenig Einfluss auf die Versorgungslage in den Ländern.
Jedes Bundesland setzt seine eigenen Ziele und entwickelt seine eigenen Strategien in der Bekämpfung von Gewalt an Frauen. Und jedes Bundesland verfügt über eine eigene Förderstruktur der Schutz- und Beratungseinrichtungen. Die Beteiligung der Kommunen an der Bereitstellung und Finanzierung des Hilfesystems ist dabei unterschiedlich ausgestaltet. Die Förderungen der Länder und Kommunen stehen unter dem Vorbehalt des Haushaltsrechts, das heißt, dass Schwankungen möglich sind, und die Mittel in schlechteren Haushaltsjahren - wie wir sie aktuell haben - auch gekürzt werden können. Doch die Ausstattung des Hilfesystems steht und fällt somit mit der Haushaltslage und dem politisch-sozialen Engagement der Länder und Kommunen.
So verzeichnen wir in der Bundesrepublik ein sehr heterogenes und unzureichendes Unterstützungssystem für gewaltbetroffene Frauen. Schutz und Hilfe sind nicht überall gewährleistet, wenn auch sowohl in den Ländern als auch auf lokaler Ebene häufig viele Anstrengungen unternommen werden, die Versorgungslage zu verbessern.
Die Bundesregierung hat die Stärkung der Rechte von Betroffenen, den Ausbau des Hilfesystems und die Entwicklung eines bundeseinheitlichen Rechtsrahmens zur Finanzierung der Frauenhäuser in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Diese Ziele sollen in einem Gewalthilfegesetz verwirklicht werden.
Die Eckpunkte liegen nun vor, Bund und Länder diskutieren und ringen um deren Ausgestaltung. Das Vorhaben ist ehrgeizig, denn im Grunde war der Zeitpunkt angesichts der globalen Krisen noch nie so ungünstig wie heute.
Gleichzeitig stehen wir durch die Ziele der Bundesregierung in Sachen Gewaltschutz für Frauen an einem entscheidenden Wendepunkt: Gewaltbetroffene erhalten durch ein Gewalthilfegesetz Schutz und Beratung von Rechts wegen und nicht aufgrund von Glück und Zufall. Wir rufen Bund und Ländern zu: Haltet an eurem Ziel fest, Gewalthilfegesetz jetzt! Wir sind es den Frauen und deren Kindern schon lange schuldig.