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Flüchtlinge

Hohe Hürden für Ukrainer auf Jobsuche




Hotelangestellte aus der Ukraine in München
epd-bild/Matthias Balk
Den einen geht es nicht schnell genug, die anderen sehen bereits beachtliche Fortschritte: Bei der Bewertung des Erfolgs der Jobintegration von geflüchteten Ukrainern gehen die Meinungen weit auseinander. Geflüchtete auf Jobsuche müssen viele Hürden überwinden.

Frankfurt a. M. (epd). Viele Flüchtlinge aus der Ukraine sind gut ausgebildet und wollen arbeiten. Und die deutsche Wirtschaft sucht dringend Personal. Das sind eigentlich optimale Bedingungen, um Ukrainer in reguläre Jobs zu bringen. Doch so einfach ist es nicht. Im Gegenteil: Die Hürden auf dem reglementierten deutschen Arbeitsmarkt sind hoch. Und ohne nachgewiesene Sprachkenntnisse geht kaum etwas: „Die Wirtschaft könnte definitiv mehr tun. Eine größere Offenheit gegenüber Geflüchteten und weniger Fokus allein auf deutsche Sprachkenntnisse würden helfen“, konstatiert die Bamberger Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova.

Im Januar 2024 hatten hierzulande rund 172.000 ukrainische Staatsbürger einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Weitere rund 44.000 Personen gingen einer geringfügigen Beschäftigung nach - bei insgesamt 1,2 Millionen Flüchtlingen aus dem von Russland überfallenen Land, von denen aber nur rund die Hälfte eine Arbeit aufnehmen könnte. Denn viele drücken noch die Schulbank in Sprachkursen oder sind Eltern mit kleinen Kindern, die betreut werden müssen.

Job nach drei Vorstellungsgesprächen

Olena K. aus Charkiv im Osten der Ukraine hat in München geschafft, was noch zu selten gelingt: Sie arbeitet seit Juli 2023 als Apothekenassistentin in der Nymphenburger Apotheke. Die junge Frau kam an ihre Stelle über eine Kooperation zwischen der Apothekenkammer und dem Jobcenter München. Das Amt schickte die Bewerbungsunterlagen der in der Ukraine ausgebildeten Apothekerin an verschiedene Apotheken - mit Erfolg.

„Nach drei Vorstellungsgesprächen hat es geklappt. Ich bin dankbar für die Chance, die mir diese Kooperation bietet“, sagt Olena K. Ihr Chef Hans Michler merkt an: „Frau K. ist ein Musterbeispiel für erfolgreiche Integration, weil sie freundlich, zuverlässig und fleißig ist. Sie macht gerade den C1-Deutschkurs für die Fachsprachenprüfung bei der Bezirksregierung von Oberbayern.“ Das Jobcenter München habe die Anstellung von Anfang an sehr gut unterstützt - mit dem Programm Job-Turbo, das auf schnelle Beschäftigung setzt, ohne als Voraussetzung vertiefte Sprachkenntnisse zu verlangen.

Prinzipiell ist die Arbeitsaufnahme für ukrainische Geflüchtete mit Schutzstatus sofort möglich. Vor einer Arbeitsaufnahme seien aber einige bürokratische Hürden zu nehmen, schreibt der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Daraus folgten „Verzögerungen und Orientierungsschwierigkeiten“.

Kritik an langwieriger Berufsanerkennung

Ein Problem sieht der Fachmann in der langwierigen Anerkennung von Berufsabschlüssen. Wartezeiten bis zu anderthalb Jahren seien nicht ungewöhnlich. Daher seien Ukrainer daher vor allem im Niedriglohnsektor beschäftigt.

Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München, Wilfried Hüntelmann, meint: „Die Grundidee des Job-Turbos hat sich als goldrichtig erwiesen: Geflüchtete brauchen zunächst eine Einstiegschance, auch wenn sie die Sprache noch nicht perfekt beherrschen. Sprachkenntnisse lassen sich oft am besten im Job erwerben.“

Das sieht die Arbeiterwohlfahrt (AWO) völlig anders: Der Job-Turbo der Bundesagentur für Arbeit (BA) sei ein „Programm für Lohn-Dumping“. Auf diese Weise würden hoch qualifizierte Menschen in fachfremde oder niedrig-qualifizierte Tätigkeiten vermittelt, sagt Sprecherin Jennifer Rotter. Der Job-Turbo gebe den Unternehmen die Legitimation, Praktika zu vermitteln, „die weder auf eine qualifizierte Tätigkeit hinzielen noch entsprechend vergütet werden müssen“.

Dagegen sagte Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Der Job-Turbo setzt an genau der richtigen Stelle an, weil die Erwerbsintegration durch eine gezielte Vermittlung und passgenaue Nachqualifizierung der zugewanderten Erwerbspersonen am besten gestärkt werden kann. Dennoch ist sein Erfolg sehr beschränkt.“

Jobcenter: Ukrainer haben gute Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt

Die große Mehrheit der Jobcenter bescheinigt ukrainischen Flüchtlingen einer neuen Studie zufolge gute Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Sie hätten sehr oft arbeitsmarktrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten, weshalb acht von zehn Jobcentern die Beschäftigungsperspektiven mittelfristig positiv sähen, heißt es in der am 21. Mai veröffentlichten Untersuchung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Den Angaben nach werden die Menschen jedoch teilweise andere Tätigkeiten als vor dem Krieg in der Ukraine ausüben müssen. 28 Prozent der für die Erhebung befragten Fach- und Führungskräfte sehen gute Chancen, dass die Betroffenen eine Stelle in dem Tätigkeitsfeld finden, in dem sie bereits in der Ukraine gearbeitet haben. Die Hälfte der befragten Jobcenter stimmt dieser Aussage jedoch nur zum Teil zu. Das hat auch mit oft fehlenden Sprachkenntnissen zu tun: Der Studie zufolge setzen Betriebe laut Jobcenter oft gutes Deutsch voraus, auch bei einfachen Tätigkeiten

BA: Nach Sprachkursen schnell in Arbeit vermitteln

BA-Vorstand Daniel Terzenbach betonte bei einer Diskussionsrunde im April: „Fast 170.000 Geflüchtete aus der Ukraine sind hierzulande in Arbeit, angesichts der schlechten Konjunktur ist das eine positive Entwicklung.“ Bis Ende September würden fast 120.000 geflüchtete Menschen ihren Integrationskurs beenden. „Dann kommt es darauf an, einen schnellen Anschluss in den Arbeitsmarkt zu schaffen“, erklärte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten: „Wir wollen dann aber auch, wenn Menschen zunächst unterhalb der eigenen Qualifikation einsteigen, nicht loslassen und parallel zur Beschäftigung den Spracherwerb fördern und qualifizieren, um auch Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen.“

Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, sagte dem epd, beim Job-Turbo „stimmt die Richtung, auch weil Behörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Jobcenter enger zusammenarbeiten.“ Doch trotz großen Engagements blieben viele Herausforderungen: „Es fehlt an Kita-Plätzen, ohne die viele Ukrainerinnen nicht arbeiten können, die Anerkennung von Qualifikationen in reglementierten Berufen geht zu langsam und die Wohnraumknappheit belastet ebenfalls“, sagt Dercks.

Der Abbau von Sprachbarrieren ist für ihn weiterhin der entscheidende Faktor bei der Beschäftigung Geflüchteter. „Für viele Arbeiten ist ein solides Deutschniveau Vorbedingung.“ Wichtig sei es, die angekündigten Sprachkurse schnell auszuweiten.

70 Prozent haben einen Hochschulabschluss

Die Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova beklagte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Der deutsche Arbeitsmarkt erfordert in vielen Bereichen sehr gute Deutschkenntnisse. Ohne diese ist man oft auf niedrig qualifizierte Tätigkeiten wie Reinigungsarbeiten beschränkt, was paradox ist, weil über 70 Prozent der geflüchteten Frauen einen Hochschulabschluss haben. Diese Frauen möchten ihre Fähigkeiten einsetzen und etwas erreichen.“

Aus einer Simulationsstudie des IAB, die am 24. Mai veröffentlicht wurde, geht hervor, dass fünf Jahre nach der Ankunft der Ukrainerinnen und Ukrainer deren Erwerbstätigenquote auf 45 Prozent steigen könnte. Nach zehn Jahren sei in diesem Szenario eine Quote von 55 Prozent möglich - bei deutlichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern.

Dirk Baas


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