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Flüchtlinge

Interview

Expertin: Jobsuche von Ukrainern kann Jahre dauern




Yuliya Kosyakova
epd-bild/Wolfram Murr
Für Yuliya Kosyakova ist klar: Die Integration von Geflüchteten aus der Ukraine kommt langsam voran, doch für viele Betroffene wird es Jahre dauern, bis sie hierzulande Arbeit haben. Warum das so ist, welche besonderen Hürden ihre Landsleute auf dem Jobmarkt überwinden müssen und was sie von der Wirtschaft erwartet, erläutert die Migrationsforscherin im Interview.

Nürnberg (epd). Vor allem Frauen mit kleinen Kindern haben es laut Yuliya Kosyakova schwer, geeignete Jobs zu finden. Kosyakova leitet am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) den Bereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung. Wer ohne Deutschkenntnisse und ohne Unterlagen zur Ausbildung oder zum Studium geflohen sei, habe es besonders schwer, sagt die gebürtige Ukrainerin, die schon vor etwa 20 Jahren nach Deutschland kam. „Diese Startbedingungen sind äußerst herausfordernd, und das muss meiner Meinung nach unbedingt in jeder Bewertung ihrer Integration in den Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Wie bewerten Sie die bisherigen Erfolge bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus der Ukraine?

Yuliya Kosyakova: Das ist eine komplexe Frage, die sich nicht ohne weiteres beantworten lässt. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir über geflüchtete Menschen sprechen, die unvermittelt alles verloren haben und oft unter enormem Druck stehen. Viele sind Frauen mit Kindern, die unvorbereitet fliehen mussten. Diese Menschen haben sich nicht für eine Arbeitsmigration entschieden, sondern wurden durch Umstände dazu gezwungen.

epd: Was folgt daraus?

Kosyakova: Sie kommen häufig ohne grundlegende Voraussetzungen hier an, wie Sprachkenntnisse oder genaue Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt. Hinzu kommt, dass viele ihre akademischen oder beruflichen Qualifikationsnachweise nicht mitbringen konnten. Diese Startbedingungen sind äußerst herausfordernd, und das muss meiner Meinung nach unbedingt in jeder Bewertung ihrer Integration in den Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.

epd: Aber es geht doch langsam voran?

Kosyakova: Ja, es gibt es Fortschritte. Im Frühjahr 2023 waren 19 Prozent der Geflüchteten erwerbstätig, im Sommer stieg dieser Anteil um weitere vier Prozentpunkte. Vorläufige Ergebnisse deuten auf eine fortlaufende Verbesserung der Erwerbsquoten hin, insbesondere bei denen, die unmittelbar nach Kriegsausbruch nach Deutschland kamen. Wir sehen auch Fortschritte beim Spracherwerb, der sozialen Integration und dem Wohlbefinden. Zudem hat sich die Bleibeabsicht erhöht; etwa die Hälfte kann sich vorstellen, langfristig in Deutschland zu bleiben.

epd: Sind die Umstände deutlich schwieriger als zu der Zeit, als Sie selbst vor zwei Jahrzehnten nach Deutschland kamen?

Kosyakova: Ja, definitiv. Als ich vor 22 Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland kam, stand ich vor ähnlichen Herausforderungen, aber die Umstände waren dennoch anders. Im Alter von 20 Jahren hatte ich keine Deutschkenntnisse und musste mich durch den Behördendschungel kämpfen. Nach meinem Zuzug dauerte es fast ein halbes Jahr, bis ich meinen Integrationskurs beginnen konnte. Anschließend besuchte ich einen Fortgeschrittenenkurs zur Vorbereitung auf die Universität, unterstützt durch die Otto-Benecke-Stiftung. Der gesamte Prozess bis zum Studienbeginn zog sich über zwei Jahre hin, und meine drei Studienjahre in der Ukraine wurden hier nicht anerkannt - mir wurde lediglich die Fachhochschulreife bestätigt. Trotz dieser Herausforderungen hatte ich den Vorteil, dass ich alle notwendigen amtlichen Dokumente dabei hatte, im Gegensatz zu vielen heutigen Geflüchteten wie etwa meiner Schwester, die mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert ist. Sie hat bisher nur einen Minijob in einer Reinigungsfirma finden können.

epd: Woran scheitert es, einen für sie passenden Job zu finden?

Kosyakova: Meine Schwester kam rund eine Woche nach Kriegsbeginn hierher. Ich hatte ihr dringend geraten zu fliehen, alles zu packen, was sie finden konnte, insbesondere alle wichtigen Dokumente, und zusammen mit ihrem Sohn so schnell wie möglich zu kommen. Trotzdem fehlen wichtige Unterlagen. In der Ukraine gibt es beispielsweise ein individuelles Arbeitsbuch, in das jeder Arbeitgeber Einträge über den Arbeitsbeginn, die erlangten Abschlüsse und die genaue Tätigkeit der Person vornimmt und diese abstempelt. Dieses Buch hatte meine Schwester nicht mitnehmen können, weil es noch bei ihrem Arbeitgeber war. Deshalb kann sie nun ihre bisherigen Berufserfahrungen hier nicht nachweisen.

epd: Die überwiegende Zahl der Geflüchteten sind Frauen, oft mit kleinen Kindern. Auch die müssen die Sprachkurse absolvieren, wenn sie arbeiten wollen. Doch Kitaplätze sind ja oft nur schwer zu bekommen.

Kosyakova: Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Zwar gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz ab drei Jahren, doch die Realität zeigt, dass es oft schwierig ist, Betreuungsplätze für die Kinder der betroffenen Frauen zu finden. Unser System muss in vielerlei Hinsicht verbessert werden. Es fehlen nicht nur ausreichend Plätze, sondern auch Personal und geeignete Räumlichkeiten. Ein weiteres Problem ist die Betreuung von Grundschulkindern am Nachmittag, weil auch die Horte häufig voll sind. Das zwingt viele Frauen dazu, sich auf Halbtagsjobs zu beschränken, was zusätzlichen Stress bedeutet. Das trifft besonders für Ukrainerinnen zu, die hier quasi alleinerziehend und auf sich allein gestellt sind. Sie benötigen umfassende Unterstützung.

epd: Viele Frauen haben Angehörige und auch Ehemänner zurückgelassen oder gar im Krieg verloren. Das hinterlässt Spuren. Ist es vor diesem Hintergrund nicht abwegig, über Erwerbsarbeit nachzudenken?

Kosyakova: Da hat sich viel gewandelt, der Krieg dauert ja leider schon über zwei Jahre. Ursprünglich hatten viele Geflüchtete vor, nur kurz zu bleiben und schnellstmöglich in ihre Heimat zurückzukehren. Doch weil der Krieg andauert, müssen sich die Menschen auf einen längeren Aufenthalt einstellen. Aus Umfragen geht hervor, dass die meisten Frauen arbeiten möchten. Die Herausforderungen dabei sind jedoch beträchtlich, insbesondere die Sprachbarrieren.

epd: In anderen EU-Staaten sind die Beschäftigungsquoten deutlich höher. Woran liegt das?

Kosyakova: Die Antwort darauf ist nicht einfach. Man könnte sagen, dass es mit dem Vergleich von Äpfeln mit Birnen zu tun hat. Wir arbeiten derzeit an einer Studie, die dieses Thema genauer beleuchtet. Viele der bisher veröffentlichten Analysen sind methodisch fragwürdig. Es stimmt, dass die Ausgangsbedingungen und Marktstrukturen stark variieren zwischen den Ländern. Auch die Definition von Erwerbstätigkeit ist nicht einheitlich, was zu unterschiedlichen Beschäftigungsquoten führt. Einige Länder weisen höhere Quoten auf, andere liegen deutlich unter denen Deutschlands. Zudem spielt die Anzahl der aufgenommenen Geflüchteten eine entscheidende Rolle. Während Deutschland über 1,2 Millionen Menschen aufgenommen hat, haben viele andere Länder nur einen Bruchteil davon aufgenommen.

epd: Dänemark wird immer als Vorbild dargestellt.

Kosyakova: Ja, aber einige Zahlen, die zu Dänemark im Umlauf sind, sind überhöht und meines Erachtens nicht korrekt. Man spricht von einer Erwerbstätigenquote bei Geflüchteten von 78 Prozent. Das liegt an der unterschiedlichen Definition dessen, was als erwerbstätig und was als erwerbsfähig gilt. Wenn man dieselben Berechnungsmethoden wie in Deutschland anwenden würde, käme man auf eine Quote von 54 Prozent. Das ist immer noch deutlich höher als bei uns aber weniger spektakulär, als oft dargestellt.

epd: Der Arbeitsmarkt ist auch ein anderer als in Deutschland ...

Kosyakova: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Der dänische Arbeitsmarkt unterscheidet sich deutlich vom deutschen. Er ist sehr flexibel gestaltet, sodass Arbeitgeber Personen schnell einstellen und ebenso schnell wieder entlassen können. Es gibt keinen ausgeprägten Kündigungsschutz und keine Mindestlöhne. Migranten werden in Dänemark nicht systematisch durch Sprachkurse unterstützt, sondern dazu ermutigt, möglichst rasch irgendeine Arbeit anzunehmen. Das führt dazu, dass fast alle beschäftigten Geflüchtete aus der Ukraine in Reinigungssektor beschäftigt sind und in prekären Jobs mit schlechter Bezahlung landen.

epd: Tun die Unternehmen hierzulande genug, um Geflüchtete zu beschäftigen? Und was ist mit den Behörden?

Kosyakova: Es ist eine gemeinsame Anstrengung erforderlich, und ja, die Wirtschaft könnte definitiv mehr tun. Es ist richtig, dass nicht alle Unternehmen wirtschaftlich stark sind, doch eine größere Offenheit gegenüber Geflüchteten und weniger Fokus allein auf deutsche Sprachkenntnisse würden helfen. Zudem wäre es vorteilhaft, mehr Praktikumsplätze zu schaffen, um Kontakte zu fördern und den Geflüchteten eine berufliche Orientierung zu ermöglichen, besonders wenn sie berufliche Veränderungen anstreben oder dazu gezwungen sind.

Die deutsche Wirtschaft legt großen Wert auf formale berufliche Abschlüsse, was für viele Ukrainer problematisch ist, insbesondere wenn die erforderlichen Dokumente fehlen. Es wäre sinnvoll, Bewertungsverfahren wie Kompetenztests zu entwickeln, die Qualifikationen und Berufserfahrungen jenseits traditioneller Zertifikate prüfen. Oft ist nicht klar, ob die Personen tatsächlich in den Bereichen gearbeitet haben, in denen sie qualifiziert sind. Angesichts des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, qualifizierte Arbeitskräfte ungenutzt zu lassen.



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