Nürnberg (epd). Dieser Satz musste ja fallen: „Die Kindergrundsicherung kommt.“ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte ihn am 10. Juni beim Kirchentagspodium „Wege aus der Armut - Stärken nutzen, Potentiale heben“ und ergänzte: „Das ist unser wichtigstes Projekt gegen Kinderarmut. Da passt kein Blatt zwischen mich und Familienministerin Paus.“ Insgesamt hatte er einen relativ leichten Stand, auch wenn er sich durchaus Kritik anhören musste, etwa wegen des Schneckentempos der Ampel-Regierung bei den angekündigten Reformen - Stichwort Kindergrundsicherung.
Der Minister verwies auf den in den vergangenen Jahren von den Bundesregierungen mit Erfolg ausgebauten Sozialstaat und nannte das Bürgergeld, höhere Mindestlöhne und den erweiterten sozialen Arbeitsmarkt. Doch alle diese Schritte bräuchten Zeit, um zu wirken. Er warb bei Kritikern um mehr Geduld, anstatt ständig und nicht selten in Talk-Shows nach mehr Geld für Bedürftige zu rufen. Auch er wünscht sich mehr Tempo bei den Reformen und bekannte: „Manchmal wache ich morgens auf und sage: 'Herr, gib mir Geduld - aber sofort!'“
„Wir brauchen künftig eine vorbeugende, aktivierende Sozialpolitik und mehr Angebote zur Armutsprävention“, so der Minister weiter. Dazu gehört es aus seiner Sicht auch, einen Bildungsaufbruch zu organisieren und die Zahl der Schüler ohne Abschluss zu reduzieren (47.000 im Jahr 2021), „statt später mit viel Geld soziale Missstände zu reparieren“. Heil bekräftigte erneut, dass die Kindergrundsicherung noch in dieser Legislatur kommen werde: „Das ist unser wichtigstes Projekt gegen Kinderarmut. Da passt kein Blatt zwischen mich und Familienministerin Paus.“
Doch all diese und weitere Reformen müssten eben auch solide finanziert werden. Dafür fehle es in der Ampelregierung wegen der schwierigen Haushaltslage durch die Folgen der Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg auf die Ukraine leider oft an der nötigen Einigkeit: „Ich bespreche meine Pläne gerade ganz freundlich mit Finanzminister Lindner“, so Heil mit einem Augenzwinkern.
Als Erfolg der Eingliederung von ehemals Arbeitslosen nannte der Minister den sozialen Arbeitsmarkt, der künftig dauerhaft finanziert werde: „50.000 Menschen haben wir wieder in Arbeit gebracht.“ Das zeige, dass es möglich ist, mit öffentlicher Beschäftigung Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit zu holen - und damit auch aus der Armut.
Heil sprach sich zur besseren Orientierung bei der Berufswahl für einen jährlichen Praxismonat für Schülerinnen und Schüler aus. Er griff am 10. Juni beim evangelischen Kirchentag die jüngste Debatte über ein soziales Pflichtjahr auf und sagte, diese Idee sei der bessere Ansatz. Eine verpflichtende Berufsorientierung an allen Schulen könne Jugendlichen helfen, verschiedene Berufe in der Praxis kennenzulernen sowie auch mehr Auszubildende zu finden: „Eltern sind oft keine guten Berufsberater“, so der Minister.
Der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, verwies darauf, dass noch immer ein hoher Prozentsatz von Bürgern bestehende Ansprüche auf soziale Hilfen nicht einlösten. Das habe nicht nur mit überbordender Bürokratie zu tun, sondern auch mit der fehlenden Durchlässigkeit der unterschiedlichen Unterstützungssysteme: „Der Sozialstaat steht sich oft selbst im Weg.“ Das zu beseitigen, sei die viel schwierigere Reformaufgabe, so Cremer, nach dessen Angaben derzeit 16 Prozen der bundesdeutschen Bevölkerung von Armut bedroht seien.
Cremer warb ebenfalls für Reformen im Schulsystem und sagte mit Blick auf die vielen Abgänger ohne Schulabschluss: „Derzeit erzeugt unser Bildungssystem ständig die Armen von morgen.“ Er sagte weiter, Armut lasse sich nur dann überwinden, wenn die Einkommensverteilung geändert werde. Doch das sei ein politisch heikles Unterfangen, denn dann müsste die Steuerpolitik für eine Umverteilung von oben nach unten sorgen. Doch die Frage sei auch: „Zu wie vielen Transferleistungen ist die Gesellschaft bereit?“
Die Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, gab Einblick in ihr persönliches Erleben von Armut als Kind einer alleinerziehenden Mutter im Hartz-IV-Bezug. Sie begrüßte die Pläne der Ampel-Regierung zur Kindergrundsicherung, mahnte aber ebenfalls mehr Tempo in der Umsetzung an.
Zugleich betonte sie, die Regelsätze im Bürgergeld müssten steigen: „Der Level muss angehoben werden. Es ist ein No-go, dass Menschen im öffentlichen Hilfebezug nicht in der Lage sind, Vereinsbeiträge zu bezahlen, an Kulturveranstaltungen teilzunehmen und sich gesund zu ernähren.“ Das sei ein Armutszeugnis für einen reichen Staat wie Deutschland.