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Kirchentag

Jobs der Zukunft: Es geht um mehr als die Vier-Tage-Woche




Expertenrunde beim Kirchentag zum Thema Zukunft der Arbeit
epd-bild/Dirk Baas
"Arbeiten im Neuen Normal", so war ein Podium beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg überschrieben. Doch wie soll, wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen? Home-Office, Vier-Tage-Woche, mehr Roboter? Expertinnen und Experten sind uneins - werben aber für eine Vielfalt der Ansätze.

Nürnberg (epd). Die Zukunft der Arbeitswelt wird nicht vom Homeoffice dominiert. Da ist sich Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, sicher. Sie legte am 8. Juni beim Podium „Arbeiten im Neuen Normal“ Zahlen vor: 70 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland könnten nicht mobil arbeiten, denn sie sind in der Produktion tätig, in der Pflege, fahren Busse und Bahnen oder schaffen bei der Müllabfuhr. Also rät Nahles, quasi als Nachteilsausgleich, zu mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung. Sonst drohe eine Spaltung des Jobmarktes in „priviligierte“ Beschäftigte im Home-Office und jene, denen diese Vorzüge versagt blieben.

Denn, so die BA-Chefin, auch das sei klar: Wenn kein Home-Office geboten werde, stiegen für die Firmen die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden. Ein Problem, das auch auf die BA zukomme: Bereits heute sei es oft nicht möglich, freie Stellen zügig zu besetzen. Richtig schwierig werde es aber, wenn die Baby-Boomer in den kommenden Jahren in Rente gingen. Auch deshalb werde bei den Arbeitsagenturen mit Hochdruck daran gearbeitet, die Prozesse zu digitalisieren, etwa Online-Anträge möglich zu machen. Nahles: „Auch wir kommen um die Automatisierung nicht herum“, sagte Nahles. Sonst würde man die Arbeit nicht mehr schaffen. Doch klar sei auch: „Die Automatisierung ist keine ethikfreie Zone.“

Zweite Ausbildung statt Weiterbildungen

Zwei weitere Aspekte brachte Nahles in die Debatte in der gut gefüllten Messehalle ein. Zum einen warb sie dafür, die BA zu befähigen, Berufswechsler besser unterstützen zu können. Schon heute sei es eher ungewöhnlich, dass Beschäftigte ein Leben lang in ihrem Lehrberuf blieben. Es müsse daher möglich sein, „eine völlig neue Tätigkeit auszuüben“ - etwa, wenn eine Fachkraft zermürbende Pflegetätigkeiten hinter sich lassen wolle. Das lasse sich jedoch nicht mit Weiterbildung im klassischen Sinn regeln, „sondern es muss eine neue, zweite Ausbildung möglich sein“. Zudem regte Nahles an, die ehrenamtliche Arbeit aufzuwerten. Sie könne sich vorstellen, dass dafür auch Rentenpunkte gesammelt werden.

Von der aktuell wieder neu in die politische Debatte gebrachten Vier-Tage-Woche bei gleichen Bezügen hält Alexander Zumkeller, Arbeitsdirektor der ABB AG und Chef von rund 10.000 Mitarbeitenden, wenig. Man solle individuelle Lösungen in den Unternehmen suchen: Es gehe nicht allein um die Vereinbarkeit von Job und Familie: „Mehr Privatleben, Vereinsaktivitäten und die Lust am Faulenzen“, all das seien Motive für neue Arbeitszeitmodelle.

Arbeitsdirektor: Arbeitszeitregelungen setzen enge Grenzen

Die Wünsche der Beschäftigten seien extrem unterschiedlich, betonte der Fachmann. Manche Mitarbeitenden träumten von einem Sabbatical, andere wollten fünf Stunden an sechs Tagen arbeiten, andere nur früh oder überwiegend nur spät, wieder andere bevorzugten lange Mittagspausen oder gar die Arbeit an Feiertagen. Wer als Firma all das ermöglichen wolle, „stößt ganz schnell an Überregulierungen im deutschen Arbeitsmarkt“, so Arbeitsrechtler Zumkeller. Und weil es allerorten an Personal mangelt, müssten Unternehmen sich mit ihren Arbeitszeitmodellen ohnehin schon weit auf die Beschäftigten zubewegen.

Die Soziologin Jutta Allmendinger widersprach nicht direkt, sagte aber, die Erwerbsarbeit für alle Beschäftigten müsse deutlich reduziert werden. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) meinte, die heutige Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern passe „nicht mehr zum Leben“. Sie plädierte für eine lebenslange Arbeitszeit von 32 Wochenstunden, die aber nicht zwingend in einer Vier-Tage-Woche zu leisten seien. Auch sie betont: Individuelle Lösungen seien das Maß aller Dinge.

„Männer müssen bei der Arbeit runter, Frauen rauf“

Allmendinger warb für den Umbau der heutigen Arbeitsstrukturen, vor allem mit dem Blick auf die überwiegend in Vollzeit arbeitenden Männer. Das bestehende Modell des alleinverdienenden Mannes als Ernährer der Familie und der Frau und Mutter, die daheim Kinder versorgt oder Eltern pflegt, habe sich überholt, betonte die Berliner Forscherin: „Männer müssen bei der Arbeit runter, Frauen hoch.“

Ziel müsse sein, dass Männer künftig mehr Care-Arbeit leisten. Dann werde auch die Erwerbarbeit der Frauen zunehmen. Damit das möglich werde, müsse „die Erwerbsarbeit viel stärker flexibilisiert werden“, forderte Allmendinger. Zudem müsse Pflegearbeit zur Unterstützung der Angehörigen endlich vergütet werden. Ganz allgemein formulierte sie: Aus der Erwerbstätigkeitsgesellschaft müsse eine Tätigkeitsgesellschaft werden - mit weit mehr ehrenamtlicher Arbeit als heute.

Doch sollte die dann nicht auch angemessen bezahlt werden? Und sollten damit auch Rentenpunkte gesammelt werden, auf vergütete freiwillige Arbeiten auch Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden? Es bleibt viel Diskussionsbedarf für ein weiteres Podium.

Dirk Baas


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