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Flüchtlinge

Vom herausfordernden Leben in einer Aufnahmeeinrichtung




Hassan (19) aus Syrien blickt aus dem Fenster seiner Unterkunft
epd-bild/Detlef Heese
Sie wohnen in Mehrbettzimmern, fern der Heimat. Sie mühen sich mit deutscher Sprache, Kultur und Bürokratie. Wenn Geflüchtete in Deutschland ankommen, ist ihr erstes Zuhause meist eine Aufnahmeeinrichtung wie in Bramsche bei Osnabrück.

Bramsche (epd). Der Geruch von kaltem Zigarettenrauch hängt in der Luft. Draußen rauscht der Regen durch das frisch-grüne Laub der Bäume. Acht junge Syrer verbringen den Nachmittag auf ihrem Zimmer in der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Bramsche-Hesepe bei Osnabrück. Sie teilen sich vier Etagenbetten, fünf Schränke ohne Türen, einen Tisch und vier Stühle. Einige liegen in ihren Betten, die Decken bis über den Kopf gezogen. Hassan (19), Abdu Ayoub (24) und Adel (31) lehnen am geöffneten Fenster. „I love Alemania“, sagt Abdu Ayoub und lächelt freundlich.

2.000 Menschen auf dem Gelände

„Wir sind eben eine Gemeinschaftsunterkunft“, sagt Einrichtungsleiter Hendrik Robbers und zieht die Schultern hoch. 1.000 Menschen leben derzeit in elf überwiegend zweistöckigen Gebäuden der ehemals niederländischen Kaserne. Damit sind die regulären Kapazitäten fast ausgeschöpft. Seit Monaten steigt die Zahl der Geflüchteten in ganz Deutschland stark an. In allen Bundesländern kommen die Aufnahmeeinrichtungen an ihre Grenzen.

In Bramsche dient das gut 17 Hektar große Gelände mit insgesamt 35 Gebäuden schon seit 1989 der Unterbringung von Aussiedlern und Zuwanderern. Seit 2014 ist es Erstaufnahmeeinrichtung und Ankunftszentrum für Asylsuchende der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen.

Im vergangenen Jahr wohnten über einen Zeitraum von einem halben Jahr allein mehr als 2.000 Menschen aus der Ukraine auf dem weitläufigen Gelände, erzählt Robbers. Büro- und Gemeinschaftsräume seien eigens dafür hergerichtet worden. Jetzt müssten diese erneut umgebaut werden, damit etwa das Begegnungszentrum wieder genutzt werden könne.

Dort hätten früher Ehrenamtliche den Bewohnern Sprachkurse und Freizeitaktivitäten angeboten. „Aber mit Corona hat es beim freiwilligen Engagement einen Einbruch gegeben, den wir noch lange nicht wieder aufgeholt haben“, sagt Robbers. Deshalb würden nur wenige Sprachkurse angeboten.

Deutsch lernen mit Youtube-Videos

Aber immerhin gebe es für alle Bewohnerinnen und Bewohner ab dem 16. Lebensjahr die Wegweiserkurse. Laut LAB NI erhalten die Teilnehmenden in 30 Stunden an fünf Werktagen erste Kenntnisse der deutschen Sprache und Informationen zum Leben in Deutschland.

Auch Hassan aus Homs und Abdu Ayoub aus der Nähe von Damaskus würden gerne Deutsch lernen. Von einem Kursangebot haben sie noch nichts gehört. Abdu Ayoub lernt in Eigenregie mithilfe von Youtube-Videos. Stolz präsentiert er seinen vollgeschriebenen Spiralblock.

Die beiden leben seit einem Monat in Bramsche. Es gehe ihnen gut, sagen sie. Nur das Essen in der Kantine schmecke ihnen nicht. In einigen Tagen werden sie nach Wolfenbüttel umziehen. Ob in eine Wohnung oder eine Sammelunterkunft, das wissen sie nicht.

Die jungen Syrer sind dankbar, in Deutschland ein Dach über dem Kopf zu haben, planen bereits für die Zukunft. Immer wieder tippen sie Texte in ihr Smartphone. Die App übersetzt: „Ich möchte lernen, mit der Gesellschaft um mich herum umzugehen, und studieren und arbeiten“, schreibt Abdu Ayoub. Hassan möchte sich ehrenamtlich in einem Pflegeheim engagieren.

Getrennt von Frau und Kindern

Auch Abdulaziz (29) blickt auf sein Smartphone. Er versucht, seine Frau anzurufen. Sie und die vier gemeinsamen Kinder lebten in Boppard am Rhein in einer Einrichtung, erzählt er. Warum sie getrennt wohnen müssen, weiß er nicht. Der Syrer lebt seit zwei Jahren in Deutschland, kam über Essen und Dortmund nach Niedersachsen. Registriert wurde er erstmals in Österreich. Damit sinken wohl seine Chancen, in Deutschland Asyl zu erhalten. Abdulaziz schreibt: „Ich möchte, dass der deutsche Staat mein Asyl annimmt und meine Familie wieder zusammenführt.“

Vor dem Nachbarhaus sitzen Anna (42) und ihre Tochter Sarah (8) auf einer überdachten Bank. Die beiden Kolumbianerinnen sind vor einem Monat in Hesepe angekommen. Sie wohnen zu sechst in einem Zimmer: vier Frauen, zwei Kinder. In dem Haus lebten noch weitere Frauen und Familien, auch mit den Vätern, berichtet Anna. Für sie sei das okay.

Annas Tochter Sarah ist in ihr Handy vertieft. Vormittags geht sie von 8 bis 10 Uhr zur Schule. Ob sie schon Deutsch gelernt habe? „Ein bisschen“, antwortet sie, ohne hochzuschauen. Robbers erläutert, Schule und Kita dauerten normalerweise länger. Aber manchmal falle Unterricht aus, wenn die Lehrer krank seien.

Anna sagt, das Leben in der Einrichtung sei gut, das Essen auch. Mit vielen Menschen in einem Zimmer sei es allerdings manchmal schwierig, schränkt sie ein. Und die Nachmittage seien oft langweilig. Sie treffe sich dann aber mit anderen Frauen und Kindern auf dem Spielplatz. Die gelernte Erzieherin würde gerne möglichst bald nach Hannover übersiedeln. Dort lebt ihr Bruder mit seiner Familie.

Müde vom Leben in Gemeinschaftsunterkünften

Die Aufenthaltsdauer der Bewohnerinnen und Bewohner in Hesepe variiert laut Leiter Robbers stark und hängt sehr von deren Aussicht auf Asyl und freiem Wohnraum in den Kommunen ab. Wer gute Chancen habe, in Deutschland zu bleiben, wohne meistens aber nicht länger als zwei Monate in Hesepe.

Das gilt in der Regel für Syrer, sofern sie nicht schon in einem anderen EU-Land registriert sind. Sie bilden derzeit die größte Gruppe der Geflüchteten. Dahinter folgen Menschen aus Afghanistan, der Türkei, dem Iran und dem Irak. Die Zahl der Geflüchteten steigt laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit Monaten stark an.

Auf dem Platz vor dem Haus tapst derweil ein kleiner Junge auf Socken durch die Pfützen. Seine Mama Hajaracu (35) hat Sohn Vinicius (1) vom Treppenabsatz am Haus gegenüber genau im Blick. Sie stammt aus Ghana, lebt seit drei Jahren in Deutschland, in verschiedenen Einrichtungen.

Der Vater von Vinicius lebt seit zehn Jahren in Bremen, erzählt sie auf Englisch. Mutter und Kind würden gerne zu ihm ziehen und verstehen nicht, warum das nicht möglich sein soll. Sie habe es satt, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, sagt Hajaracu: „I am tired of living in a camp.“

Martina Schwager


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