Mainz (epd). Ein Großteil der politischen Amtsträger in Deutschland hat nach Überzeugung des Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl, Gerhard Trabert, keinen Bezug mehr zum Lebensalltag armer Menschen. „Ich habe den Eindruck, dass vielen Politikern die Dimension des Problems in unserer Gesellschaft nicht bewusst ist“, sagte der von der Linken nominierte parteilose Mainzer Sozialmediziner in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele seien überzeugt davon, dass es in Deutschland „nur relative Armut“ gebe und sich beispielsweise nicht alle Menschen Urlaubsreisen leisten könnten. Tatsächlich sei die Situation viel gravierender.

Von Armut betroffene Männer hätten in Deutschland nur die mittlere Lebenserwartung eines Nordafrikaners, sagte Trabert: „30 Prozent erreichen nicht einmal das 65. Lebensjahr.“ Langzeitarbeitslose Männer hätten zudem eine um das Zwanzigfache erhöhte Suizidquote. Der Kampf gegen Armut müsse in Deutschland daher so wie die Klimakrise zum „Querschnittsthema“ für alle Ressorts der Regierung werden. Wenn beispielsweise über einen Anstieg der Lebensmittelpreise geredet werde, um nachhaltige Formen von Landwirtschaft zu unterstützen, müssten auch diejenigen im Blick bleiben, die schon heute nicht mehr wüssten, wie sie über die Runden kommen.

„Sie wollen arbeiten“

Der 65-jährige Hochschullehrer und Arzt, der in Mainz seit über 25 Jahren mit dem Verein „Armut und Gesundheit“ Wohnungslose und Menschen ohne Krankenversicherung medizinisch versorgt, bedauerte, dass sozial Benachteiligte von der Politik nicht ernst genommen würden. Die meisten Betroffenen hätten daher längst resigniert.

Unterstellungen, die meisten Armen seien faul, machten ihn betroffen, weil er das Gegenteil erlebe. „Sie wollen arbeiten, sie wollen fair entlohnt werden, und sie wollen eine sinnvolle Tätigkeit“, sagte der Mediziner. „Wenn sie das Gefühl haben, sie stecken in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die keinen Sinn macht, sind sie vielleicht nicht so motiviert. Das wäre ich auch nicht.“

Für den aufgrund der klaren Mehrheitsverhältnisse praktisch ausgeschlossenen Fall, dass er anstelle von Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier zum neuen Bundespräsidenten gewählt werden würde, versprach Trabert, den Kontakt zu Menschen am Rand der Gesellschaft nicht abbrechen lassen. In jedem Fall würde er auch als Staatsoberhaupt wieder auf einem Flüchtlingshilfe-Schiff im Mittelmeer mitfahren.