"Basisdemokratie", "ausdiskutieren" oder "hinterfragen": Zahlreiche Begriffe der 68er-Bewegung sind längst in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen - und einige haben dort einen erstaunliche Bedeutungswandel erfahren, wie der Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser betont. "So hat später der ADAC im Kampf gegen Tempolimits den 'mündigen Bürger' propagiert, der auf der Autobahn 230 Stundenkilometer schnell fahren darf", sagte der Professor im Ruhestand dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für die Studentenbewegung war ein mündiger Bürger ein Ideal - einer, der sich politisch einmischt, von der Vernunft geleitet ist, seine eigene Meinung hat.

Die Sprache der 68er sei nicht homogen gewesen, sondern bunt und abwechslungsreich wie die Protestbewegung selbst, und habe aus unterschiedlichen Quellen geschöpft. Die "Guerilla-Taktik" sei den lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen entlehnt, das "Hinterfragen" habe seinen Ursprung in der historisch-kritischen Bibelexegese des 19. Jahrhunderts. "Daneben machten die 68er Begriffe von Mao Zedong in Deutschland salonfähig: den 'Papiertiger' etwa oder den 'Marsch durch die Institutionen'", sagte Schlosser.

"Freier und lockerer"

Befeuert von den Medien hat die Protestbewegung nach Einschätzung des Linguisten das sprachliche Niveau der politischen Auseinandersetzung verändert. "Wir haben heute eine sprachlich freiere und lockerere Weise, mit den Dingen umzugehen", sagt Schlosser. Joschka Fischer berühmtes "Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch", 1984 an Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen von der CSU gerichtet, sei ohne die Revolte von 68 nicht denkbar gewesen. "Da wären sie früher abgeführt worden, das war ein absolutes Tabu", sagte der Wissenschaftler, der 1991 die Suche nach dem "Unwort des Jahres" initiierte.

Die 68er hätten einer allgemeinen Lockerung des Sprachgebrauchs und der kommunikativen Atmosphäre den Boden bereitet, etwa mit dem "repressionsfreien Sprechen" in den alternativen Kinderläden. Damals hätten Kinder erstmals ihre Eltern beim Vornamen genannt, statt sie "Mama" und "Papa" zu nennen.

Eine "Psychologisierung der Sprache" sei ein weiteres Erbe der 68er, meint Schlosser. "Sie haben psychologisches Fachvokabular wie 'internalisieren' oder 'rationalisieren' in die Alltagssprache getragen." Zudem sei "Soziologen-Deutsch" in die Umgangssprache eingesickert, der besonders schwer verständliche Duktus des Sozialphilosophen Theodor W. Adorno oder der des Studentenanführers Rudi Dutschke dagegen habe sich wieder verloren - "zum Glück", wie Schlosser sagt: "Das waren ja teils völlig unverständliche Sätze."

Ein großer Teil des 68er-Vokabulars sei mittlerweile Geschichte, hat der Sprachforscher beobachtet. "Die 'Sit-Ins', 'Teach-Ins' oder die 'Drittelparität' sind den Jüngeren völlig unbekannt", sagte Schlosser: "Sie sind mit der Revolte untergegangen."