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Teilhabe

Auch Häftlinge und Wohnungslose wählen den Bundestag




Obdachloser in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner
Vor jeder Wahl dasselbe: Die Wahlbenachrichtigung flattert ein, dann wird per Brief oder per Urne gewählt, der Aufwand hält sich in Grenzen. Bei Bürgern ohne festes Zuhause wie Strafgefangenen oder Wohnungslosen ist das jedoch nicht ganz so einfach.

Es gibt Menschen, die die Gesellschaft gerne vergisst. Weil die Menschen sie nicht sehen oder nicht sehen wollen oder sie am liebsten gar nicht da hätten. Was gern genauso vergessen wird, sind ihre Rechte. Einer dieser gesetzlichen Ansprüche ist das Wahlrecht. Das haben aber eben diese Menschen, die Wohnungslosen und Strafgefangenen, auch.

In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 46.054 Personen im Gefängnis oder in der Sicherheitsverwahrung. Die meisten von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den Strafgefangenen mit ausländischem Pass sind viele EU-Bürgerinnen und -Bürger, die an den Europa- und teilweise auch an Kommunalwahlen teilnehmen können.

Ein Platz auf der Wählerliste

Die Zahl der Wohnungslosen lag 2018 nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe bei 678.000 Menschen. Leicht gemacht wird ihnen das Wählen nicht, sagt Thomas Rutschmann, Referatsleiter Wohnungslosenhilfe beim AGJ-Fachverband für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg. "Wählen kann nur, wer im Wahlregister eingetragen ist", sagt er. Dieses sei an den Wohnort gekoppelt. Wohnungslose, die nicht vorübergehend in einer Einrichtung leben und dort gemeldet sind, müssten sich aktiv darum bemühen, auf die Wählerliste zu kommen. "Voraussetzung ist, dass ihr gewöhnlicher Aufenthalt in der entsprechenden Kommune liegt", sagt er.

In diesem Fall müssten die Menschen spätestens drei Wochen vor der Wahl beantragen, ins Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden, sagt Rutschmann. Hier stießen viele auf eine erste Hürde. "Für den Antrag brauchen sie einen Ausweis, um sich zu legitimieren", sagt er. Genau diesen hätten aber viele Wohnungslose verloren. Einen Ausweis zu bekommen, sei ein großer Aufwand, da oft auch Unterlagen wie die Geburtsurkunde fehlten. Dann müsse sich die Kommune bei den Behörden an dem Ort erkundigen, an dem die Betroffenen zuletzt einen Ausweis beantragt hatten.

Stimmabgabe per Brief

Bei Strafgefangenen läuft das anders. Wenn sie eine längere Haftstrafe verbüßen, stünden sie im Verzeichnis der Standortgemeinde der Strafvollzugsanstalt und bekommen so ihre Wahlunterlagen, sagt Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO). Männer und Frauen, die für eine kürzere Zeit im Gefängnis sind, seien hingegen oft in ihrem Heimatort gemeldet und müssten sich ihre Unterlagen zuschicken lassen.

"Grundsätzlich funktioniert das Prinzip der Briefwahl", sagt Matzke. Außerhalb der Haftanstalt wählen könnten nur Personen im offenen Vollzug - vorausgesetzt, das Gefängnis händigt ihnen ihren Ausweis aus. In wenigen Fällen gebe es mobile Wahllokale. "Dann werden die Urnen zum Beispiel in der Turnhalle der Justizvollzugsanstalt aufgestellt", sagt er.

Zahlen zur Wahlbeteiligung unter Strafgefangenen und Wohnungslosen gibt es für die jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die am 14. März stattfanden, nach Angaben der Wahlleiter nicht. Einrichtungsleiter Rutschmann schätzt sie für Menschen ohne festen Wohnsitz als unterdurchschnittlich ein. Viele hätten das Gefühl, dass "die Themen, die in der Politik bespielt werden, abgehoben sind", sagt er.

Informationen zu Wahlprogrammen

Eher für die Belange von Wohnungslosen setzten sich Oppositionsparteien ein, sagt Rutschmann. "Sie geben sich mehr Mühe, wenn es nicht um den Regierungserhalt geht." In der "Mainstream-Politik" fehlten oft Forderungen wie ein kostenloser Zugang zum Nahverkehr, die Wohnungslose ansprechen. Gewerkschafter Matzke beklagt den Umgang der politischen Parteien mit Strafgefangenen. "Die Politik nutzt gerade im Wahlkampf das Thema Sicherheit", sagt er.

Informationen zu den Wahlprogrammen dringen nicht immer zu den Gefangenen durch, da Parteien keine Werbung in den Anstalten machen dürften. Diese Lücke versuche die GG/BO durch Wahlprüfsteine zu füllen. Dabei werde die Gewerkschaft alleingelassen, kritisiert er: "Von den Gefängnisleitungen bekommen wir keine Hilfe."

Jana-Sophie Brüntjen


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