Bremen (epd). Der Beitrag der Frauen für die Gesellschaft wird nach Ansicht der Bremer Soziologin Sonja Bastin unterschätzt - auch deshalb, weil Frauen oft unbezahlte Arbeit leisten. "Das Bruttoinlandsprodukt lässt die komplette private und ehrenamtliche Sorgearbeit unberücksichtigt", sagte Sonja Bastin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu zählen insbesondere die Erziehung eigener Kinder, Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen. Bastin gehört der Initiative "Equal Care Day" an, die sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzt.
Durch die Corona-Pandemie ziehe Sorgearbeit mehr als sonst öffentliches Interesse auf sich, sagte sie. Pflege wurde für "systemrelevant" erklärt. "Die Krise zeigt, wie abhängig wir von Sorgearbeit sind", erklärte Bastin. Dennoch ändere sich nichts Grundlegendes an der ungleichen Verteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern. Hartnäckig hielten sich Rollenstereotype.
Derzeit nähmen Stereotypisierungen sogar massiv zu, kritisierte Bastin. Zwar werde in Kitas und Schulen versucht, solche Klischees aufzubrechen. Aber um Stereotypisierungen wirklich etwas entgegensetzen zu können, bräuchte es dort viel mehr Personal, das in gendersensibler Pädagogik geschult ist.
Gerade Westdeutschland sticht laut der Wissenschaftlerin am Bremer "Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik" mit sehr hohen Erwartungen an die Mutterrolle hervor. Dies sei insbesondere seit der Industrialisierung so: "Damals wurde sozusagen entschieden, dass Arbeit in dem einen Bereich bezahlt und von Männern verrichtet und in dem anderen Bereich nicht bezahlt und von Frauen erledigt wird." Bis heute werde Sorgearbeit als "romantisierte Privatsache" Frauen zugeschrieben - denn die könnten das ja, einfach weil sie Frau sind.
Wissenschaftlich gelte es längst als ein Trugbild, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts fähiger als Männer seien, sich um Kinder, Kranke und Alte zu kümmern. Menschen, sagte Bastin, werde beigebracht, was für eine Frau oder für einen Mann als "normal" gelte: "So sollen Männer nach wie vor leistungsorientierte Haupternährer sein." Nach Überzeugung der Soziologin würden jedoch viele Männer gern mehr Sorgearbeit leisten.
"Wir stecken weltweit in einer Care-Krise", betonte sie. Die professionelle Pflege leide "unter einem existenzbedrohlichen Fachkräftemangel". Es sei daher höchste Zeit, Sorgearbeit endlich gerecht unter den Geschlechtern zu verteilen.