sozial-Branche

Corona

Behindertenwerkstätten setzen auf Flexibilität




Alexandra Kleine an ihrem Webstuhl in der Textilwerkstatt "Julia von Bodelschwingh" in Bielefel
epd-bild/Christian Weische/ Bethel
Anders als während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 sind die Werkstätten für behinderte Menschen seit Dezember nicht geschlossen. Beschäftigte dürfen in den Einrichtungen arbeiten - wenn sie wollen. Das wird individuell geprüft.

"Übersicht in eine unübersichtliche Situation bringen", sagt Werkstätten-Leiter Daniel Möller über seine Arbeit in den vergangenen Monaten. 700 Menschen mit Behinderungen sind in den Werkstätten der Theodor Fliedner Stiftung in Mülheim an der Ruhr beschäftigt. Zwischen März und Mai letzten Jahres galt auch hier ein Betretungsverbot, danach konnten die Beschäftigten in Etappen wieder an ihre Arbeitsplätze zurück. Bis es Mitte Dezember erneut in den harten Lockdown ging, der nun ein zweites Mal bis 14. Februar verlängert wurde.

Wer will, darf zur Arbeit kommen

Doch im Gegensatz zum Frühjahr 2020 sind die Werkstätten nicht geschlossen. Wenn es die Beschäftigten wollen, dürfen sie arbeiten. Die Werkstätten müssen dabei individuell prüfen, ob eine Teilhabe am Arbeitsleben nun in der Werkstatt, im eigenen Zuhause oder im Wohnheim erfolgen soll.

Seit Mitte September mussten alle Werkstätten in Nordrhein-Westfalen ihre Leistung wieder vollständig vor Ort erbringen, alle Beschäftigten zur Arbeit erscheinen. Damit Hygiene-Auflagen und Abstandsgebote überhaupt eingehalten werden konnten, funktionierten die Fliedner Werkstätten laut Möller zum Beispiel Speisesäle oder Sporthallen zu Arbeitsräumen um. Nur eine geringe Zahl von Beschäftigten sei wegen großer Ängste weggeblieben und vorübergehend abgemeldet worden, sagt der Werkstätten-Leiter.

Als im Spätherbst die Infektionszahlen deutlich stiegen, sei man zwischen NRW-Gesundheitsministerium, Landschaftsverbänden und der Freien Wohlfahrt übereingekommen, dass es kein erneutes Betretungsverbot geben solle, erklärt Referentin Petra Welzel vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe in Düsseldorf: "Auch die Menschen mit Behinderungen haben einen Anspruch auf Teilhabe an der Arbeitswelt." Zudem seien nicht alle Beschäftigten gleich gefährdet.

20 Prozent im Homeoffice

Laut Rundschreiben der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe von Anfang Januar wird die Frage, wie die Arbeit erfolgt, für die Zeit des Lockdowns "stärker in das Ermessen der Beschäftigten und der jeweiligen Werkstätten gestellt". In manchen Werkstätten wollten viele Beschäftigte zu Hause bleiben, bei anderen "greift das nicht so sehr", erklärt Welzel.

In den Mülheimer Fliedner-Werkstätten hat seit der Weihnachtspause gut ein Drittel der Beschäftigten vor Ort gearbeitet, berichtet deren Leiter. Den anderen bringen die Fach- und Betreuungskräfte Arbeit aus dem Betrieb in die Wohnbereiche oder nach Hause, stellen analog oder online Übungsaufgaben bereit. "Wir suchen alle gezielt auf, vor allem die, die ganz allein leben", erläutert Möller.

Im Betheler "pro Werk" gilt die Devise: Wer nicht zur Arbeit kommen möchte, muss es auch nicht. Von dieser Möglichkeit machten in den Behindertenwerkstätten in Bielefeld-Bethel bis zu 20 Prozent der Beschäftigten Gebrauch, sagt "pro Werk"-Geschäftsführerin Michaela Diesen. Unter anderem durch kürzere Arbeitszeiten werde die Anwesenheit in den Arbeitsräumen noch weiter reduziert: "Manche kommen nur halbtags, andere nur drei statt fünf Tage die Woche." Vor allem Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen wollten aufgrund ihrer Ängste vor Ansteckung lieber zu Hause oder im Wohnheim mit Arbeit versorgt werden.

Ausgefeiltes Hygienekonzept

Diesen ist trotz des immensen Mehraufwands für die Absprachen mit den 2.500 Beschäftigten froh, dass die Arbeit weitergeht: "Im Frühjahr waren Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf monatelang zu Hause und hatten keine Beschäftigung." Bisher habe es dank eines ausgefeilten Hygienekonzepts nur eine geringe Zahl an Infektionen in den Werkstätten gegeben. Schnelltests setze man bisher anlassbezogen, aber nicht flächendeckend ein: "Wir haben keine Leute dafür, und diese Tests sind ja auch nicht hundertprozentig sicher."

Auf die Verantwortlichen in den Werkstätten kommt indes weitere Arbeit zu: Laut neuer Vorschriften darf eine Mindestfläche von zehn Quadratmetern für jede Person im Raum nicht unterschritten werden und Arbeitgeber müssen mindestens medizinische Gesichtsmasken (OP-Masken) an die Beschäftigten ausgeben.

Thomas Krüger