Berlin (epd). Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) hat sich mit der Gewerkschaft ver.di auf einen Tarifvertrag in der Altenpflege geeinigt. "Damit ist ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zu einem flächendeckenden Tarifvertrag erreicht", erklärten die Verhandlungspartner am 1. Februar in Berlin. Der Tarifvertrag soll am 1. August in Kraft treten. Allerdings kündigten Pflege-Arbeitgeber bereits Klage gegen den Tarifvertrag an.
Der Tarifvertrag soll von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf die gesamte Altenpflege in Deutschland mit rund 1,1 Millionen Beschäftigten erstreckt werden und dann allgemeinverbindlich gelten. Die Regelungen müssten dann auch Arbeitgeber einhalten, die nicht in der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche organisiert sind. Um den Antrag auf Erstreckung auf die gesamte Branche stellen zu können, müssen allerdings noch die Arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK) der Kirchen zustimmen. Die Kirchen und ihre Sozialverbände Caritas und Diakonie verhandeln die Löhne für die Kirchenbeschäftigten autonom in den ARK.
Die Bundesregierung betonte, dass der Tarifvertrag mit der aktuellen Einigung noch nicht in trockenen Tüchern sei. Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte, der Vertrag liege dem Ministerium noch nicht vor. Um ihn auf die ganze Branche zu erstrecken, müsse das beantragt werden. Sie verwies darauf, dass zuvor noch die Entscheidung der Kommissionen der kirchlichen Verbände abgewartet werden müsse.
Die Diakonie zeigte sich in einer ersten Reaktion für den Tarifvertrag offen. Der evangelische Sozialverband unterstütze nachdrücklich das gemeinsame Ziel, die Arbeitsbedingungen in der Pflege flächendeckend zu verbessern, hieß es in Berlin. Jörg Kruttschnitt, Vorstand Finanzen Diakonie Deutschland, sagte, die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssten flächendeckend verbessert werden. Mögliche Wege dahin seien über den Paragraf 7a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder auch über die Pflegemindestlohnkommission möglich.
"Es ist nun Sache der unabhängigen Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie zu prüfen, ob der nun erarbeitete Tarifvertrag für die Diakonie zustimmungsfähig ist", so Kruttschnitt. Ende Februar treffe sich das paritätisch aus Dienstnehmern und Dienstgebern besetzte Gremium, um darüber zu entscheiden.
Rolf Cleophas, Pressesprecher der Caritas Mitarbeiterseite, sagte, er begrüße die Einigung zwischen den Arbeitgebern der Pflegebranche und ver.di.: "Diese Mindestbedingungen werden viele in der Pflege besserstellen."
Im Einzelnen sieht der Tarifvertrag vor, die Mindeststundenentgelte für alle Pflegekräfte in der Altenpflege in vier Schritten zu erhöhen und die Schlechterstellung der Beschäftigten in Ostdeutschland zu beenden. Die Lohnerhöhungen erfolgen zum 1. August 2021, zum 1. Januar 2022, zum 1. Januar 2023 und zum 1. Juni 2023. Die Löhne der Pflegehelferinnen und Pflegehelfer werden dann um 25 Prozent über dem aktuellen Mindestlohn in der Pflege von 11,60 Euro liegen. Im Osten, wo der Mindestlohn derzeit 11,20 Euro beträgt, liegt die Lohnsteigerung noch höher.
Pflegehelferinnen und Pflegehelfer erhalten nach dem Tarifvertrag ab dem 1. August 2021 ein Entgelt von mindestens 12,40 Euro pro Stunde, ab dem 1. Januar 2022 mindestens 13,80 Euro, ab dem 1. Januar 2023 mindestens 14,15 Euro und ab dem 1. Juni 2023 mindestens 14,40 Euro. Pflegehelferinnen und Pflegehelfer mit mindestens einjähriger Ausbildung bekommen ab dem 1. August 2021 mindestens 13,10 Euro pro Stunde; ihre Mindeststundenentgelte erhöhen sich ab 1. Januar 2022 auf 14,50 Euro, ab 1. Januar 2023 auf 15,00 Euro und ab 1. Juni 2023 auf 15,25 Euro.
Die Mindeststundenentgelte für examinierte Pflegefachpersonen liegen demnach ab 1. August 2021 bei 16,10 Euro, ab 1. Januar 2022 bei 17,00 Euro, ab 1. Januar 2023 bei 18,50 Euro und ab 1. Juni 2023 bei 18,75 Euro.
Pflegepersonen in der Altenpflege haben nach dem Tarifabschluss künftig Anspruch auf mindestens 28 Urlaubstage pro Jahr und ein zusätzliches Urlaubsgeld von mindestens 500 Euro. Der Tarifvertrag regelt Mindestbedingungen in der Altenpflege, das heißt, bessere Regelungen bleiben davon unberührt und sind auch weiterhin möglich.
Die BVAP ist ein Zusammenschluss von Pflegeanbietern und Wohlfahrtsverbänden. Das Bündnis wurde unter anderen vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Volkssolidarität (VS) gegründet. Inzwischen schließen sich nach Angaben des BVAP immer mehr gemeinnützige, aber auch private und öffentliche Träger an.
"Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag bietet den Unternehmen klare Strukturen für Pflegesatzverhandlungen und die notwendige Planungssicherheit bei der Lohnfindung", erklärte der Diakonische Dienstgeberverband Niedersachsen (DNN). Bestehende bessere vertragliche Regelungen in den Unternehmen blieben von den Vereinbarungen des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags unberührt, sagte DNN-Vorsitzender und BVAP-Vorstandsmitglied Rüdiger Becker.
Die Vertragsparteien erwarteten in diesem Zusammenhang von Politik und Kostenträgern, die Ziele ihres Tarifvertrags aktiv zu unterstützen und die volle Refinanzierung seiner Leistungen zu gewährleisten, ohne dass die Eigenanteile der Bezieherinnen und Bezieher von Pflegeleistungen oder deren Angehörigen steigen.
Der Arbeitgeberverband Pflege kündigte an, beim zuständigen Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg beantragen zu wollen, die Tarifunfähigkeit von ver.di in der Altenpflege festzustellen. Der Tarifvertrag mit der BVAP wäre dann nichtig, und die Allgemeinverbindlichkeit wäre gescheitert, erklärte Verbandspräsident Thomas Greiner am 1. Februar in Berlin. Begründet wird die Klage damit, dass nur ein sehr kleiner Teil der Pflegekräfte ver.di-Mitglied sei.
Auch der bpa-Arbeitgeberverband übte deutliche Kritik: "Es bleibt dabei: Miniminderheiten können in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und unserer demokratischen Grundordnung nicht über die Tarifautonomie von Mehrheiten bestimmen", so Präsident Rainer Brüderle. Zudem sei ein Einheitstarifvertrag von Stralsund bis Freiburg jenseits der betrieblichen Wirklichkeit. "Neben der fehlenden Größe zeichnet sich diese Vereinbarung durch Praxisferne aus." Für die Repräsentativität spielten auch Positionierungen von kirchlichen Institutionen keine Rolle, so Brüderle.
Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Links-Fraktion, sagte, damit die Versorgung der alten Menschen verbessert werden könne, "muss jetzt auch zwingend der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden". Dadurch dürften aber Menschen mit Pflegebedarf nicht noch weiter finanziell belastet werden. Im Gegenteil müssten die finanziellen Belastungen schon jetzt gesenkt werden. "Das ist schlicht eine Frage sozialen Anstands. Dafür gibt es einen einfachen Weg: Die bislang privat Versicherten müssen stärker an den finanziellen Lasten beteiligt werden."