sozial-Politik

Familie

Interview

Expertin: Endlich zeitgemäße Standards für Adoptionsvermittlung




Roswitha Göcke
epd-bild/SkF Ibbenbüren
Roswitha Göcke ist Fachbereichsleiterin beim Sozialdienst katholischer Frauen in Ibbenbüren. Im Interview mit epd sozial bewertet sie das ab April geltende Adoptionshilfe-Gesetz, das erst durch einen Kompromiss im Vermittlungsausschuss zustande kam. Doch der könne sich sehen lassen: "Die Begleitung von Adoptionen wird deutlich verbessert."

Roswitha Göcke, die die größte Vermittlungssteller im Bistum Münster leitet, nennt die neuen Bestimmungen "absolut fundiert". Seit Jahren hätten die Fachkräfte Regelungen gefordert, die für eine längere Begleitung der abgebenden und annehmenden Familien sorgen. Und, so Göcke: "Es wird Biografiearbeit mit adoptierten Kindern möglich. Das ist ausdrücklich vom Gesetzgeber so gewollt." Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Frau Göcke, lange hat die Politik um das neue Adoptionshilfe-Gesetz gerungen. Erst der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat fand eine Lösung. Wie bewerten Sie den Kompromiss?

Roswitha Göcke: Die neuen Regelungen sind inhaltlich betrachtet absolut fundiert. Bald gelten zeitgemäße fachliche Standards für die Vermittlungsstellen, die die Begleitung von Adoptionen deutlich verbessern werden, und zwar vor, während und vor allem auch nach einer Adoption. Schon lange haben wir uns für diese Vorgaben eingesetzt.

epd: Wie kam es dazu?

Göcke: Es gab einen Prozess über vier Jahre, in dem Experten, auch vom Deutschen Jugendinstitut, eine umfassende Bestandsaufnahme gemacht haben, wie Adoptionen ablaufen, wie die Vermittlungsstellen eingebunden sind und wie Eltern und Kinder fachlich begleitet werden. Was hat geholfen, was gefehlt? Was ist schädlich für die Entwicklung des adoptierten Kindes? All diese Fragen wurden beantwortet. Daraus wurden fachliche Standards entwickelt, wie eine gute Adoptionsberatung in Zukunft aussehen sollte. Diese inhaltlichen Vorgaben wurden nun ins Gesetz geschrieben, und die sind wirklich gut. Und man hat auch erkannt, dass die abgebenden Eltern oft eine lebenslange Auseinandersetzung über den Verlust ihres Kindes haben. Die Schuld- oder Versagensgefühle bleiben. Auch in diesen Fällen geben wir Unterstützung.

epd: Was genau wird sich künftig ändern?

Göcke: Um das vergleichen zu können, muss man wissen, wie das bisherige Verfahren war. Da endete die fachliche Begleitung und Beratung der Eltern mit dem Adoptionsbeschluss, der in der Regel etwa nach einem Jahr der Adoptions-Pflege als Vorstufe ergeht und auch das Verfahren formell abschließt. Dann waren wir Fachleute draußen, weil die Politik darauf verwies, dass die neuen Eltern den leiblichen Eltern rechtlich gleichgestellt sind und fortan weder Beratung noch Begleitung brauchen. Dadurch endete auch in fast allen Fällen der Kontakt. Ein Jahr ist aber ein viel zu kurzer Zeitraum. Und das wird sich nun ändern. Es gibt eine längere, wenn auch freiwillige Begleitung der aufnehmenden Familien und der Kinder.

epd: Warum ist eine kontinuierliche Begleitung denn nötig?

Göcke: Eigentlich ist eine lebenslange Begleitung der adoptierten Kinder nötig. Das wissen wir aus unzähligen Fällen, die wir auf dem Tisch hatten. Denn bei vielen Kindern, später Jugendlichen oder selbst Erwachsenen, kommen die Fragen zur eigenen Herkunft, zu den Gründen der Adoption, zu den leiblichen Eltern erst im Laufe ihres Lebens. Damit schlagen sich viele Jahrzehnte lang herum und wurden bisher damit weitgehend alleine gelassen. Vor allem dann, wenn die Adoption in der aufnehmenden Familie ein Tabu war. Das wird jetzt geändert, denn es ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Es wird also sogenannte Biografiearbeit möglich. Das ist ausdrücklich vom Gesetzgeber so gewollt. Denn jedes Kind hat das Recht, seine Herkunft zu kennen. Für die Adoptionseltern kann das zu Konflikten führen, denn sie wissen oft nicht, wie sie sich verhalten sollen, wie man die Herkunft des Kindes angemessen thematisiert. Wir als Vermittlungsstelle haben dazu die passenden Ansätze parat, wir machen das seit 30 Jahren.

epd: Aber all das bleibt doch auch künftig für die Adoptiveltern freiwillig?

Göcke: Ja das stimmt, das ist sicher eine der Lücken im Gesetz. Aber der fachliche Standard ist rechtlich gesetzt und bindend, der sagt, dass Beratung vor der Adoption, während des Verfahrens und auch später erfolgen soll. Alle Beteiligten sollen begleitet und beraten werden. Erklärtes Ziel ist es, einen viel offeneren Umgang mit den Adoptionen zu leben. Eigentlich, ich habe es schon gesagt, gilt das für das ganze Leben der Adoptivkinder. Wir sind und bleiben Ansprechpartner. Das sieht man schon daran, dass wir die Adoptionsakten 100 Jahre lang aufheben müssen.

epd: Wie geschieht das in der Praxis?

Göcke: Wir können nach Vereinbarungen regelmäßig ein bis zwei Mal im Jahr in die Familien. Das war früher überhaupt nicht üblich, es war absolut selten. Heute haben auch die abgebenden Eltern einen Anspruch auf bestimmte allgemeine Informationen über ihr Kind, wenn sie den denn einlösen wollen. Früher kannte man auch schon Biografiearbeit, aber die Appelle dazu gingen leider oft ins Leere. Künftig wird schon bei den ersten Kontakten und Gesprächen mit den abgebenden und den annehmenden Eltern besprochen, wie die Begleitung später aussehen soll, wie man miteinander im Kontakt bleiben will. Das ist ganz wichtig und hat auch bindenden Charakter. So wird eine gute Basis gelegt, auf der auch das Kind später agieren kann. Damit ist eine gute Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit der Herkunftsgeschichte und möglichen späteren Kontaktwünschen gelegt. Auch die Herkunftseltern bekommen jetzt ein wenn auch begrenztes Recht, sich für allgemeine Informationen über das Kind an uns zu wenden, die die Adoptiveltern vorher freiwillig geben müssen. Das war bislang nicht so. Es gab keinerlei Recht auf Auskünfte.

epd: Gibt es da Beispiele aus der täglichen Arbeit, wie das funktioniert?

Göcke: Ja, auch wenn das neue Gesetz ja noch nicht offiziell gilt, haben wir schon jetzt Vereinbarungen mit Familien getroffen, die offen für regelmäßige Kontakte sind. Ich habe gerade zwei Familien, wo Adoptionsbeschlüsse da sind, und da haben wir verabredet, dass ich zwei Mal im Jahr die Familien besuche. Da geht es dann auch darum, altersgerecht mit den Kindern Biografiearbeit zu machen. Da nutze ich dann zum Einstieg auch Bilderbücher. Ich sehe das als große Hilfe für die Adoptiveltern an, denn sie haben nach meiner Beobachtung oft erhebliche Schwierigkeiten, offen über das Thema zu sprechen. Es ist wichtig, hier im Kontakt zu bleiben und den richtigen Ton zu treffen. Die meisten Eltern gehen den Weg gerne gemeinsam mit uns mit. Das hat mit Einmischung nichts zu tun. Die Sicherheit der Adoptierten in ihren Familien ist immer gewährleistet, auch wenn man einen Austausch mit den leiblichen Eltern hinbekommt.

epd: Reicht diese Gesetzesreform nun aus oder gibt es noch Aspekte, die geregelt werden sollten?

Göcke: Ja. Im Bereich der Anbietervielfalt gibt es Probleme, vor allem wegen der fehlenden Finanzierung. Private Träger in der Adoptionsvermittlung waren gar kein Thema. Die Adoptionsvermittlungsstellen werden von den Kommunen und damit von der öffentlichen Hand finanziert. Private Träger gehen leer aus, müssen sich also selbst finanzieren. Das ist nicht gut. Da ist das Prinzip der Subsidiarität vergessen worden. Dadurch ist das Wahlrecht der Familien, die sich für eine Adoption entschieden haben, doch stark eingeschränkt. Das hätte man besser machen können.

epd: Meine letzte Frage betrifft das Abstammungsrecht, das mit Blick auf die Adoptionen reformiert werden soll. Wie bewerten Sie die Pläne und betreffen sie Ihre tägliche Arbeit?

Göcke: Sie haben den Kompromiss bei den Stiefkinderadoptionen im Auge? Das war eine nicht unwichtige Frage der Gleichberechtigung. Aber was heißt schon Gleichberechtigung? Männerpaare mit Kinderwunsch sind in die Überlegungen der Politik gar nicht mit einbezogen worden. Natürlich unterscheidet sich die Ausgangslage homosexueller Paare mit Kinderwunsch, denn bei lesbischen Paaren bekommt ja eine Frau ein leibliches Kind. Männern bleibt nur der Weg der Sukzessivadoption. Klar musste da ein Kompromiss gefunden werden, aber für mich ist das bei der Reform eher eine Facette am Rande. Der Fokus des neuen Gesetzes liegt klar auf den besprochenen fachlichen Standards, die die Begleitung und Beratung der Eltern und das Wissen der Kinder über ihre Herkunft verbessern. Das ist mir persönlich wichtiger, als die Fragen, die jetzt noch in einer Reform des Abstammungsrechtes zu regeln sind. Auch für die Stiefkinder-Adoption gibt es jetzt einen fachlichen Standard, nach dem mit allen Beteiligten gesprochen und Biografiearbeit mit den Kindern gemacht werden muss. Alles muss schön und sauber aufgedröselt werden, und das ist gut so.



Mehr zum Thema

Bessere Beratung vor, während und nach einer Adoption

Das neue Adoptionshilfe-Gesetz bringt von Fachleuten lange geforderte Verbesserungen, weil die Vermittlungsstellen Eltern und Kinder deutlich länger als bisher begleiten dürfen. Bis das beschlossen war, war zähes Ringen im Vermittlungsausschuss nötig.

» Hier weiterlesen

Die Stiefkindadoption - Rechtslage und neue Bestimmungen

Es war eine biologisch nicht auszuräumende Hürde, die der Vermittlungsausschuss im Ringen um ein neues Adoptionshilfe-Gesetz zu überwinden hatte. Denn die Ausgangslage bei der Adoption von Kindern durch lesbische und schwule Paare ist nun mal unterschiedlich. Und so sahen viele Expertinnen und Expertinnen im ursprünglichen Plan der Bundesregierung für eine verpflichtende Beratung bei der Stiefkindadoption eine unzulässige Diskriminierung von lesbischen Zwei-Mütter-Familien, die ein Kind annehmen wollen.

» Hier weiterlesen