

Mönchengladbach (epd). Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Mönchengladbacher Sozial-Holding, ist froh, dass er rechtzeitig Schnelltests geordert hat. Doch mit der Teststrategie hat er so seine Probleme. Es sei nicht zu verstehen, warum primär Bewohnerinnen und Bewohner getestet werden sollen: "Wenn irgendjemand negativ ist, dann ist das der Heimbewohner - im Normalfall." Zielführender sei es, Personal und Besucher engmaschig zu testen: "Das Virus kommt immer von draußen." Die Fragen stellte Dirk Baas
epd sozial: Herr Wallrafen, fast überall in Deutschland klagt die Pflegebranche, dass Schnelltests fehlen oder kein Fachpersonal für die Tests abgezogen werden kann. Ihre Sozial-Holding Mönchengladbach kennt diese Probleme nicht. Wie ist das zu erklären?
Helmut Wallrafen: Das hat zwei Gründe: Zum einen haben wir scheinbar früher als andere Heimträger erkannt, dass es zu Engpässen bei den Schnelltests kommen wird. Das galt übrigens auch für die früheren Probleme, ausreichend Schutzkittel, Masken und Einmalhandschuhen zu kriegen. Dieses Material haben wir schon gekauft und eingelagert, als andere Träger noch gar an die Bestellungen gedacht haben. Und wir haben durch unsere vielen Kontakte und ein gutes Image sicher so was wie einen Wettbewerbsvorteil. Den haben wir genutzt, und deshalb können wir schon seit Wochen in unseren Heimen testen.
epd: Das heißt, auch andere Einrichtungsträger hätten so viel Weitsicht haben können, ja müssen?
Wallrafen: Sicher. Es war doch klar, spätestens nach der offiziellen Bekanntgabe, dass es Schnelltests in den Heimen geben soll, dass es schwierig werden wird, an das Material zu kommen. Das war völlig klar, weil weltweit eine enorme Nachfrage bestand. Aber nicht jedes Heim konnte so handeln wie wir, schon aus finanziellen Gründen.
epd: Warum nicht?
Wallrafen: Weil das schlicht eine Geldfrage ist. Wir haben 30.000 Schnelltests im Keller, die wir schon gekauft haben, als noch munter mit den Kassen über die Kostenerstattung gestritten wurde. Da liegen in unserem Lager 190.000 Euro, die erst mal vorfinanziert sind. Das geht an unsere Liquidität, denn abrechnen mit den Kassen können wir erst, wenn die Tests tatsächlich verbraucht werden. Das kann ein Pflegeheim normalerweise nur schwer stemmen. Aber, das muss man auch klar sagen, in vielen Verbänden ist auch tief geschlafen worden, als klar wurde, dass sich die Versorgungslage mit Test- und Schutzmaterial schlechter wurde. Hier wäre mehr Unterstützung und Koordination wünschenswert gewesen. Aber die Funktionäre agieren nun mal anders als die Verantwortlichen vor Ort, die immer die Belange ihres Personals am Bett im Auge haben.
epd: Als fängt nur der frühe Vogel den Wurm?
Wallrafen: Natürlich, so ist das nun mal im Kapitalismus. Wollte man auf der sicheren Seite sein, musste man innerhalb einer Woche die benötigten Kits bestellen, egal, ob das schon refinanziert ist oder nicht. Wer nicht schnell geordert hat, hatte verloren. Punkt. Und in dieser Situation sind wir jetzt immer noch. Auch das Gesundheitswesen ist Teil des Kapitalismus. Bei knappen Produkten, das weiß man, steigt immer sofort der Preis, und dann macht sich die Großindustrie richtig die Taschen voll. Inzwischen sind die Schnelltests jedoch besser zu bekommen, und die Preise sind vertretbar.
epd: Die Kostenübernahme für die Tests ist bei Heimen und Kliniken durch die Kassen unterschiedlich. Verstehen Sie, warum?
Wallrafen: Nein, kein Mensch versteht das. Aber es überrascht mich auch nicht. Denn es ist wie immer in Deutschland, und ich beobachte die Bevorzugung der Krankenhäuser gegenüber der Pflege schon seit 44 Jahren. Der Staat bedient die Kliniken immer schneller und besser, die Lobbyisten dort sind nämlich sehr auf Zack. Das ist auch jetzt in der Corona-Krise wieder zu sehen. Der Staat hilft den Kliniken mit Riesensummen. Das setzt sich fort bis hin zu den Unterschieden bei der Entlohnung der Beschäftigten. Es gibt seit Jahrzehnten systematische Nachteile für uns. Jetzt unter Corona brechen die seit jeher unter den Teppich gekehrten Mängel in der Pflege auf: das fehlende Personal, die unzureichende Bezahlung und nicht zuletzt die fehlende Anerkennung. Vielleicht wird das jetzt den Verantwortlichen so deutlich, dass endlich mal was passiert gegen den Pflegenotstand.
epd: Wie teuer war ein Schnelltest, als Sie Ihr Depot gefüllt haben?
Wallrafen: Wir haben für die Kits für fünf, sechs Euro bezahlt. Das war ein guter Preis. Wir hatten schon bei der Schutzkleidung früh gesehen, was da auf uns zukommt. Im März ging das mit den Infektionen richtig los, und unmittelbar danach, etwa Mitte des Monats, habe ich meinen Chefeinkäufer gebeten, alle Materialien vom Einmalhandschuh bis zum Schutzkittel für ein halbes Jahr im voraus zu besorgen. Damit hatten wir zumindest mal etwas Luft. Aber schnell wurde auch klar, ein Vorrat für ein halbes Jahr reicht nicht, wir müssen nachlegen und haben das dann auch gemacht. Ab Ende März war klar, das wir eine Pandemie haben, und man wusste, wo es hingeht. Was spricht denn gegen eine ordentliche Vorratshaltung? Das Schutzmaterial braucht man auch in anderen Fällen, etwa gegen Noroviren. Schlimmstenfalls hätten die Sachen zwei Jahre lang unsere Keller verstopft.
epd: Dass es Engpässe geben würde, war doch jedem klar. Hätte der Staat hier strikt regulierend eingreifen müssen?
Wallrafen: Ich meine schon. Zumindest hätten die Behörden besser steuern können. Warum hat die Lufthansa Schnelltests bekommen, wo die Heime sie noch nicht hatten? Und das vor dem Hintergrund, dass die geforderten 30 Tests pro Monat und Heimbewohner nirgendwo am Markt zu haben sind. Reine Phantasiezahlen. Purer Populismus. Und das ist nicht nur hier in Nordrhein-Westfalen so. Es ist aber nicht die Schuld der da ja auch oft personell ausgedünnten Ministerien. Das sind politische Fehler.
epd: Testen darf nur qualifiziertes Personal. Daran fehlt es allerorten, denn man muss die Fachkräfte aus dem Pflegealltag abziehen. Wie haben Sie dieses Problem gelöst?
Wallrafen: Vorab mal der Hinweis, dass eigentlich laut Politik Bewohnerinnen und Bewohner, Personal und Besucher getestet werden sollen. Formaljuristisch bekomme ich aber nur Tests für die Bewohner. 30 Tests je Bewohner im Monat. Völliger Schwachsinn. Wenn man die nicht verbraucht, könne man sie ja dann für Personal und Besucher nutzen, hat man uns gesagt. Es wird von drei Testgruppen gesprochen, formal aber nur einer das Material genehmigt. Zudem sind die Fragen des persönlichen Haftungsrechts noch nicht geklärt. Wenn beim Testen in Nase und Rachen eine Verletzung auftritt, wird es richtig heikel. Da ist es doch normal, dass die, die Schnelltests machen, gerne Sicherheit hätten.
epd: Über den zeitlichen Aufwand der Tests gibt es sehr unterschiedliche Aussagen aus der Branche. Wie sind Ihre Erfahrungswerte?
Wallrafen: Seriös betrachtet braucht man für einen Test mit allem drum und dran eine halbe Stunde. Zumindest, wenn man den Beipackzettel ernst nimmt: Bis das Ergebnis vorliegt, muss man unbedingt eine Viertelstunde abwarten. Dazu kommt die Zeit, die unsere Leute brauchen, um das Warum und Wie der Tests zu erklären, plus die Zeit für den Test selbst. Und dann noch die Dokumentation, also das Ausfüllen von Unterlagen, um die ganze Chose später auch bezahlt zu kriegen, da ist die halbe Stunde dann fast um. Beim 100-Personen-Pflegeheim dauert es also 50 Stunden, wenn man jeden Bewohner einmal testen will.
epd: Wie rechnet sich dieser enorme Aufwand unter dem Strich?
Wallrafen: Gar nicht. Von den Kassen bekommen wir maximal 16 Euro, sieben Euro für das Testkit, neun Euro für den Aufwand. Also werden für eine volle Arbeitsstunde einer Pflegefachkraft, die die Tests macht, höchstens 18 Euro von der Pflegekasse übernommen. Das ist im Vergleich zum Arbeitgeberbrutto, das wir ja kalkulieren müssen, ein reines Verlustgeschäft. Das sind die Fakten, aber die will die Politik, und in unserem Fall in NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), nicht hören.
epd: Wie haben Sie die Tests in Ihren Heimen vorbereitet?
Wallrafen: In jeder unserer Einrichtung wurden 20 Fachkräfte von einem Betriebsarzt geschult. Das ließ sich machen, weil wir noch eine Fachkraftquote von 60 Prozent haben, also genug Fachpersonal. Die haben alle ein Zertifikat bekommen, dass sie geschult wurden. In der Dienstplangestaltung muss man den Testaufwand berücksichtigen, das ist aber noch gerade so machbar, auch weil wir kaum Ausfälle wegen infiziertem Personal haben Und dass das so ist, verdanken wir dem Umstand, dass wir seit März Screenings machen, desinfizieren, Abstandsregeln geschaffen haben und strikt Mundschutz tragen, jetzt nur noch FFP-2-Masken.
epd: Und was passiert, wenn es doch zu Infektionen kommt?
Wallrafen: Wir isolieren schnell infizierte Bewohner. Unsere Tagespflege ist geschlossen. Die hat große Räume, in die bis zu zehn Personen passen und dennoch auf Abstand gehen können. Das nutzen wir. Positiv Getestete schlafen im Doppelzimmer, haben dort viel Platz und wir brauchen auf die gesamte Betreuungszeit gerechnet nur drei Fachkräfte. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber nicht jedes Heim hat auch eine Tagespflege, in die man Infizierte mal eben auslagern kann.
epd: Ist es überhaupt zielführend, dauernd die Bewohner zu testen, die ja in den meisten Fällen die Einrichtungen derzeit kaum verlassen? Müsste man nicht besser Personal und Besucher testen, die das Virus von draußen einschleppen?
Wallrafen: Sie haben völlig recht. Ich kann die derzeitigen Testvorgaben nicht wirklich nachvollziehen. Das scheint mal wieder weit ab von der Praxis erdacht worden zu sein. Wenn irgendjemand negativ ist, dann ist das der Heimbewohner - im Normalfall. Und wenn mal ein Test positiv ausfällt, dann kommt das Virus von draußen. Das ist völlig logisch und hat sich auch bei uns gezeigt. Die Gefahr, dass sich die Bewohner selbst infizieren, wenn sie etwa in der Stadt unterwegs sind, ist minimal, denn die Außenkontakte sind rigoros reduziert. Und wenn man seine Bewohner kennt, weiß man auch, wer gefährdet ist. Damit kann man gut umgehen. Daraus folgt, dass man eigentlich die Beschäftigten und auch zwingend die Besucher wiederholt testen müsste. Doch wirkliche Sicherheit kann man mit den Schnelltests niemals erlangen. Die Inkubationszeit bei Covid-19 beträgt zwischen zwei und neun Tagen. Da müsste man so oft testen, dass das Personal irre wird. Der Weg muss ein anderer sein. Haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesundheitliche Probleme, die auf eine Corona-Infektion hindeuten, gibt es bei uns nur eins: Sie machen sofort den sicheren PCR-Test und werden in Quarantäne geschickt. Wer meint, in diesen Zeiten trotz Beschwerden doch noch irgendwie arbeiten zu können, ist eine menschliche Zeitbombe. Nur wenn man bei den Mitarbeitern übervorsichtig ist, kann man das Virus draußen halten.