Hürth (epd). Vor mehr als elf Jahren, am 26. März 2009 ist die UN Behindertenrechtskonvention in Deutschland ratifiziert worden. Sie ist ein wesentliches Fundament für die Inklusion. Seitdem hat sich viel bewegt in Deutschland. Kindertagesstätten und Schulen sind inklusiv geworden. Mit dem Bundesteilhabegesetz und den darin enthaltenen Änderungen der Sozialgesetzbücher ist der Mensch mit Behinderung nicht mehr Bittsteller, sondern hat einen Anspruch auf Leistungen für ein inklusives Leben.
Die neue Sicht auf die "Eingliederungshilfe" und die Trennung von den Grundsicherungsleistungen finden sich auch im neuen Landesrahmenvertrag in Nordrhein-Westfalen - aber noch kämpfen Leistungsanbieter, Menschen mit Behinderung, ihre Eltern und Betreuer mit der Umsetzung. Bis auch hier eine neue inklusive Denkweise und ein inklusiveres Leben erreicht ist, wird noch etwas Zeit vergehen. Ein wichtiger und notwendiger Schritt hin zur Inklusion ist es aber auf jeden Fall. Nicht alle Regelung sind derzeit schon perfekt, viel wird noch nachjustiert werden müssen und an manchen Stellen verhindert oder begrenzt der mangelnde Wille zur Finanzierung der Inklusion eigentlich notwendige Leistungen.
Das größte Problem bei der Inklusion ist der Bereich der Arbeit. Selbst in Zeiten des Fachkräftemangels war es schwer für Menschen mit Behinderungen, einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen. Ganz besonders schwierig war und ist das für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Meist liegt für diesen Kreis eine Fachkraftausbildung außerhalb der aller Möglichkeiten. Sie bewegen sich in einem Teil des Arbeitsmarkts, der ständig durch die Automatisierung bedroht ist und der oft durch ein Überangebot an Arbeitskräften gekennzeichnet ist. Nicht zuletzt erfordert Inklusion auf diesem Feld auch die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, den Mitarbeitenden mit Behinderung gleichberechtigt und offen anzunehmen.
Wie können Arbeitgeber und Kollegen für einen inklusiven Arbeitsmarkt gewonnen werden? Schon die integrativen Kitas und Schulklassen haben gezeigt, dass das gemeinsame Spielen und Lernen eine inklusive Einstellung hervorbringt. Das alleine wird aber nicht genügen - abgesehen davon, dass es noch lange Jahre dauern wird, bis es sich im Erwachsenenalter auswirkt.
Daher sind kreative Ideen gefragt, wie der allgemeine Arbeitsmarkt für Menschen mit geistiger Behinderung geöffnet werden kann. Neben den schon existierenden Ansätzen, wie den betriebsintegrierten Werkstattarbeitsplätzen und Inklusionsbetrieben, sind das Arbeitsangebote, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen, wie etwa der Betrieb von Werkskantinen. Es gibt aber noch viel Raum für weitere Ideen, beispielsweise das räumliche Zusammenbringen von Arbeitsbereichen der Werkstätten und von Handwerksbetrieben im gleichen Tätigkeitsbereich einschließlich der gemeinsamen Nutzung von Investitionsgütern.
Inklusion kann nicht alleine durch die Unterstützung von Menschen mit Behinderung kommen. Inklusion erfordert auch die Annahme durch die Menschen ohne Behinderung und die Überwindung von Vorurteilen. Klar ist: Das lässt sich nicht durch Verordnungen und Gesetze erreichen. Vielmehr muss der Umgang mit und der Kontakt zu Menschen mit Behinderungen zur Normalität, zum Alltag werden. Das können Kita, Schule und Arbeitsplatz alleine nicht leisten. Deswegen sind inklusive Angebote im täglichen Leben und in der Freizeit nicht nur Inklusionsziele an sich, sondern wichtige Elemente auf dem Weg zu einem generell offenen und freundlichen Umgang miteinander.
Gerade in diesen Lebensbereichen ist die ehrenamtliche Arbeit unverzichtbar. Die Teilnahme an vielen Veranstaltungen und Aktivitäten in Vereinen sind für Menschen mit Behinderungen - insbesondere für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung - oft ohne ehrenamtliche Unterstützung oder Begleitung nicht möglich. Das Schaffen von neuen inklusiven Freizeitangeboten, beispielsweise in Vereinen, erfordert unabdingbar ehrenamtliches Engagement.
Wie schnell Menschen mit Behinderungen aus dem Fokus der Politik fallen, zeigt die Corona-Krise ganz offen. Einrichtungen der Eingliederungshilfe waren zunächst überhaupt nicht auf dem Schirm der Politik. Dass dann für Pflegeeinrichtungen und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen gleiche Regeln aufgestellt wurden, hat Inklusion regelrecht konterkariert, weil überhaupt nicht berücksichtigt wurde, dass die Menschen in den Wohneinrichtungen sich in einer vollkommen anderen Lebenssituation befinden als Menschen in Pflegeeinrichtungen. Sie sind in der Regel berufstätig, um nur einen Punkt zu nennen.
Was sind wichtige Aufgaben für die Zukunft? Nach der Umsetzung des Landesrahmenvertrags wird es für Leistungsanbieter, Menschen mit Behinderungen, Eltern und Betreuer auch darauf ankommen, die neuen Ansätze zu leben, das heißt, die neuen Möglichkeiten für mehr Inklusion zu nutzen und sich nicht auf eine reine Änderung der Leistungs- und Vergütungsberechnungen zu beschränken.
Die Leistungsanbieter müssen kreativ neue inklusive Angebote schaffen, auch in Zusammenarbeit mit Anbietern des allgemeinen Marktes. Die Förderung, Begleitung und Unterstützung von ehrenamtlichem Engagement wird essentiell sein, um den Inklusionsgedanken in der gesamten Bevölkerung möglichst schnell zu verankern.
Weil das Ziel Inklusion noch lange nicht erreicht ist, muss auch bei der Politik weiterhin um Aufmerksamkeit für das Thema Inklusion gekämpft werden, und es müssen weitere Verbesserungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen auf den Weg gebracht werden.