

Frankfurt a.M. (epd). Das Klagelied ist altbekannt: Deutschland lebt im Pflege-Notstand. Und das schon seit Jahren. Geändert hat sich in dieser langen Zeit vor allem eines: Der Chor, der das traurige Lied singt, ist größer geworden. Substanzielle Veränderungen – Fehlanzeige.
Die viel zu wenigen Pflegerinnen und Pfleger in den Krankenhäusern, Altenheimen und ambulanten Diensten machen ihre Arbeit unverändert im Laufschritt, haben am Abend Rückenschmerzen und gegenüber ihren anvertrauten Patienten und Pflegebedürftigen ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht ausreichend um sie kümmern können.
Dabei liegen die Handlungsoptionen für einen aussichtsreichen Kampf gegen den Personalmangel längst auf dem Tisch: An erster Stelle muss der überdurchschnittlich schnelle Ausstieg gelernter Fachkräfte aus dem Beruf gestoppt werden. Das geht nur durch deutlich bessere Arbeitsbedingungen, gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die selbstverständliche Möglichkeit für Pflegekräfte, ihr Können am Arbeitsplatz zu entfalten und durch regelmäßige Fortbildung weiter zu entwickeln. Und natürlich sind flächendeckend Gehälter notwendig, die gegenüber anderen Branchen konkurrenzfähig sind. Das gilt auch für Azubis, die in großer Zahl gebraucht werden.
Es ist ein erbärmliches Schauspiel, wie hartnäckig große Teile der Pflegebranche Tarifverträge blockieren. Und die Pflegekräfte sollten endlich begreifen, dass sie in Arbeitskämpfen und politischen Kampagnen Ausdauer und Geschlossenheit beweisen müssen.
In der Corona-Pandemie haben die Pflegekräfte viel "Wertschätzung" erfahren - allerdings eine, die wenig kostet und wenig bringt. Der Gesundheitsminister bringt etwa in Krankenhäusern "Merci"-Tafeln vorbei – und die schuftenden Pflegerinnen und Pfleger fühlen sich von ihm auf den Arm genommen.
Noch eine vermeintlich großzügige Geste ist gefloppt: Die Bundesregierung stellt für einen einmaligen Lohnzuschlag Geld bereit, ist aber zu knausrig, jeder Pflegekraft eine "Prämie" zu zahlen. Also setzt sie ein Limit: Der Zuschlag ist in erster Linie für diejenigen gedacht, die "Pflege am Bett" geleistet haben. Die Pflegekräfte, die eher im Hintergrund notwendige Arbeiten gemacht haben, drohen also, leer auszugehen. Statt ehrliche Wertschätzung auszudrücken, sät die Bundesregierung Streit unter die Klinikbeschäftigten. Als hätten diese nicht schon genug Stress in der Corona-Pandemie!
Der Gesundheitsminister findet es außerdem in Ordnung, wenn Covid-19-infizierte Pflegekräfte weiterarbeiten. Jedenfalls dann, wenn sonst die Patientenversorgung gefährdet sein könnte. Und hier droht in den nächsten Monaten tatsächlich Gefahr. Denn dann wird sich zeigen, ob die Intensivkapazitäten in deutschen Krankenhäusern ausreichen, um die schweren Covid-19-Fälle und die anderen schweren Fälle zu behandeln. Der Engpass wird, wie Experten warnen, das knappe Pflegefachpersonal sein. Wenn kranke Pflegerinnen zu Hause bleiben, wird es für die Patientenversorgung noch kritischer.
Das weiß auch Minister Spahn und erwartet deshalb vollen Einsatz. Aber sieht so Wertschätzung aus? Ganz sicher nicht. Eher die Haltung: Wertschätzung ist schön und gut, aber wir können sie uns halt nicht immer leisten.