sozial-Politik

Bundesregierung

Gemischte Bilanz über "Konzertierte Aktion Pflege"




Eine Pflegebedürftige im Krankenbett
epd-bild/Meike Böschemeyer
Gut zwei Jahre nach dem Start der "Konzertierten Aktion Pflege" stellt sich die Bundesregierung ein gutes Zeugnis aus. Verbände und Gewerkschaften mahnen aber weitere Reformen an. Minister Spahn räumt ein, dass Corona die schwierige Lage verschärft hat.

Die Bundesregierung spricht von Fortschritten, die Verbände von weiterem Handlungsbedarf. Die Bundesregierung und weitere Akteure der "Konzertierten Aktion Pflege" haben am 13. November eine gemischte Bilanz der bisherigen Bemühungen für Verbesserungen in der Pflege gezogen. Einig waren sich alle, dass Verbesserungen gelungen sind, wichtige Reformen bei den Arbeitsbedingungen und Gehältern aber noch ausstehen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will ein Personalbemessungsverfahren gesetzlich verankern, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am liebsten einen flächendeckenden Tarifvertrag für die Pflege als allgemeinverbindlich erklären.

Gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) präsentierten die Minister in Berlin eine Art Zwischenzeugnis über ihre eigene Arbeit. Spahn räumte ein, dass die Corona-Pandemie die schwierige Lage in der Pflege noch verstärkt habe. Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, "dass wir so viel für die Pflege getan haben wie wenige Regierungen vor uns". Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe erklärte demgegenüber, viele Maßnahmen seien noch nicht umgesetzt. Bei den großen politischen Vorhaben gebe es noch nicht genug Fortschritt, sagte Präsidentin Christel Bienstein.

Reformen nachbessern

Es gebe bei den großen politischen Vorhaben zur Personalbemessung in der Langzeitpflege und im Krankenhaus sowie bei einer neuen Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen erheblichen Nachbesserungsbedarf, kritisierte Bienstein. "Auch in die Ausbildung muss weiter investiert werden, und hier muss insbesondere die hochschulische Qualifikation in der Pflege konsequenter gefördert werden." Manche der vereinbarten Maßnahmen lägen allerdings auch nicht in den Händen der Politik, etwa bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen und Initiativen für eine bessere Mitarbeiterbindung an die Betriebe, betonte die Verbandschefin.

Fünf Arbeitsgruppen hat die "Konzertierte Aktion Pflege", die Verbesserungen bei Ausbildung, Personalstärke, Bezahlung, Digitalisierung und Tarifbindung voranbringen sollen. Bund, Länder und die maßgeblichen Verbände und Akteure in der Pflege beraten dafür zusammen. Es geht dabei sowohl um die Alten- als auch um die Krankenpflege.

In seiner Bilanz verwies Spahn auf eine inzwischen bessere Refinanzierung der Pflege durch die Krankenversicherungen. Gleichzeitig musste er aber auch einräumen, dass die Anstrengungen für mehr Personal immer noch zu wenig Früchte tragen. Von den 13.000 von ihm geplanten zusätzlichen Stellen in der Altenpflege sind nach seinen Worten erst 3.600 besetzt. "Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt", sagte er. Zudem habe die Corona-Pandemie den Anstrengungen für eine Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland "einen Strich durch die Rechnung gemacht".

Giffey bezeichnete die zum Januar in Kraft getretene Reform der Pflegeausbildung, mit der das Schulgeld für Auszubildende abgeschafft wurde, als Erfolg. Zudem seien in diesem Jahr 30 Studiengänge für die Pflegeausbildung gestartet. In einigen Bundesländern, insbesondere Sachsen-Anhalt und Bayern, ist laut Giffey die Zahl der Bewerber für die Ausbildung gestiegen. Giffey hat sich zum Ziel gesetzt, zehn Prozent mehr Bewerber zu gewinnen.

Neher: Deutlich mehr ausbilden

Die Caritas erklärte dagegen, es müssten mehr Ausbildungskapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Präsident Peter Neher: "Die Pandemie führt uns gerade gnadenlos vor Augen, wie groß der Druck im Kessel in der Pflege ist: zu hohe Arbeitsbelastung und viel zu wenig Personal." Die Länder müssten dringend mehr Ausbildungskapazitäten für Pflegefach- und auch für Pflegehilfskräfte zur Verfügung stellen.

Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, begrüßte die Zwischenergebnisse der Konzertierten Aktion: "Der Bericht zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Ausbildungszahlen sind im letzten Ausbildungsjahr um erfreuliche 8,3 Prozent auf 71.300 Auszubildende angestiegen, und ein erster Schritt für mehr Personal in der Altenpflege ist mit 20.000 zusätzlichen Pflege-Assistenzstellen getan." Die Bezahlung der Pflegekräfte verbessere sich durch neue Tarifverträge. Alles in allem werde der Pflegeberuf attraktiver.

"Die Überlastung der Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist endlich als gravierender Missstand anerkannt", sagte Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig. "Jetzt braucht es mutige und wirksame Schritte, um mehr Personal zu gewinnen und zu halten." Vor allem verbindliche und bedarfsgerechte Personalvorgaben müssten nun schnell auf den Weg gebracht werden.

Die Bundesregierung habe gemeinsam mit den Partnern in der Konzertierten Aktion Pflege bereits einiges angestoßen, sagte Bühler weiter, doch die Beschäftigten spürten immer noch keine Entlastung. "Den Pflegekräften wird in dieser zweiten Welle der Pandemie wieder enorm viel abverlangt." Nur mehr Personal könne Entlastung bringen. Konkret fordert ver.di, die vorliegenden Instrumente zur Personalbemessung baldmöglichst auf den Weg zu bringen.

Heil verweist auf höheren Mindestlohn

Heil betonte für seinen Bereich die Erhöhungen des Mindestlohns für Pflegehilfs- und Pflegefachkräfte. Für Hilfskräfte soll er zum 1. April 2022 in bis dahin vier Schritten auf 12,55 Euro pro Stunde angehoben werden. Für Fachkräfte gilt ab 1. Juli 2021 eine Lohnuntergrenze von 15 Euro pro Stunde.

Gleichzeitig strebt Heil aber auch an, dass sich die maßgeblichen Arbeitgeber in der Pflege mit den Gewerkschaften auf einen flächendeckenden Tarifvertrag einigen. Dies sei eine "Riesenchance", sagte er und appellierte an die Verhandlungspartner, diese Chance nicht verstreichen zu lassen. Zurückhaltung gibt es bislang bei den privaten Trägern in der Pflege, aber auch bei den Kirchen.

Die Diakonie forderte eine weitere Arbeitsgruppe für die "Konzertierte Aktion Pflege", um die Finanzierung der Pflegeversicherung zu beraten. Die Finanzierung der Pflege müsse insgesamt auf die Tagesordnung, erklärte Vorständin Maria Loheide.

Der Gesundheitsökonom und Heinz Rothgang habe der Diakonie aktuell in einem Gutachten bestätigt, dass es möglich sei, die Pflegeleistungen zu verbessern und Beitragssteigerungen zu begrenzen, wenn zusätzlich weitere Finanzierungsreformen greifen. Loheide: "Deutlich wird, dass es ein 'Weiter so' nicht geben kann. Allein durch die demografische Entwicklung werden die Kosten für die Pflege erheblich steigen." Alle Verbesserungen der Gehälter und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte würden derzeit auf die Eigenanteile der pflegebedürftigen Menschen umgelegt und führe für viele in die Sozialhilfe: "Das kann so nicht weitergehen."

Corinna Buschow, Dirk Baas


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