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Corona

Pfleger: "Ich habe Angst, dass sie den Laden wieder dicht machen"




Die Pflegefachkräfte Lars-Joachim Morcher und Michaela Minzapost im Ev. Altenheim Planegg
epd-bild/Susanne Schröder
Acht Wochen lang waren Pflegeheime wegen der Corona-Pandemie im Frühsommer für Besuche gesperrt. Betroffene meinen, dass das trotz steigender Infektionszahlen im Winter nicht mehr geschehen darf. Ein Besuch im Evangelischen Altenheim Planegg.

Acht Wochen lang waren im Frühling viele Altenheime von der Außenwelt abgeriegelt, um Corona-Infektionen bei Bewohnern und Pflegekräften zu verhindern. Die Logik schien klar: Alte Menschen, vielfach vorerkrankt, vulnerable Hochrisikogruppe - unbedingt schützen! Doch was ist das Leben ohne Begegnung und ohne Berührung? Den nasskalten Herbst vor Augen mehren sich die Stimmen, die einen anderen Umgang mit Pflegeeinrichtungen fordern, auch wenn die Infektionszahlen wieder steigen.

Soziale Isolation

Für Astrid Ühlein ist klar: Einen kompletten Besuchsstopp will sie vermeiden. "Ich bin nicht sicher, ob unsere Bewohner eine solche soziale Isolation ein zweites Mal verkraften", sagt die Einrichtungsleiterin des Evangelischen Alten- und Pflegeheims Planegg bei München, die im April mit ihren Mitarbeitern einen großen Corona-Ausbruch im Heim bewältigen musste. Selbst Besuchs-Ersatzlösungen mit Plexiglas-Trennwänden und digitaler Kommunikation seien, bei aller Wichtigkeit von Infektionsschutz, zu wenig. "Denn das ist deutlich geworden: Wir können den direkten Kontakt zu Angehörigen und guten Freunden nicht ersetzen, auch wenn wir noch so viel anbieten", ist Ühlein überzeugt.

Ulrike Bauer teilt diese Erkenntnis. Beim Gedanken an den ersten Besuch bei ihrer Mutter hinter Plexiglas schießen der 66-Jährigen die Tränen in die Augen. Ulrike Bauer ist zerrissen zwischen Herz und Verstand: "Das hat mir schon was gegeben, sie wenigstens zu sehen. Aber dass man sich nicht umarmen kann, war furchtbar", erinnert sie sich. Zumal ihre 100 Jahre alte Mutter während der Besuchsbeschränkungen körperlich und geistig stark abgebaut habe. "Im Mai ist sie in ihrem Zimmer gestürzt, danach ging es steil bergab", berichtet die Tochter.

Ulrike Bauer macht niemandem einen Vorwurf. Dennoch denkt sie, dass die Einsamkeit der Corona-Wochen den Prozess beschleunigt hat. Davor sei ihre Mutter oft mit dem Rollator unterwegs gewesen oder habe sich mit der Nachbarin getroffen. Wie soll man Lebenslust bewahren, wenn man wochenlang allein im Zimmer sitzt? "Den alten Menschen muss man mehr ermöglichen", findet sie.

Essen auf dem Zimmer

Lars-Joachim Morcher bestätigt das. Der 24-jährige Altenpfleger hat während des Lockdowns Zwölf-Stunden-Schichten geschoben, um mit den verbliebenen Kolleginnen die Pandemie zu meistern. "Es war schwieriger, den Bewohnern Nähe zu geben", erinnert sich Morcher an den Spagat zwischen Infektionsschutz und guter Pflege. Die Isolierung der Menschen sei schlimm gewesen, sagt er. Keine Veranstaltungen, kein Besuch, Essen allein auf dem Zimmer: "Die Menschen waren nicht mehr der Gemeinschaft zugehörig - das hat mir wehgetan", sagt der junge Mann. Die Folgen der acht einsamen Wochen seien noch heute zu spüren: Verwirrtheit, depressive Stimmungen, körperlicher Abbau und Verlust von Sprechfähigkeit. Manche Bewohner hätten das nicht mehr wettmachen können.

Bewohnerin Rysoletta Doelfs denkt mit gemischten Gefühlen an den Frühling zurück. Dank ihrer Erdgeschoss-Wohnung mit Terrasse sei das Gefühl des Eingesperrtseins nicht so stark gewesen, sagt die 92-Jährige, die seit drei Jahren im Altenheim Planegg lebt. Ihre Kinder hätten regelmäßig für sie eingekauft, man habe sich zumindest durchs Fenster unterhalten können, niemand in ihrer großen Familie sei erkrankt."Kann man da nicht dankbar sein?", fragt Rysoletta Doelfs.

Aber da sind auch die anderen Momente, wenn sie an die Krisenzeit im Heim denkt. Ihre direkte Wohnungsnachbarin sei an Covid-19 gestorben, "das hat mich sehr belastet". Das "Abgesperrtsein" hat sie trotz Terrasse "schon gespürt". Und trotz aller Anrufe und Fensterbesuche ihrer Kinder hat es ihr gefehlt, "dass man sich einfach mal in den Arm nehmen kann". Dem Winter sieht Rysoletta Doelfs mit Sorge entgegen. "Man wird ein bissl mürber", sagt sie. "Ich habe Angst, dass ich noch so einen Winter nicht mehr packe."

Wie wird Weihnachten?

Der nahende Winter fordert Heimleitungen Kreativität und Mut ab. "Im Sommer haben wir alles mit Abstand im Garten gemacht: Sitzgymnastik, Gedächtnistraining, Konzerte, Oktoberfest", zählt Astrid Ühlein auf. Ein Rotationsprinzip mit persönlicher Einladung sorgte dafür, dass jeder mal dabei sein konnte. Wenn alles Leben wieder nach drinnen verlagert werden muss, wird auch alles schwieriger. Besonders bedauert die Heimleiterin die begrenzten Teilnehmerzahlen mit Blick auf Heiligabend: "Weihnachten werden wir nicht alle zusammen, sondern im kleinen Kreis in den einzelnen Wohnbereichen feiern - ohne Angehörige", sagt Astrid Ühlein und schweigt einen Moment. Man merkt: Anders wäre es ihr lieber.

Die Haltung zu einer neuen Corona-Welle ist im Pflegeheim Planegg einheitlich. "Die Schutzmaßnahmen haben funktioniert", sagt Altenpfleger Lars-Joachim Morcher: "Wenn Corona wiederkommt, darf man das Haus nicht mehr ganz dicht machen." Die Angehörige Ulrike Bauer formuliert ihre Sorge mit Inbrunst: "Ich hoffe, hoffe, hoffe, dass es so nicht wiederkommt." Das wäre auch das Schreckensszenario für Rysoletta Doelfs: "Ich hab Angst, dass sie den Laden wieder zusperren."

Der Auftrag der Planegger an Politik und Behörden ist, jenseits der Forderung nach ausreichend Schutzkleidung und Personal, klar: Der Schutz vor dem Virus rechtfertigt nicht jede Restriktion - auch nicht bei Hochrisikogruppen. Denn ohne Gespräche, Umarmungen, gemeinsames Lachen und Weinen, ohne Abwechslung und Lebenslust ist das Leben manchmal nur noch das: ein langer, langer Winter.

Susanne Schröder