Bremen (epd). Europa befindet sich in der zweiten Welle der Covid-19 Pandemie. Dabei zeigt sich ein durchgängiges Muster: Zunächst steigt die Zahl der laborbestätigt Infizierten, mit einigen Wochen Verzug steigt dann die Zahl der Krankenhaus- und der Intensivpatienten und als letzter Indikator die Zahl der Toten mit Covid-19. Dieser Prozess beschleunigt sich in dem Maße, in dem die Pandemie in höhere Altersklassen vordringt. Dieses Muster ist auch in Deutschland erkennbar.
Seit Mitte Juli steigt in Deutschland die Zahl der Neuinfizierten, seit Anfang Oktober sprunghaft. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle ist von gut 200 Personen Anfang September auf 1.596 Personen (Stand am 29. Oktober) angestiegen, mit einer Verdopplung alle zehn Tage, und die tägliche Zahl der Toten mit Covid-19, die bis Mitte September im einstelligen Bereich lag, lag am 29. Oktober bei 89. In Italien, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich, die uns in der Entwicklung einige Wochen voraus sind, sind jetzt schon wieder seit Mitte Oktober dreistellige Todeszahlen pro Tag zu beklagen - mit steigender Tendenz.
In der ersten Welle entfielen in Deutschland etwa die Hälfte aller Todesfälle mit Covid-19 auf Heimbewohnerinnen und Heimbewohner und annähernd zwei Drittel auf die Gruppe der Pflegebedürftigen insgesamt. Einen durchschnittlichen Anteil der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner an allen Toten mit Covid-19 von rund der Hälfte haben Kolleginnen und Kollegen der London School of Economics auch bei 25 anderen Ländern ermittelt, für die Daten vorhanden sind. Um die Zahl der Patienten mit schwersten Verläufen und Todesfälle mit Covid-19 zu verhindern, ist es daher essenziell, ein Eindringen und eine Ausbreitung des Virus in Pflegeheimen zu verhindern.
Dies ist jedoch nur eine Seite der Medaille, da sie ausschließlich auf das Infektionsgeschehen und die damit verbundenen Risiken in Bezug auf Morbidität und Mortalität fokussiert. Auf der anderen Seite hat sich inzwischen bestätigt, dass physische Distanzierung und die daraus resultierende soziale Isolation ebenfalls schwere Folgen für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner hat, so dass eine einseitige Fokussierung auf Isolation zu kurz greift. So wurden in der ersten Welle weitreichende Kontaktsperren in Bezug auf Besucherinnen und Besucher, aber auch externe Leistungserbringer (Ärzte, Therapeuten, Fußpfleger etc.) vorgenommen, mit den inzwischen bekannten schwerwiegenden gesundheitlichen und sozialen Folgen für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner wie Depression, Verwirrtheit, Einsamkeit, Ängstlichkeit und ihre Angehörigen.
Die Wiederholung einer derartig weitreichenden Kontaktsperre sollte daher weitgehend vermieden werden, wobei Pflegeeinrichtungen jedoch vor einem grundsätzlichen Dilemma stehen: Es gilt, die Ausbreitung des Virus zu stoppen, ohne dabei Vereinsamungstendenzen zu befördern. Dies kann nur durch einen Maßnahmenmix gelingen, der sowohl Bewohnerinnen und Bewohner und ihre An- und Zugehörigen als auch Mitarbeitende in den Einrichtungen berücksichtigt.
In Bezug auf Besucherinnen und Besucher können regelmäßige Antigen-Schnelltests, wie sie jetzt zur Verfügung stehen, einen zentralen Beitrag leisten. Dabei ist die Sensitivität – also das Erkennen von Infizierten als Infizierte – der Antigentests niedriger als die der gängigen PCR-Tests: Insbesondere Personen, die (nur noch) geringe Virusmengen aufweisen, werden nicht zuverlässig entdeckt. Allerdings sind diese auch häufig nicht mehr infektiös.
Besucherinnen und Besucher sowie externe Dienstleister sollten daher von dafür geschultem medizinischen Fachpersonal der Einrichtungen vor dem Besuch getestet werden. Wer positiv getestet wird, erhält keinen Einlass und wird aufgefordert, dieses Ergebnis mittels eines PCR-Tests überprüfen zu lassen. Bei negativem Test ist ein Besuch und die Erbringung einer Dienstleistung möglich. Da ein falsch negatives Ergebnis aufgrund der geringeren Sensitivität aber nicht ausgeschlossen werden kann, sind auch weiterhin alle Hygieneregeln einzuhalten.
Sollte das Ausbruchsgeschehen trotz dieser Maßnahmen nicht begrenzt werden, sind weitere Schritte denkbar. Hierzu gehört etwa die Begrenzung der Zahl der Besucherinnen und Besucher auf einen festen Personenkreis. Wie ein Teil der Einrichtungen dies schon in der ersten Welle im Frühjahr praktiziert hat, sollten dann kompensatorisch Möglichkeiten der digitalen Kommunikation aktiv gefördert werden, um Sozialkontakte auch zu den Menschen ermöglichen, die auf einen physischen Besuch verzichten müssen.
Ein weiterer Schritt könnte darin bestehen, Besuche nur noch in ausgewiesenen Besuchsräumen zu ermöglichen, die durch entsprechende Belüftungssysteme einen höheren Schutz vor Aerosol-Übertragungen bieten. Auch dies schränkt die Freiheit der Heimbewohner und Besucher ein und sollte daher nur zum Einsatz kommen, wenn die anderen Maßnahmen sich als nicht ausreichend erwiesen haben.
Gleichermaßen sollten auch das Einrichtungspersonal regelmäßig in zwei- oder besser noch einwöchigem Rhythmus mittels Antigentest getestet werden, während Neuaufnahmen und Krankenhausrückkehrer regelmäßig einer PCR-Testung unterzogen werden sollten. Neben dem Eindringen des Virus in eine Einrichtung ist auch seine Verbreitung in der Einrichtung zu bekämpfen. Auch hierzu können Schnelltests einen Beitrag leisten, indem alle Bewohner und Beschäftigten unmittelbar nach Bekanntwerden eines Falls sofort getestet werden, so dass positive Bewohner isoliert und positiv getestete Beschäftige schon freigestellt werden können, während die Ergebnisse der PCR-Testung noch nicht vorliegen. Wenn dadurch auch nur zwei Tage gewonnen werden, kann das von entscheidender Bedeutung sein, um ein Infektionsgeschehen zu begrenzen.
Da sowohl der Infektionsschutz als auch die Aufrechterhaltung von Sozialkontakten wichtige Ziele sind, stehen Einrichtungen vor der Aufgabe, auch jenseits staatlicher Vorgaben schwierige Abwägungen durchzuführen. Sinnvoll erscheint es dabei auch, hausintern Stufenpläne zu erarbeiten, so dass im Fall des Auftretens einer Infektion auf ein zuvor ausgearbeitetes Handlungsschema zurückgegriffen werden kann.