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Corona

Merkel: Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig




Schulen und Kitas sollen trotz verschärfter Corona-Maßnahmen offen bleiben.
epd-bild / Jens Schulze
Als erforderlich und verhältnismäßig hat Kanzlerin Merkel die neuen harten Einschränkungen in der Corona-Pandemie bezeichnet. Im Bundestag appellierte sie eindringlich an die Verantwortung aller Bürger. Wenn die Intensivstationen erst voll seien, dann sei es zu spät. Die Opposition ging auf Distanz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die mit den Ministerpräsidenten der Länder vereinbarten drastischen Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verteidigt. Diese seien "geeignet, erforderlich und verhältnismäßig", sagte Merkel am 29. Oktober in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Die derzeitige Dynamik des Infektionsgeschehens könne die Intensivmedizin in wenigen Wochen überfordern, warnte Merkel und verwies darauf, dass sich die Zahl der intensivmedizinisch betreuten Covid-19-Patienten in den vergangenen zehn Tagen auf mehr als 1.500 verdoppelt habe. Wenn man warte, bis die Intensivstationen voll sind, "dann wäre es zu spät", sagte sie.

Merkel hatte am 28. Oktober mit den Regierungschefs der Länder erneute drastische Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens beschlossen. Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sollen ab der kommenden Woche für den ganzen November schließen. Die Bürger sollen ihre privaten Kontakte auf ein Minimum reduzieren.

Verständnis für Frust und Verzweiflung

Sie verstehe die Frustration und Verzweiflung aller, die trotz erarbeiteter Hygienekonzepte schließen müssten, sagte Merkel. Doch in der gegenwärtigen Situation könnten Hygienekonzepte ihre Kraft nicht mehr entfalten. Es gebe kein anderes Mittel als konsequente Kontaktbeschränkungen, um die Pandemie auf ein beherrschbares Niveau zu bringen.

Die Pandemie stelle die Demokratie auf eine "besondere Bewährungsprobe", sagte Merkel. Es sei richtig, wichtig und unverzichtbar, dass die Maßnahmen diskutiert, kritisiert und auf Angemessenheit hin befragt werden, betonte sie vor dem Hintergrund der Debatte um eine stärkere Beteiligung der Parlamente bei der Entscheidung über die Eingriffe in Grundrechte.

Zugleich warnte Merkel vor "beschwichtigendem Wunschdenken und populistischer Verharmlosung". Dies wäre nicht nur unrealistisch, "es wäre unverantwortlich". Merkel verurteilte bewusste Falschmeldungen über das Virus. Vom Bezug zu Fakten hänge nicht nur die Demokratie ab, "sondern davon hängen Menschenleben ab", sagte sie. An anderer Stelle würdigte sie explizit die Arbeit des Robert Koch-Instituts und anderer Experten in der Pandemie. Sie leisteten derzeit viele Überstunden.

Opposition rügt Vorgehen

In der heftig geführten Debatte entgegnete FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Lindner Merkel, wenn die parlamentarische Debatte die Demokratie stärken solle, müsse sie vor der Entscheidung geführt werden. Die Wirtschaft habe sich auf diesen Herbst vorbereitet, die Politik nicht. Nun müssten die Betriebe den Preis für die aktionistischen und teils widersprüchlichen Maßnahmen zahlen. Das sei "unfair", sagte Lindner.

Die Grünen signalisierten ihre Mitarbeit an gesetzlichen Änderungen und ihre grundsätzliche Zustimmung zu den neuen Maßnahmen. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Regierung aber vor, auf die jetzige Lage nicht vorbereitet gewesen zu sein. Aus der Infektionskrise sei damit auch eine Vertrauenskrise für Politik und Bevölkerung geworden, kritisierte sie.

Neuer Höchststand an Infektionen

Das Robert Koch-Institut meldete am 29. Oktober mit 16.774 registrierten Neuinfektionen an einem Tag erneut einen Höchststand von Ansteckungen. Fast 300 Landkreise und Städte haben laut aktuellem Situationsbericht des Instituts inzwischen den Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen überschritten. Die Marke gilt als Grenze für die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten durch die Gesundheitsämter.

Corinna Rüffer, Sprecherin der Grünen für Behindertenpolitik, sagte der Presse, es sei ein riesiges Versäumnis, dass die Sommermonate nicht dazu genutzt worden seien, um zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Konzepte jenseits freiheitsbeschränkender Maßnahmen zu entwickeln. "Besonders wichtig wäre es gewesen, Schutzstrategien für Menschen aus den Risikogruppen auf den Weg zu bringen, die nicht auf Isolation setzen, sondern auf niedrigschwellige Regelungen, die schützen und höchstmögliche Freiheit ermöglichen", so Rüffer.

Dazu gehörten Konzepte, die aufklären und Menschen bei Prävention und Kontaktvermeidung mitnehmen, weil sie nachvollziehbar sind, wie zum Beispiel reservierte Einkaufszeiten für ältere und behinderte Menschen, Lohnersatzleistungen und kostenlose Taxifahrten. Rüffer: "Darüber hinaus sind aber natürlich auch technische Lösungen nötig, ausreichend Personal in den Gesundheitsämtern und in der Intensivpflege sowie gute Teststrategien. Was im Frühjahr geschehen ist, darf sich nicht wiederholen. Diese Prämisse gehört endlich in den Fokus politischer Entscheidungen."

Caritas: Nachhaltige Strategien entwickeln

Die Caritas teilte mit, dieser Teil-Lockdown sei notwendig, um möglichst viele Menschen vor Infektionen zu schützen. "Gleichwohl muss die Politik in den Parlamenten um Lösungen ringen, eine längerfristige Strategie entwickeln und getroffene Maßnahmen immer wieder überprüfen."

Insbesondere die Alten- und Pflegeeinrichtungen müssten jetzt für ihre Hygiene- und Schutzkonzepte Unterstützung erfahren. "Gerade aktuell bei der Einführung der Testungen braucht es Konzepte und die notwendige finanzielle Unterstützung, damit genug Personal dafür vor Ort da ist", betonte der katholische Wohlfahrtsverband. Die Abschottung älterer Menschen und von Risikopatienten müsse unbedingt verhindert werden, und gleichzeitig sei ihr Schutz unumgänglich.

Malteser bauen Hilfen aus

Die Malteser kündigten Hilfen für unterstützungsbedürftige Menschen an. Die neue Herausforderungen seien beherrschbar: "Wir sind weiter als im Frühjahr und haben gelernt, was die Menschen benötigen, um diese Zeit möglichst gut zu überstehen. Wir können ihren Nöten trotz Corona begegnen", sagte der Präsident der katholischen Hilfsorganisation, Georg Khevenhüller: "Mit Kreativität lässt sich auch in schwieriger Situation viel Hilfe leisten."

Einkaufsservice, telefonischer Besuchsdienst, Essenslieferungen bis an die Haustür und die bundesweite Telefon-Hotline (0221/9822 9506) für lokale Hilfsangebote stünden ab sofort bereit. An 500 Standorten in Deutschland seien die Malteser auf die sozialen Bedürfnisse einsamer, alleinlebender, älterer und kranker Menschen, Menschen mit Behinderung sowie denjenigen in häuslicher Quarantäne vorbereitet. "Um die Infektionswelle aufzuhalten, müssen wir die Risikogruppen besonders schützen. Das bedeutet auch, dass sie besondere Hilfen bekommen und nicht nur einfach isoliert werden. Die soziale Begleitung ist systemrelevant", ergänzte Khevenhüller.

Corinna Buschow, Mey Dudin