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Handel

Experte: "Sozialkaufhäuser sind immer mehr Allrounder"




Ralf Hoburg
epd-bild/Claudia Reeh-Hoburg
Der Wissenschaftler Ralf Hoburg sieht Sozialkaufhäuser als Bereicherung der regionalen Ökonomie und der Stadtkultur. Er erinnert im Interview mit dem epd auch an die Wurzeln der Entstehung dieser Läden. Das waren Versuche, Jobsucher wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Heute gerate diese Idee immer mehr in den Hintergrund.

Mitte der 1990er Jahre öffneten in Deutschland die ersten Sozialkaufhäuser - oft initiiert als Projekte, um erwerbslosen Menschen wieder einen Job zu verschaffen. Doch bald kamen Aspekte wie der nachhaltige Handel mit gebrauchten Waren und das preiswerte Angebot für alle Käuferschichten dazu, sagt der hannoversche Professor für Sozialwirtschaft und Sozialmanagement, Ralf Hoburg, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Gespräch über den Flohmarkt unter Dach und Fach, die Konkurrenz zu Billiganbietern und die soziale Stadt von morgen. Die Fragen stellte Dieter Sell.



epd: Herr Professor Hoburg, mittlerweile gibt es in vielen Städten Sozialkaufhäuser. Wie ist die Idee entstanden?

Ralf Hoburg: Die Tradition der heutigen Sozialkaufhäuser in Deutschland liegt zuerst in den Arbeitsloseninitiativen seit den späten 1970er Jahren, die in Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege begannen, beispielsweise mit Fahrradläden oder Möbelwerkstätten. Eine zweite Traditionslinie hat die diakonische "Brocken-Sammlung" von Bethel begründet, mit der nach Ende des Zweiten Weltkriegs Hilfssammlungen organisiert wurden. Eine dritte Tradition liegt in den Stadtmissionen mit ihrem sozialen Engagement gegen Armut und Obdachlosigkeit. Das alles hängt zusammen mit einer in den 1990er Jahren anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, die Überlegungen auslöste, wie Menschen wieder auf den Arbeitsmarkt re-integriert werden könnten.

epd: Also gab es einen Wandel in der Zielsetzung?

Hoburg: Ja, das Ziel der Sozialkaufhäuser, die ab Mitte der 1990er Jahre aufkamen, lag dann zunächst im arbeitsmarktpolitischen Gedanken der Wiedereingliederung. Seit den Jahren 2005/2006 kam als zweiter Aspekt der Armutsdiskurs hinzu. Die soziale Schere in Deutschland verschob sich seit dieser Zeit deutlich, die Armut stieg an. Sozialkaufhäuser fanden jetzt ihr Profil, in dem sie im Rahmen der Zivilgesellschaft einen Tausch ermöglichten: Menschen spenden Gegenstände wie Hausrat und Möbel sowie Kleidung, Kindersachen, Bücher und Spiele, die noch verwendet werden können. Auf der Gegenseite können Menschen hier Dinge des alltäglichen Lebens zu günstigen Preisen erwerben.

epd: Wie haben sich die Häuser bis heute entwickelt?

Hoburg: Sie sind zum Marktplatz unter einem Dach geworden, der etwa dem des Flohmarktes gleicht - wobei hier die Preise feststehen. Sozialkaufhäuser haben ihr Warenangebot vergrößert und sind immer mehr zu Allroundern geworden, die kommerziellen Kaufhäusern in der Struktur ähneln. Gleichzeitig entstehen sowohl Spezialisierungen von Sozialkaufhäusern zum Beispiel auf Antiquitäten als auch Kettenbildungen durch Filialisierung. Mittlerweile sind sie in Großstädten und in Städten mittlerer Größe angekommen und sind eine Konkurrenz zu kommerziellen Billiganbietern. Sie haben ihren Sondercharakter verloren und bilden eine eher selbstverständliche Geschäftsform eines Unternehmens inmitten der Vielfalt anderer Geschäfte. Die Ursprungsidee, die in der Arbeitsmarktpolitik lag, gerät langsam in den Hintergrund. Noch halten aber viele Sozialkaufhäuser an der Integration von Langzeitarbeitslosen fest, obwohl die Erwerbslosenzahl über längere Zeit gesunken ist.

epd: Ist das ein wachsender Bereich?

Hoburg: Eine Gesamtzahl ist nicht bekannt, auch Schätzungen fallen schwer. Aber seit 2010 expandiert der Markt ganz massiv, Träger sind meist Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege. Gründe für das Wachstum dürften die steigende Armut in bestimmten Regionen und Bevölkerungsschichten sowie Migration, Zuzug und Asyl sein. Möglicherweise ist die Gründungswelle aber zu Ende, die Zahl stagniert. Vielleicht gehen kleinere Initiativen sogar in die Insolvenz.

epd: Ähnlich wie bei den Tafeln gibt es auch im Zusammenhang mit den Sozialkaufhäusern die Kritik, Einrichtungen dieser Art bekämpften die Armut nicht, sondern verfestigten sie. Wie sehen Sie das?

Hoburg: Sie sind nicht vergleichbar mit der Tafelbewegung, das verkennt den ökonomischen Grundgedanken der Sozialkaufhäuser. Sie knüpfen eher an Formen der Share-Economy wie Tausch-Plattformen im Internet an. Es geht ja eben nicht nur darum, Armut zu lindern. Sozialkaufhäuser fördern und unterstützen lokale Ökonomien und sind gleichzeitig ein Beitrag zu einer sozialen Arbeitsmarktpolitik. Sie sind Teil einer sozialen Konsum- und Einkaufsgesellschaft aller Schichten, in der Aspekte der Wiederverwendung und damit der Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen.

epd: Was wäre wichtig, damit sich Sozialkaufhäuser als Teil der regionalen Ökonomie und der Stadtkultur gut entwickeln können?

Hoburg: Innenstädte beklagen den Verlust der Kaufhäuser, weil dadurch Bezugspunkte verloren gehen. Sozialkaufhäuser sollten in Zukunft diese frei gewordenen Plätze deutlicher entdecken, auch architektonisch. Ein Beispiel, wie das aussehen könnte, gibt das Sozialkaufhaus "Fairkauf" in Hannover, das in einem ehemaligen Möbelkaufhaus entstanden ist. Die Insolvenzwelle der Kaufhäuser bietet Platz für neue multifunktionale Inszenierungen. Sozialkaufhäuser könnten hier mit innovativen Laden-Konzepten leer gewordene Orte in den Innenstädten besetzen, Läden und Wohnraum kombinieren und damit Arbeitsplätze und Begegnungsräume in einer sozialen Stadt von morgen entwickeln.

Dieter Sell