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Forschung

Bethel legt Studie zu Medikamententests an Minderjährigen vor



Auch in Bethel wurden früher nicht zugelassene Medikamente an jungen Patienten erprobt. Absicht war es, bessere Arzneien etwa für Epileptiker zu entwickeln. Allerdings wurden die Eltern nicht um Zustimmung gebeten, was Bethel heute zutiefst bedauert.

Auch in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel sind bis zu Beginn der 1970er-Jahre laut einer Studie in Deutschland noch nicht zugelassene Medikamente an Minderjährigen erprobt worden. Bei dem von Bethel selbst gestarteten Forschungsprojekt seien in den Krankenakten keine schriftlichen Genehmigungen der Eltern oder eines Vormunds gefunden worden, teilte das diakonische Unternehmen am 20. Juli in Bielefeld mit. Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen bedauerten die Vorfälle zutiefst.

Bei den länger als sechs Monate in Bethel stationär behandelten Kindern und Jugendlichen seien in knapp einem Viertel der Fälle sogenannte Prüfpräparate und Import-Medikamente zum Einsatz gekommen, erklärten die v. Bodelschwinghschen Stiftungen. Nur in Einzelfällen gab es laut Studie Hinweise auf eine indirekte oder mündliche Zustimmung durch Erziehungsberechtigte.

Keine Einwilligung eingeholt

Die Einwilligung in und die Aufklärung über Arzneimittelerprobungen seien auch damals schon "rechtlich und ethisch geboten", jedoch "kein Standard der klinischen Praxis" gewesen, erklärte der an der Studie beteiligte Münsteraner Historiker Niklas Lenhard-Schramm. Damit habe sich Bethel nicht von anderen Einrichtungen unterschieden, in denen seinerzeit Arzneimittel erprobt worden seien. Eine mögliche Schädigung von Bewohnern durch die Medikamentenprüfungen konnte demnach auf Grundlage der Krankenakten nicht festgestellt werden.

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen bedauerten die Versäumnisse der Vergangenheit "zutiefst", erklärte Pastorin Johanna Will-Armstrong vom Bethel-Vorstand: "Man hätte die Eltern über die Arzneimittelerprobungen aufklären und ihre Zustimmung einholen müssen."

Der Studie liegt den Angaben zufolge eine Zufallsstichprobe von 265 jungen Patientinnen und Patienten zugrunde - bei 63 von ihnen (23,8 Prozent) seien Prüfpräparate verordnet worden. In etwa zwei Drittel der Fälle handelte es sich demnach um Antiepileptika, bei einem Drittel um Psychopharmaka. Bei sechs dieser Kinder und Jugendlichen sei sowohl ein Antiepileptikum als auch ein Psychopharmakon untersucht worden, bei zwei jungen Patienten sei ein noch nicht zugelassenes Tuberkulosemittel eingesetzt worden. Insgesamt waren laut der Mitteilung zwischen 1949 und 1975 2.741 Minderjährige mindestens sechs Monate zur stationären Behandlung im Langzeitbereich von Bethel aufgenommen.

Oft Tests in Heimen gemacht

Solche Medikamententests an Minderjährigen seien in dem untersuchten Zeitraum in zahlreichen Heimen und Psychiatrien durchgeführt worden, erklärte die Medizinhistorikerin und Psychiaterin Maike Rotzoll aus Heidelberg. Bethel sei eine der größten und traditionsreichsten Einrichtungen zur Versorgung von an Epilepsie erkrankten Menschen - bis Ende des Zweiten Weltkriegs habe es kaum wirksame Medikamente gegen die Krankheit gegeben. Somit habe ein großes Interesse an neuen Arzneimitteln bestanden, fügte Rotzoll hinzu.

Der Bochumer Theologe Traugott Jähnichen sagte als Vorsitzender des Beirats für die Studie, vor dem Hintergrund der Aufnahme vieler schwerster Fälle von Epilepsie-Erkrankungen habe sich Bethel auch in der klinischen Forschung für bessere medikamentöse Therapien engagiert. Mit der von unabhängigen Experten verfassten Studie trage Bethel erheblich zur Versachlichung und Klärung der umstrittenen früheren Arzneimittelprüfungen an Kindern und Jugendlichen bei, würdigte Jähnichen.

Das Forschungsprojekt zu möglichen Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen in Bethel hatte Ende 2017 begonnen. An der jetzt vorgelegten Studie war neben den Historikern Lenhard-Schramm und Rotzoll auch der Kinderneurologe Dietz Rating aus Heidelberg beteiligt. Die Ergebnisse sollen voraussichtlich im Oktober bei einem Symposium in der Fachöffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden, kündigte Bethel an. Den Anstoß für das Projekt hatte die Studie einer Pharmakologin gegeben, die auf Daten von Medikamententests durch die Pharmaindustrie an Kindern und Jugendlichen in Wohlfahrtseinrichtungen gestoßen war.

Holger Spierig