sozial-Politik

Flüchtlinge

Gastbeitrag

Flüchtlinge: Jobverlust in der Krise gefährdet die Duldung




Marlene Thiele
epd-bild/Viktor Strasse/Netzwerk Unternehmen integrieren
Das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge berät seit Jahren Betriebe, die Geflüchtete beschäftigten oder ausbilden. Dann kam Corona. Marlene Thiele berichtet in ihrem Gastbeitrag von Erfahrungen der Firmen in Krisenzeiten, was der Verlust der Arbeitsstelle für Geflüchtete bedeutet und welche zukünftigen Herausforderungen auf die Integrationsarbeit warten.

Für weite Teile der Wirtschaft führt die Corona-Krise zu erheblichen Einbußen, in einigen Betrieben bedroht sie gar die Existenz. Laut aktueller DIHK-Blitzumfrage unter mehr als 10.000 Unternehmen leiden 60 Prozent der Betriebe weiterhin unter einer gesunkenen Nachfrage. Vier von fünf Unternehmen erwarten für das gesamte Jahr Umsatzeinbrüche. Beschäftigte sind vermehrt in Kurzarbeit, Arbeitsplatzverluste beispielsweise infolge von Insolvenzen lassen sich nicht immer vermeiden. In diesem Umfeld sind die Ausbildung und Beschäftigung von Geflüchteten eine noch größere Herausforderung.

Wir sprechen regelmäßig mit Betrieben, die die Ausnahmesituation von Ausbildung und Integration von Geflüchteten in der Corona-Krise auf kreative Art und Weise bewältigen. Der Großteil der Unternehmen macht keinen Unterschied zwischen Beschäftigten mit und ohne Fluchthintergrund. Sie versuchen, wenn irgend möglich, alle Beschäftigten zu halten.

An der Arbeit hängt sehr viel für Flüchtlinge

Gleichzeitig hängt für geflüchtete Menschen in Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung vom Arbeitsplatz auch der befristete Aufenthalt in Deutschland ab, so dass eine zusätzliche Verunsicherung mit der Entwicklung verbunden ist. Auch für die betroffenen Betriebe wird die Situation dadurch schwieriger.

Denn bei Abbruch oder Verlust der Ausbildung hat ein Geflüchteter, der sich in Ausbildungsduldung befindet, einmalig sechs Monate Zeit für die Suche eines neuen Ausbildungsplatzes, ohne dass seine Duldung erlischt. Geflüchtete in Beschäftigungsduldung haben drei Monate Zeit, einen neuen sozialversicherungspflichtigen Job zu finden.

Zwar sind aufgrund der Einschränkungen rund um COVID-19 die Asylverfahren und entsprechend auch Abschiebungen zum Teil ausgesetzt, doch inwieweit die gesetzlich geregelte Frist derzeit zur Suche einer neuen Ausbildungs- oder Arbeitsstelle reicht und wie viele Menschen in Duldung im Zuge dessen von einer Abschiebung bedroht sind, wird sich wohl erst in den kommenden Monaten zeigen.

Handeln aus sozialer Verantwortung

Wir befragen jedes Jahr unsere Mitgliedsunternehmen zum aktuellen Stand der Integration von Geflüchteten. Dazu gehört auch die Frage nach den Beweggründen für die Ausbildung und/oder Beschäftigung von Geflüchteten. Die häufigste Antwort war stets die soziale Verantwortung, die die Betriebe übernehmen möchten (Anstieg von 80 auf 84 Prozent von 2018 bis 2019).

Auf der anderen Seite hat der Treiber Fach- und Hilfskräftemangel in der letzten Befragung stark zugenommen: Drei von vier Mitgliedsunternehmen beschäftigen aus diesem Grund Geflüchtete (von 65 auf 74 Prozent von 2018 bis 2019).

In den vergangenen Jahren konnten viele Geflüchtete von dem Fachkräftemangel in vielen Branchen hierzulande profitieren. Sollte sich die Zahl der Arbeitssuchenden in den kommenden Monaten aber deutlich erhöhen, wird es vermutlich einigen Betrieben schwerer fallen, den Mehraufwand zu investieren, der durch behördliche Auflage oder Sprachförderbedarf für Geflüchtete mitunter entsteht.

Unser Wunsch in der aktuellen Situation ist ganz klar, dass Unternehmen die Zielgruppe Geflüchtete nicht aus den Augen verlieren. Der Arbeitsplatz ist für Geflüchtete nicht nur für ihren Lebensunterhalt wichtig, hier entsteht auch Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen - er ist ein ganz wichtiger Ort der Integration.

Unsere jüngste Mitgliederbefragung zeigt auch: Mehr als jedes zweite Unternehmen im Netzwerk (56 Prozent) bildet Geflüchtete aus. Bei der Mitgliederbefragung 2016 war es noch jedes dritte Unternehmen (35 Prozent). Die Ausbildung ist mit Abstand die häufigste Beschäftigungsform unter unseren Mitgliedern. Und auch die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bestätigen diesen Trend: Seit 2015 ist die Zahl der Geflüchteten in Ausbildung um das Achtfache angestiegen und lag im September 2018 bei 55.000.

Zu der Frage, wie die Corona-Pandemie diese Werte verändern wird, liegen noch keine Daten vor. Insgesamt zeichnet sich aber ab, dass die Zahl der neuen Ausbildungsverträge derzeit erkennbar hinter jenen des Vorjahreszeitraums zurückbleiben. Dies wird auch für Geflüchtete spürbar sein.

Lehrstellen soll nicht reduziert werden

Gleichzeitig geben uns Mitgliedsunternehmen derzeit aber auch das deutliche Signal: Die Zahl der Ausbildungsstellen soll nicht reduziert werden, auch Betriebe in Kurzarbeit wollen Auszubildende mit Fluchthintergrund übernehmen, andere entwickeln kreative Ideen, um für die neue Ausbildungssaison auch bei sozialer Distanz in Kontakt mit der Zielgruppe zu kommen.

Eines ist jedoch schon heute klar: Für Geflüchtete, die bereits in Ausbildung sind, haben die Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie enorme Auswirkungen. Verständnisprobleme aufgrund fehlender Sprachkenntnisse sind beispielsweise digital viel schwerer zu lösen als direkt in der Schule. Außerdem haben viele Geflüchtete keinen Laptop, um dem digitalen Unterricht zu folgen oder müssen sich das Gerät mit anderen teilen. Das erschwert auch die Vorbereitungen auf die Prüfungen, die für Nicht-Muttersprachler ohnehin schon herausfordernd sind.

Das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge wurde 2016 als gemeinsame Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gegründet. Mit unseren fast 2.500 Mitgliedern sind wir deutschlandweit der größte Zusammenschluss von Unternehmen, die sich für die Beschäftigung von Geflüchteten engagieren.

Auch wir spüren in unserer Arbeit mit den Firmen die Veränderung durch die Corona-Pandemie deutlich. Während wir im vergangenen Jahr auf mehr als 100 Veranstaltungen in ganz Deutschland mit Betrieben im Austausch waren, mussten wir nun neue Wege finden und haben unser Angebot an Webinaren und digitalen Workshops deutlich ausgebaut. Unsere Aufgabe wird nun auch sein, Unternehmen dafür zu begeistern, auch in Krisenzeiten ihr Engagement für Vielfalt und Geflüchtete aufrechtzuerhalten. Deshalb abschließend der Hinweis: Unsere Angebote wie auch die Mitgliedschaft im Netzwerk ist kostenlos.

Marlene Thiele ist Projektleiterin im "Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge"


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