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Homeoffice für immer?




Eine Frau arbeitet in Hannover im Homeoffice.
epd-bild/Jens Schulze
Als Corona ausbrach, ermöglichten die Unternehmen quasi über Nacht Millionen Mitarbeitern Telearbeit in den eigenen vier Wänden - notgedrungen. Für viele könnte das die Zukunft der Büroarbeit sein. Doch die schöne neue Arbeitswelt hat noch ungeahnte Tücken - das weiß nicht nur der DGB.

War das Homeoffice bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie in vielen Branchen noch eher selten, so könnte der jetzige Ausnahmezustand mit Millionen "Heimarbeitern" zur Regel werden - verbunden allerdings mit zahlreichen Problemanzeigen, etwa beim Arbeitsschutz. Doch eine Mehrheit der Telearbeiter will ohnehin lieber heute als morgen wieder zurück ins Büro. Das, was sich derzeit in Deutschlands Arbeitswelt tut, ist ein riesiges Sozialexperiment - mit durchaus offenem Ausgang.

"Homeoffice ist die Zukunft der Arbeitswelt", sagen die Zukunftsforscher Daniel Dettling und sein Bruder Thomas J. Dettling. Es gehe künftig "um mehr Selbständigkeit, um unternehmerisches Mitgestalten und um die Entfaltung aller Potenziale". Dazu, so die Experten, müssten Mitarbeitern in "agilen Teams" maximale Freiräume gegeben werden. Das, so betonen die Brüder, setze jedoch ein völlig anderes Führungsverständnis von Vorgesetzten voraus: "Das hat etwas mit 'loslassen' zu tun."

So eindeutig positiv sieht die Soziologin Bettina Kohlrausch, neue Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die Beschäftigung daheim nicht. "Die Arbeit im Homeoffice kann die Autonomie der Beschäftigten erweitern oder im Gegenteil zu mehr Kontrolle führen." Und sie betont, dass das Homeoffice "der zunehmenden Kontrolle, Intensivierung und Entgrenzung der Arbeit Vorschub leistet".

Zwischen neuer Freiheit und mehr Stress

Damit benennt die Expertin die beiden Pole, zwischen denen sich die Bewertung von Vor- und Nachteilen der Telearbeit aktuell bewegt: dem Zugewinn an individueller Freiheit einerseits und dem wachsenden Stress wegen immerwährender Erreichbarkeit, tendenziell längerer Arbeitszeiten und dem Verwischen der Grenzen zwischen "Home" und "Office" auf der anderen Seite.

Betroffen sind Millionen von Beschäftigten. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stieg im April die Zahl der Heimarbeiter von 12 auf 35 Prozent aller Beschäftigten. Im Mai lag deren Zah bei 44,6 Millionen.

Viele, die zunächst begeistert ihren Laptop auf der Couch aufgeklappt oder den PC auf den Küchentisch gestellt haben, betrachteten die Verbannung aus dem Büro zunächst als willkommene Abwechslung. Dabei, so scheint es, hatten sie die negativen Folgen wie die soziale Isolation, fehlenden "Flurfunk" und Arbeitsschutz oder die Gefahren der Selbstausbeutung zunächst nicht auf dem Schirm. Das ändert sich nun, wohl auch wegen eigener negativer Erfahrungen: Die Zustimmung zum Homeoffice auf Dauer bröckelt erkennbar, wie Umfragen belegen.

Erste Euphorie ist längst verflogen

Viele Heimarbeiter waren in ihrer ersten Euphorie angetan vom gefühlten Zugewinn an Lebensqualität, nicht zuletzt dadurch, dass sie unbeobachtet im Schlabberlook und auf Strümpfen ihren Job verrichten konnten. Doch nach über vier Monaten haben die Deutschen den Job in der eigenen Wohnung offenbar schon wieder satt. "Die Arbeit im Homeoffice kann dazu führen, dass die Beschäftigten vereinsamen, weil sie kaum noch im vertrauten Kollegenkreis zusammenarbeiten", sagt Aline Zucco vom Referat Genderforschung des WSI.

Inzwischen scheinen viele Büroangestellte für die Zukunft eine "hybride Arbeitsweise" zwischen Präsenz im Unternehmen und dem Homeoffice zu bevorzugen. Karl Edlbauer, Geschäftsführer der Stellenbörse Hokify, sagte der FAZ: "Es wird sich eine Mischform einpendeln, die je nach Funktion und Branche unterschiedlich sein wird."

Auch der Arbeitswissenschaftler Axel Haunschild aus Hannover sieht für die Zukunft keine virtuelle Arbeitsgesellschaft: "Es wird viel mehr Hybridlösungen geben, wo man einen Teil der Arbeit im Büro verbringt, einen Teil zu Hause."

Der Psychologe und Marktforscher Stephan Grünwald hat die Corona-Folgen genau beobachtet: "Einige Arbeitnehmer erlebten eine Art Vorhölle: Homeoffice, Homeschooling, Kinderbetreuung, enge Lebensverhältnisse, Existenzängste, Überforderung. Andere beschreiben diese Zeit als wahre Glückseligkeit: Da wurde neben der Arbeit gegärtnert, getöpfert, man genoss die Entschleunigung und das Leben im Corona-Biedermeier."

Jetzt beginnt laut Grünwald die dritte Phase. Unternehmen bemühten sich, zur Normalität zurückzukehren. Aber: "Wer den Lockdown als eine Phase der Entspannung erlebt hat, möchte dieses Lebensgefühl nur ungern wieder aufgeben."

Jeder Zweite sehnt sich nach Rückkehr ins Büro

Umfragen spiegeln indes eine andere Sicht. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov berichtet, etwa jeder zweite Beschäftigte (47 Prozent), der wegen der Corona-Krise im Homeoffice ist, will so bald wie möglich an den Arbeitsplatz zurückkehren. Männer wollen deutlich häufiger zurück ins Unternehmen (52 Prozent) als Frauen (41 Prozent), wie aus der Erhebung hervorgeht.

Und wie sieht Experte Grünwald die Zukunft? "Im aktuellen Change-Prozess liegt eine riesige Chance für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer." Denn wenn Mitarbeiter im Homeoffice effizienter arbeiten könnten als im Büro, dann freue sich auch der Arbeitgeber über diesen Produktivitätszuwachs. Doch ist das wirklich so?

Dass sich am heimischen Schreibtisch effektiver arbeiten lässt als im Büro darf bezweifelt werden. Einer Studie der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität zufolge gaben Telearbeiter einen selbst empfundenen Rückgang ihrer Produktivität um durchschnittlich rund zehn Prozent an.

40 Prozent schaffen daheim weniger

Laut DIW arbeitet nur jeder zehnte Befragte zuhause mehr und besser. 40 Prozent machen die gegenteilige Erfahrung: Sie schaffen weniger, was auch mit der individuellen Situation zu tun hat. Wer sich auch um Kinder kümmern muss, ist massiv belastet.

Gleichwohl betont Experte Grünwald: "Wir werden in den nächsten Monaten sehen, dass sich neue Formen der Zusammenarbeit etablieren, weil nicht jeder mehr seinen festen Platz im Büro einnimmt." In Bürokomplexen würden freie Flächen entstehen, die neu genutzt werden könnten - zum Beispiel für Kreativräume oder Stillarbeitsplätze.

Der Wille zu Veränderungen in der Arbeitsorganisation scheint vorhanden zu sein: Nach einer noch nicht veröffentlichten Umfrage des Fraunhofer Instituts und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung erklärten 89 Prozent der Unternehmen, Homeoffice lasse sich umsetzen, ohne dass daraus Nachteile entstünden. Und: Knapp über die Hälfte (54 Prozent) der Unternehmen in Deutschland wollen einer Umfrage des ifo Insituts zufolge Homeoffice dauerhaft stärker etablieren. "Die Coronakrise könnte einen dauerhaften Schub fürs Homeoffice bedeuten", sagte Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.

Gewerkschaften hoffen auf Heils Gesetz

Die Gewerkschaften sehen für die Zukunft noch jede Menge Regelungsbedarf, allem voran beim Arbeitsschutz. "Die größte Gefahr des Homeoffice stellt die Entgrenzung und die ständige Erreichbarkeit dar. Das bedeutet, dass durch die Arbeit von zu Hause aus große Gefahr besteht, dass der Acht-Stunden-Tag, Pauseregelungen und Höchstarbeitszeiten überschritten werden", sagte Aline Zucco. Und sie verweist auf eine eigene Umfrage vom April zur Akzeptanz des Homeoffice: "Die Arbeit von zu Hause aus ist ein Prozess, der Zeit braucht, und an den sich Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer gewöhnen müssen."

Auch Arbeitswissenschaftler Haunschild fordert klare Regeln für die Arbeit im Homeoffice. "Ein zurück in die Zeit vor Corona wird schwierig." Allerdings müssten Bedingungen neu ausgehandelt werden. In vielen Unternehmen gebe es keine klaren Regeln für das Homeoffice. "Im Moment bewegen wir uns oft in einer Grauzone", sagt Haunschild. Es bestehe die Gefahr, dass vieles, was zum Beispiel zum Arbeitsschutz ausgehandelt wurde, jetzt über Bord geworfen werde.

DGB beklagt Wildwuchs

Die Gewerkschaften hoffen nun auf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der bis zum Herbst ein Gesetz zum Recht auf Homeoffice vorlegen will. "Was nicht geht, ist die vollkommene Willkür und der Wildwuchs, den es durch die Corona-Pandemie beim Homeoffice immer noch gibt", betont Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte sie, es brauche "dringender denn je einen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten und Homeoffice". Dazu gehöre ein Rechtsanspruch auf selbstbestimmtes, freiwilliges mobiles Arbeiten, den der Arbeitgeber nur aus dringenden betrieblichen Gründen ablehnen kann.

Piel betont, dass Stressbelastungen durch ausufernde Arbeitszeiten und verkürzte Ruhezeiten in Folge ständiger Erreichbarkeit nachweislich machten. "Auch im Home Office brauchen die Beschäftigten deshalb zum eigenen Schutz eine verlässliche Arbeitszeiterfassung. Das Recht auf Abschalten und Nichterreichbarkeit muss auch für den Arbeitsplatz zu Hause gelten."

Außerdem dürfe mobiles Arbeiten nicht als Vorwand dienen, Arbeitsplätze im Büro einfach wegzurationalisieren. "Der Betrieb ist als Ort der sozialen Begegnung ebenso unverzichtbar wie als Raum für betriebliche Mitbestimmung. Das ist eine wichtige Erfahrung aus der Zeit des Social Distancing."

Dirk Baas


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