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Wenn das Handy eine Depression verrät




Forscher wollen aus der Handynutzung Erkenntnisse gewinnen, ob eine Depression droht.
epd-bild / Stefan Arend
Gegen die zunehmenden Depressionen bei Minderjährigen könnte das Smartphone helfen: Tübinger Wissenschaftler suchen im Handygebrauch frühe Anzeichen für das Heranrücken der Krankheit.

Bei Jugendlichen, die eine Depression hatten, besteht ein hohes Risiko, erneut krank zu werden: Die Rückfallquote liegt innerhalb von fünf Jahren bei 70 Prozent. Deshalb möchte der Tübinger Psychologe Stefan Lüttke ein Frühwarnsystem per App entwickeln. Als Grundlage dient eine bereits laufende Studie, mittels der das Smartphone-Verhalten von Jugendlichen Hinweise auf Störungen geben soll.

"Wir möchten herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen der Smartphone-Nutzung und der Depression bei Jugendlichen gibt", erklärt Lüttke, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Tübinger Universität in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie. Laut seinen Berechnungen leiden in Deutschland 450.000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren an einer Depression. Ein frühes Anzeichen könne sein, wie oft Jugendliche das Handy einschalten und Nachrichten auf WhatsApp, Instagram oder anderen Sozialen Medien nutzen.

Häufige Nutzung von Kanälen ist verräterisch

"Unsere Vermutung ist, dass man diese sozialen Kanäle bei Beginn der Krankheit zunächst häufiger als gewohnt einsetzt, um seinen Freunden mitzuteilen, dass es einem nicht so gutgeht. Im fortgeschritteneren Stadium gehen wir davon aus, dass die Betroffenen kaum noch Energie haben und sich deshalb auch weniger in den Sozialen Medien bewegen", erklärt der Psychologe.

Weitere Hinweise könnten GPS-Daten geben, die etwas über die Aktivitäten aussagen. "Wenn man in eine Depression reinrutscht, will man nicht mehr nach draußen, sondern man zieht sich zurück. Im schlimmsten Fall macht man gar nichts mehr und liegt nur noch im Bett."

Drittes Kriterium ist die Wortwahl, die durch eine vom Jugendlichen genehmigte Einsicht in seine Chats offensichtlich werden kann. Meist seien das Chats, in denen man einem Freund schreibt - deren detaillierte Daten von den Forschern jedoch nicht gelesen werden. Die Nachrichten der betroffenen Jugendlichen würden häufig Wörter mit Negationen aufweisen: "Keiner mag mich, alles ist doof". "'Niemals' oder 'nie' sind ebenfalls Wörter, die ein Schwarz-Weiß-Denken zeigen", erläutert Lüttke.

Außerdem erhalten die Betroffenen dreimal täglich über eine Smartphone-App Anfragen zu ihrer aktuellen Stimmung. Damit soll zwischen depressiven Symptomen und Stimmungsschwankungen unterschieden werden, die in der Pubertät üblich sind.

Studie läuft seit April vergangenen Jahres

Seit April 2019 läuft die Studie, an der Jugendliche beteiligt sind, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde. Eine Woche lang dauert die Beobachtung des Smartphone-Verhaltens. Die Studie versteht sich als Grundlagenforschung, in der Daten gesammelt werden, um später einen Algorithmus zu entwickeln, der Herz einer Frühwarn-App sein soll. "Wir hoffen, mit der App einen Weg zu finden, schneller reagieren zu können, wenn es Anzeichen auf eine erneute Depression gibt", erklärt Lüttke.

Denkbar ist, dass die App Zahlenwerte zwischen 0 und 100 errechnet (wobei Null für keine Anzeichen steht), die sich aus den hinterlassenen Aktivitäten des Smartphone-Nutzers ergeben. Täglich könnten die Betroffen dann sehen, auf welchem Level sie sind. Zeigt die App einen kritischen Wert an, sollten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. "Man handelt, bevor die Depression einsetzt. Oft helfen schon ein bis zwei Gespräche beim Therapeuten", sagt Lüttke.

Außerdem sollen die Jugendlichen per App Hilfe bekommen, beispielsweise indem ihnen konkrete Vorschläge gemacht werden, was sie Gutes für sich tun können. Diese Eigenaktivität habe bei Jugendlichen einen hohen Stellenwert. "Sie möchten ihre Probleme selbst lösen."

Auch die Anonymität spreche für die App. "Jugendliche holen sich bei psychischen Problemen aus Scham nicht gern Hilfe. Sie möchten nicht in den Ruf geraten, ein 'Psychos' zu sein." Die Signalfunktion könne auch bei Ärzten gute Dienste leisten, etwa indem die Mediziner mitgeteilt bekommen, wenn es ihren Patienten schlechter geht, hofft der Psychologe.

Birgit Vey