Berlin (epd). Einer aktuellen DIHK-Umfrage zufolge treffen das Coronavirus und seine wirtschaftlichen Folgen deutsche Gesundheitsbetriebe überdurchschnittlich stark. "Bei einer Reihe von Einschränkungen, die jetzt erlassen oder diskutiert werden, sind gesundheitsrelevante oder sogar lebensnotwendige Dienstleistungen oder Produkte stark beeinträchtigt", warnte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Achim Dercks am 12. März in Berlin. Die Lebenshilfe mahnte besondere Schutzmaßnahmen für Menschen mit Behinderung an, die Arbeiterwohlfahrt nahm alleinlebende Senioren in den Blick.
Dercks sagte, es sei fragwürdig, die wirtschaftliche Betätigung während der Corona-Pandemie zu stark einzuschränken. "Das würde der Gesundheitsversorgung einen Bärendienst erweisen." Er forderte "staatliches Handeln mit Augenmaß".
So treffe zum Beispiel das Exportverbot für Schutzausrüstung auch deutsche Pharmahersteller, die damit ihre Mitarbeiter in ausländischen Produktionsstätten ausrüsten müssen, um dort Medikamente herzustellen.
Aus der DIHK-Analyse geht auch hervor, dass die Unternehmen auch bei den direkten Dienstleistungen für Patienten Engpässe erwarten. So rechnen in der Gesundheitswirtschaft fast die Hälfte der Unternehmen (47 Prozent) mit erheblichen Problemen aufgrund krankheitsbedingter Ausfälle. Der Wert liege damit höher als im Durchschnitt aller Betriebe (34 Prozent).
"Viele Unternehmen der Gesundheitswirtschaft haben die Sorge, dass die Versorgung der Patienten vor Ort etwa mit dringlichen medizinischen Produkten wie Flüssigsauerstoff beeinträchtigt wird, wenn zu viele Mitarbeiter zu Hause bleiben müssen", sagte Dercks.
"Da sich das Corona-Virus immer weiter ausbreitet, müssen wir auf Menschen mit Behinderung in besonderer Weise achten", sagte Ulla Schmidt, die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. Sie hätten in den Einrichtungen, Zuhause, bei der Arbeit und in Schulen wegen Vorerkrankungen häufig ein erhöhtes Risiko schwer zu erkranken. "Ihren Schutz und ihre Versorgung sicherzustellen, ist unsere gemeinsame Aufgabe", mahnte Schmidt.
Deshalb müsse auch bei Schließungen, zum Beispiel von Werkstätten und Schulen, die Finanzierung ebenso gesichert werden wie für Unternehmen. Dazu gehöre auch die Bezahlung von Assistenzkräften wie Schulhelfern.
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte in Berlin, ältere Menschen und ihre Familien sollten ihre Gewohnheiten überdenken, beispielsweise Busse und Bahnen meiden und keine größeren Freizeitveranstaltungen besuchen. Besonders schutzbedürftig seien Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen. Die Pflegekräfte seien gefordert, sie zu schützen und sich zugleich selbst nicht zu gefährden. "Der Spagat wird nicht einfach zu bewältigen sein", sagte Giffey.
Zuvor hatte die bayerische Arbeiterwohlfahrt auf die Gefahren für alleinlebende Senioren in der Corona-Krise hingewiesen. Landesvorsitzender Thomas Beyer sagte, ausgerechnet diese Risikogruppe komme in der Diskussion um Maßnahmen gegen die Coronaverbreitung bislang nicht vor. Die vielen älteren Menschen, die ganz alleine lebten, dürften jedoch in dieser Situation nicht vergessen werden - "sind sie es doch, die bei einer Ansteckung am meisten gefährdet sind", so Beyer. Gefragt sei nun das bayerische Sozialministerium, von dem er sich eine Initiative erwarte.
Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) erklärte sich bereit, zeitnah eine Runde mit Vertretern der Wohlfahrtsverbände und der kommunalen Spitzenverbände zu organisieren. Um für die älteren Mitbürger etwas voranzubringen, will Trautner "alle, die hier etwas beitragen können", zu einem offenen Austausch einladen und das weitere Vorgehen beraten. Sie nehme die Sorgen der Menschen wegen Corona sehr ernst, sagte die Ministerin auf Anfrage.
Beyer begrüßte diese Initiative. Denn sich einzig auf eine funktionierende Nachbarschaftshilfe zu verlassen, sei zu wenig. Stattdessen müssten Einkaufshilfen organisiert werden, damit Senioren nicht gezwungen seien, dies selber zu tun - angesichts der Empfehlung, dass sie große Menschenmengen meiden sollen. Auch Besuchsdienste müssen laut Beyer initiiert werden, um den Kontakt zu den alleinlebenden älteren Menschen zu halten oder zu schaffen.
Im Umgang mit dem Coronavirus in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen fordert Meißner insbesondere die Pflege- und Krankenkassen, die Medizinischen Dienste der GKV und PKV zur aktiven Mithilfe bei der Bekämpfung der sich durch das Coronavirus in der Pflege abzeichnenden Krisensituation auf.
"Die Institutionen des Pflege- und Gesundheitswesens sind in der größten Krise völlig abgetaucht", rügte Thomas Meißner, Vorstandsmitglied des Berliner AnbieterVerbands qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen. Von deren Entscheidungsträgern im Bund und in den Ländern höre man in Sachen Corona nichts, sagte Meißner. Und das, obwohl das Virus "eine ernste Bedrohung der Versorgungssicherheit im Pflege- und Gesundheitsbereich darstellt".
Die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen hätten große Ängste im Umgang mit dem Virus und den sich daraus ergebenden Folgen. "Die Dienste stehen unter enormem Stress und stellen sich die Frage, wie eine Versorgung auch dann sichergestellt werden kann, wenn Patienten, Pflegebedürftige sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sind." Mittelständische Unternehmen bangten um ihre Existenz. "Hier braucht es dringend klare, eindeutige, verlässliche und unkomplizierte Regelungen und Strategien", forderte der Vorstand.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz rief guten Taten in der Nachbarschaft auf. "Wenn bei Corona alles kopfsteht, ist gute Nachbarschaft gefragt", sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 12. März in Dortmund. "Es gilt, den alten und pflegebedürftigen Menschen von nebenan in den Blick zu nehmen." Denn unter ihnen sei die Verunsicherung besonders groß, wie die Stiftung auch am Patientenschutztelefon merke.
Jeder Bürger kann nach Bryschs Worten einen Beitrag für gefährdete Menschen leisten. "Bei aller gebotener Vorsicht kann sehr viel Gutes getan werden: Ob der Einkauf mitgebracht, ein Rezept vom Arzt abgeholt oder ein Medikament aus der Apotheke besorgt wird, das sind wichtige Zeichen der Hilfsbereitschaft", sagte der Patientenschützer.